Bericht aus Breslau
Am 31. Januar 1935 gab der Breslauer Regierungspräsident folgenden „Lagebricht“ für Januar 1935 ab:
Eine bedauerliche Erscheinung in Breslau ist, daß noch ein großer Teil der Bevölkerung und auch Parteigenossen in zahlreichen jüdischen Geschäften kaufen. Der jüdische Geschäftsmann ist lange ortsansässig und hat einen großen Teil ständiger Kunden sowohl in der städtischen als auch in der Landbevölkerung. Die jüdischen Geschäftsleute und zum Teil auch die übrige jüdische Bevölkerung fühlen sich ziemlich sicher und zeigen dies auch in ihrem Auftreten. Der Vorstand der Synagogengemeinde in Breslau hat sich im Dezember über das Auftauchen von Schildern mit antisemitischem Inhalt in einigen, nahe an der Stadtgrenze von Breslau liegenden Gemeinden beim Landrat in Breslau beschwert. Die Staatspolizeistelle in Breslau hat von dem Vorhandensein Kenntnis erhalten. In verschiedenen Teilen der Stadt Breslau wurden Klebezettel gefunden und als Zettelankleber Mitglieder der NS-Hago und des Jungvolks festgestellt. Die NS-Hago hat ihr Material aus Nürnberg bezogen und zwar etwa 30 cm lange, mit Zeichnungen versehene Zettel, die in etwas kitschiger Form auf den schlechten Einkauf beim Juden und den zufriedenstellenden Kauf im christlichen Geschäft hinwiesen. Ob eine Propaganda in dieser Form den gewünschten Erfolg haben wird, kann bezweifelt werden.
Nach einer mir zugegangenen Mitteilung haben die durch den Rundfunk bekanntgegebenen Fälle von Reichsfluchtsteuerhinterziehungen (vorwiegend Juden) bei der Bevölkerung zum Teil die Ansicht hervorgerufen, daß die zuständigen amtlichen Stellen ihre Pflichten verletzt haben. Die Bevölkerung kann es nicht verstehen, daß so hohe Steuerbeträge nicht rechtzeitig eingefordert werden. Sie vermutet daher, daß die Finanzämter in leichtfertiger Weise Steuerstundungen gewährt haben und dadurch an der Schädigung deutschen Volksvermögens durch die Juden nicht unschuldig sind. Da eine solche Ansicht möglicherweise auch in anderen Bezirken auftaucht, wird eine Aufklärung der Bevölkerung über das Wesen und die Fälligkeit der Reichsfluchtsteuer, vielleicht auf dem Wege über den Rundfunk nicht unangebracht sein.