Die Gestapo Königsberg berichtet
Die Gestapostelle für den Regierungsbezirk Königsberg erstattet ihren (undatierten) „Lagebericht“ für Februar 1935:
Zu Boykottvorgängen gegen jüdische Geschäfte ist es nur in vereinzelten Fällen in der Provinz gekommen. Destomehr machte sich die erfreuliche Tatsache bemerkbar, daß die ''Zionistische Vereinigung'' und ihre Propaganda mit der Auswanderung nach Palästina wieder mehr an Boden gewinnt. Die zahlreichen von ihr durchgeführten Versammlungen weisen im Verhältnis zu denen der Assimilanten eine beträchtliche Besucherzahl auf und reden eine scharfe Sprache gegen jeden, der sich ihren Bestrebungen entgegensetzt. (…)
Juden und Freimaurer
In der Berichtszeit entwickelten die jüdischen Verbände und Organisationen wiederum eine rege Tätigkeit. Die ''Zionistische Vereinigung'' veranstaltete in der Zeit vom 24. 26. Februar 1935 eine Palästina Schau in Königsberg. In der Ausstellung wurden durch Zeichnungen, Modelle, Fotos usw. auf den Aufbau Palästinas hingewiesen und für den Zusammenschluß aller Juden in der Zionistischen Gemeinschaft Propaganda gemacht. Die Veranstaltung erfreute sich bei der jüdischen Bevölkerung eines regen Zuspruchs. Obwohl die sogenannten Deutsch jüdischen Verbände (CV und Jüdischer Frontkämpferbund) nach Kräften versuchen, ihre Rassegenossen in Deutschland zu halten und für die Gleichberechtigung der Juden in Deutschland einzutreten, gewinnen die Zionisten immer mehr an Boden. So war eine Veranstaltung der Zionisten am 21.2.35, in der der frühere Generalsekretär der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, Dr. Kannowitz , Tel Aviv, sprach, von etwa 500 Personen besucht. Am Schluß seiner Rede, in der er sich für den Aufbau Palästinas für das Judentum einsetzt und die bisherigen Erfolge in dieser Hinsicht schilderte, setzte ein starker Beifall ein, an dem sich auch viele Anhänger der deutsch jüdischen Verbände beteiligten. Bei der Eröffnungsrede der Palästina Schau, die der Leiter der zionistischen Arbeit in Berlin, S. Tschertock, hielt, ist in diesem Zusammenhange eine Bemerkung des Redners erwähnenswert. Er sagte u.a. folgendes: ''Auch wir Zionisten können gute Deutsche bleiben und dereinst in Palästina die Beziehungen zu unserem Vaterlande, sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller Hinsicht, aufrecht erhalten. Als Beweis für die Anhänglichkeit der aus Deutschland ausgewanderten Juden zu ihrem Vaterlande schilderte er, wie der bekannte Zionist Udo Moses und Dr. Levin, die schon viele Jahre vor dem Kriege im zionistischen Sinne in Palästina wirkten, im Jahre 1914 zu Fuß nach Deutschland gewandert seien, um ihre Pflicht für ihr Vaterland zu tun. Beide seien auch bei den ersten Kämpfen in Masuren den Heldentod für das Vaterland gestorben.
Die Staatszionisten , die in Königsberg von jeher nur einen kleinen Anhängerkreis aufzuweisen hatten, haben inzwischen ihre Tätigkeit ganz eingestellt. Der von ihnen gemietete Raum, in dem die Schulungsabende usw. abgehalten wurden, konnte von den wenigen Mitgliedern aus finanziellen Gründen nicht mehr gehalten werden. Wenn auch die Auflösung bisher noch nicht offiziell beschlossen worden ist, so dürfte doch mit dieser Organisation in Königsberg nicht mehr zu rechnen sein.
Am 9.II.35 fand in der hiesigen Bürgerressource ein Kameradschaftsabend des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten statt. Die Veranstaltung, zu der 145 Personen erschienen waren, wurde von einer Begrüßungsansprache des Vorsitzenden der Königsberger Ortsgruppe, Dr. Wolfheim, eröffnet. Wolfheim erklärte, daß trotz der Schwere der Zeit niemand den Kopf hängen lassen dürfe. Die Kameradschaftsabende seien aus diesem Grunde einberufen worden, um mit allen Kameraden einige frohe Stunden zu verleben. Er gedachte sodann des Todes des ''Altmeisters'' Liebermann und bezeichnete diesen Verlust als einen solchen für das Judentum und die ganze Welt. Alsdann folgte eine Bannerweihe. Anläßlich dieser führte der Gemeinderabbiner, Dr. Lewin , folgendes aus: ''Man kann mich fragen, ob es an der Zeit sei, eine Fahne zu weihen. Wenn mir vorgehalten wird, daß ich bei der Fahnenweihe etwas imitieren wolle, so sage ich, wir haben uns die Berechtigung dazu erkämpft in den 4 Jahren Weltkrieg, in denen das Judentum ebenfalls 12.000 Blutopfer für Deutschland hingegeben hat. Schon in biblischen Zeiten flatterten uns Banner und Fahnen voran. Wenn man Menschen führen will, so muß man diesen auch ein Symbol geben. Dieses kann aber nur eine Fahne sein, unter der man zu leben und sterben bereit ist.''
Als Hauptredner trat Dr. Elsbach von der Bundesleitung Berlin auf. Er erklärte: ''Wir müssen uns darüber im Klaren sein, daß das deutsche Judentum eine Schlacht verloren hat. Aufgabe des RjF ist es jetzt aber, zu verhindern, daß der Rückzug zu einer regellosen Flucht wird, und nach Wegen zu suchen, um unter den gegebenen Verhältnissen noch das möglich Erreichbare zu erringen. Wenn heute die Dinge laufen gelassen werden, dann wird unsere Sache um ein Jahrhundert zurückgeworfen. Wir müssen immer daran denken, daß hinter jedem Ende auch wieder ein Anfang steht. Wenn ich gefragt werde, ob es möglich sei, Deutschland, in einer Volksgemeinschaft, die uns ablehnt oder bestenfalls nur duldet, weiterzuleben, so erkläre ich: ''Wir kennen nur ein Vaterland und eine Heimat, das ist Deutschland; für unsere Kinder müssen wir unsere Heimat erringen, die Jugend muß sich aber auch ihres Wertes als Juden und Deutsche bewußt sein. Sie muß immer wieder darauf hingewiesen werden, was Deutschland dem deutschen Juden zu verdanken hat.''
Am 12. Februar veranstaltete der jüdische Frauenbund , Ortsgruppe Königsberg, eine Kundgebung, in der Frau Else Kohn einen Vortrag über das Thema: ''Bildungsideale der Gegenwart'' hielt. Die Kundgebung war von 55 Frauen besucht. Die Rednerin führte etwa folgendes aus: ''Es mute einen als seltsames Wunder an, daß trotz aller Schicksale das geistige jüdische Leben weiter herausstrebe. Schon in der Frühzeit haben die Juden trotz aller Zusammenbrüche immer darauf gehalten, daß das geistige Leben erhalten bleibe. Das geistige Arbeiten ist dem Juden Religion, deshalb ist das Judentum zu dem Volke des Buches und der Schrift geworden. Das Erbe, das Moses dem jüdischen Volke gegeben hat, ist das Erbe Jakobs. Dieses muß der Jude seinen Kindern einschärfen, wenn sie sich abends hinlegen, des Morgens aufstehen oder aus dem Hause gehen.
In letzter Zeit ist jedoch im jüdischen Geistesleben eine Erstarrung eingetreten. Es ist eine Zeit des geistigen Abseitsstehens vom Zeitgeschehen. Die Gegenwart ist jedoch kein losgelöstes Gebilde, sondern ein Zwischengebilde. Auf die Frage: ''Was nun machen, um einen seelischen Gewinn zu erzielen'', hat ein Großer einmal gesagt: ''Eine geistige Rentnerzeit ist angebrochen. Für die Alten ist dieses nicht schlimm, denn ihr Kapital ist hierin groß, die Jugend jedoch hat keine Rente, daher sollen die Gefährten der Jugend die Hausmusik und das Buch sein.''
Am 19. Februar veranstaltete der jüdische Turn und Sportverein ''Bar Kochba '' Königsberg eine Mitgliederversammlung, zu der auch die Mitglieder des Vereins ''Hechaluz '' als Gastteilnehmer geladen waren. Insgesamt waren etwa 70 Personen beiderlei Geschlechts erschienen. Der 1. Redner, Hans Nemenoff, referierte über ''Makkabi , sein Weg und Ziel.'' Alsdann sprach Isaak Munwes über ''Die Makkabisiedlung in Palästina.''
Der ''Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens '' veranstaltete am 24.2.35 einen Rezitationsabend mit Frau Edith Herrenstadt Oettingen Berlin.
Die Veranstaltung sah folgendes Programm vor:
1. Menschenspruch Manfred Sturmann
2. Der Messias und das LichtIsrael Auerbach
3. Isaak Löwenthal Jacob Löwenberg
4. Wenn nicht noch höher Peretz
5. Salomons große Rede an Israel Bibel
6. Fremd Edith Salusa
7. Aus Jeremias Stephan Zweig
8. Aus dem Roman Hiob Josef Roth.
Am 3. Februar 1935 fand im jüdischen Gemeindehaus in Elbing eine Bezirkstagung des CV statt, an der 60 Juden, darunter Vertreter aus Königsberg und Berlin, teilnahmen. Der Syndikus, Dr. Max Angerthal, Königsberg, referierte über die Arbeit des CV in Ostpreußen und bedauerte, daß in den letzten 2 Jahren der jüdischen Aufbauarbeit schon viele Kräfte verloren gegangen seien. Es sei deshalb von größter Wichtigkeit, auch die kleinste jüdische Existenz in Ostpreußen aufrecht zu erhalten und zu stützen. Die jetzigen Gesetze und Verordnungen böten den Juden wieder Existenz und Lebensmöglichkeit. Wenn den Juden auch das Handwerk und die akademische Laufbahn vorläufig verschlossen seien, so stehe der jüdische Kaufmann doch fest. Ihm sei eine freie Betätigung in wirtschaftlicher Hinsicht gewährleistet. Die Schwächung, die das Judentum in den letzten 2 Jahren erlitten habe, habe wenigstens das Gute gehabt, daß sich die Juden wieder enger aneinander geschlossen hätten. Die erste Pflicht eines jeden Juden in Deutschland sei es, seinen Glaubensgenossen in jeder Hinsicht zu unterstützen. Jüdisches Wissen und jüdische Kultur müssen sorgsam gepflegt werden.
Rubinstein Berlin sprach über das Thema: ''Aus unserer Arbeit für Deutsch Jüdischen Lebensraum.'' Er erklärte, daß man dem Juden nur einen beschränkten Lebensraum gelassen habe. Es gehöre jedoch das Bestreben, den Juden aus Deutschland ganz verschwinden zu lassen, der Vergangenheit an. Jetzt handelt es sich darum, den jüdischen Lebensweg unter neuen Voraussetzungen fortzusetzen. Vorläufig bleibe für die deutschen Juden auch in Zukunft nur das Handelsgewerbe offen. 80% der jüdischen Arbeitslosen seien im Laufe der letzten 2 Jahre wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert worden. Es bestehe bereits ein Überangebot an Freiplätzen, sodaß es bald möglich sein werde, auch die restlichen 20% unterzubringen. Immer wieder müsse beachtet werden, daß es kein Gesetz gebe, das dem jüdischen Arbeitgeber verbiete, einen jüdischen Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die Ziele der Zionisten, den Juden in Palästina eine neue Heimat zu begründen, seien ideell wohl zu begrüßen, doch dürften die Gefahren, die in der ungewissen Zukunft Palästinas liegen, nicht unterschätzt werden. Es sei daher oberste Pflicht des Judentums, die an sich schon geschwächte Position zu halten, zu stärken und erneut aufzubauen.
In einer Rede, die Dr. Elsbach Berlin auf einer Versammlung der Ortsgruppe Marienwerder des RjF vor 65 Personen hielt, erklärte er, daß nicht die Zionisten, sondern die deutschbewußten Juden, die ihre Kampfstellung in Deutschland bezogen haben, und die weiterverteidigen und halten wollen, die wertvollsten Kräfte des Judentums seien.
Einen gleichen Vortrag hielt Dr. Elsbach auf einer Versammlung am 10.2.35 in Tilsit vor 150 Personen.
Am 10.2.35 fand in der Wohnung der Apothekerwitwe Frau Wald in Insterburg eine Zusammenkunft des israelitischen Frauenvereins statt. Leiterin war Frau Ernestine Sommerfeld. Es sprach die Rabbinerfrau Ilse Cohn Leipzig über das Thema: ''Was kann der jüdische Frauenbund in sozialer Hinsicht tun, wie kann er notleidenden Glaubensgenossen helfen?''
Die jüdische Jugendvereinigung Hechaluz veranstaltete am 7.2., unter der Leitung des Vorsitzenden Hans Kalkstein, im Sitzungszimmer der Synagoge den üblichen Heimabend.
Am 9.2. veranstaltete die Kulturkommission der Synagogengemeinde Insterburg, unter Leitung von Sanitätsrat Dr. Rosenkranz Insterburg einen Lichtbildervortrag des Rabbiners Dr. Augapfel über ''Jüdische Kulturstätten am Rhein'' und am 12.2. in der Wohnung der Frau Wald einen musikalischen Abend der Dr. Anneliese Landau Berlin unter Mitwirkung von Wolfgang Rose Berlin.
Der Inhaber des jüdischen Warenhauses J. Boss in Riesenburg erstattet bei der Staatsanwaltschaft Anzeige, weil die Schaufenster seines Lokals mit kleinen Zetteln des Inhalts: ''Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter'', beklebt worden waren. Kennzeichnend für die Frechheit des Juden, ist der einleitende Satz seiner Anzeige: ''Der Boykott gegen mein Geschäft wird nicht nur durch Wut, sondern auch durch die Tat bewiesen.'' Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt, weil eine strafbare Handlung nicht vorlag.
Jüdische Geschäftsinhaber haben ihre Angestellte [sic] darauf hingewiesen, daß Entlassungen vorgenommen werden müßten, falls von Seiten der Partei darauf hingewirkt werde, das Parteigenossen nicht in jüdischen Geschäften einkaufen sollen.
In Bartenstein kamen etwa 50 Flugblätter mit folgendem Inhalt zur Verbreitung: ''Augen auf in Bartenstein!'' Beschaut die Rasseblüten Gustav Isakowski, Munter, Iserski, Selma Simonsohn, Tischauer Burie und ihr Treiben, man könnt an sie die Hände reiben. Auch eine fernmündliche Bestellung an Waren bei diesen Talmudjüngern stempelt dich zum Verräter deines Volkes und Vaterlandes, oder gar der Einkauf durch die hintere, versteckte Ladentüre, zeigt gleiche Schande deines Charakters. Es gibt keine deutschen Juden, sondern entweder nur Deutsche oder Juden, oder der letzteren erzeugten Bastarde [sic]. Darum dein Mitgefühl für diese Drahtzieher ist deine und des Volkes Grube. Gebt diesen kapitalistischen und charakterlosen Wühlwürmern des Volkskörpers die Tat zur Erkenntnis, daß du deutsch fühlst, denkst und auch handelst und somit Aufbauarbeit leistest an dem Werke der völkischen Erstarkung, welche in der Idee unseres Führers Adolf Hitlers liegt. Den Lesern des Stürmers in Bartenstein überreicht.''
Am 16. Februar 1935 fand im Clubraum des Hotels Kontinental in Königsberg eine Versammlung des ''Reichsverbandes Nichtarischer Christen '' statt, an der etwa 40 Personen teilnahmen. Universitätsprofessor Dr. Borcherd hielt einen Vortrag über die neuzeitliche Familienforschung. Er erklärte an Hand von Lichtbildern die Vor und Nachteile der nach der heutigen Methode angewandten Stamm und Ahnentafeln und forderte zum Schluß die Anwesenden auf, sich recht rege an der Familienforschung zu beteiligen.