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Chronik und Quellen
1941
November 1941

Bericht von Chaim Baram aus Minsk

Chaim Baram wurde am 5. August 1919 als Heinz Behrendt in Berlin geboren. Er wuchs mit zwei Brüdern als Sohn eines Schusters auf. Da der Antisemitismus in Deutschland seit der NS-Machtübernahme kontinuierlich zunahm, gingen sowohl sein älterer Bruder als auch sein Vater in den 1930er-Jahren ins Exil. 1940 heiratete Chaim Baram Charlotte Rotholz.

Am 14. November 1941 wurde das Ehepaar ins Getto Minsk deportiert, wo er sich zu verschiedenen Arbeitskommandos meldete. Während seine Frau hier ermordet wurde, überlebte Chaim Baram mehrere weitere Stationen und wurde am 25. April 1945 von der US-Armee befreit.

Der Text, aus dem nachfolgend zentrale Stellen zitiert werden, wird im Archiv von Yad Vashem aufbewahrt.

Ankunft im Ghetto Minsk

In diesem Viertel hatte der „SD“ für uns ein grosses Gelände reserviert und mit Stacheldraht umzäumt. „Sonderghetto ist der humane Name. Wir bilden uns ein, dass wir gegen den russischen Juden, die uns gegenüber in einem anderen Ghetto untergebracht sind, eine bessere Behandlung erfahren, was sich aber bald als grosser Irrtum herausstellt. (S. 7)

Im Sinderghetto ist es durch unsern Zuwachs merklich eng geworden. Die Wohnungen sind alle schon vorher Überfüllt gewesen, weshalb man uns vorübergehend in ein grosses Backsteinschulhaus einquartiert, dass aber auch schon vollbesetzt ist. In einem Klassenzimmer hausen ca. 15 Familien. Wir kampieren in den Gängen oder auf den treppen. So warten wir zwei Tage auf das Kommende uns noch Unbekannte. [...]

Eine grosse Gruppe von Männern des Berliner Transportes wird aufgestellt und aus dem Ghetto geführt. Ein Kilometer vom Hamburger Ghetto wir ein neuer grosser Stacheldrahtzaun aufgebaut. Man hat wieder ein grosses Gelände für uns freigemacht. Hier wird vorläufig unser Wohnort sein. D.h. Juden aus Berlin, Prag, Brünn, Wien und Bremen. Diese Transporte, immer 1000 Juden, sind in einigen Tagen nach uns gekommen. (S. 8-9)

Leben im Sonderghetto

Wir bekamen unsere Behausung zugeteil. Sieben Leute sind in unserem Zimmer, dass eine Bodenfläche von 5 x 5 mtr hat. [...] Das Wasser wurde von der Wasserpumpe geholt. Diese Pumpe hatte im Winter stets eine Schlechte Angewohnheit. Sie war meistens zugefrohren und mit einer sehr dicken Schicht Eis bedeckt, die fast jeden Tag aufgetaut werden musste. [...]

Die sanitären Verhältnisse spotten aller Beschreibung. Es gab noch keine Latriene. Die erste Arbeit im Berliner Ghetto war daher das Ausheben von kleinen Gruben. Da aber die Erde durch den Frost steinhart war, ging das ausgraben nur mühsam vorwärts. Wasser gab es nur sehr wenig. Man behalf sich mit Schneewasser. Ein weiters Problem bildete das Holz. Aus alten zerschossenen Häusern holten wir Holz, um die Öfen zu heizen. So blieb es auch nicht aus, dass im Ghetto unbekannte Epedemien ausbrachen. Todesfälle waren jetzt an der Tagesordnung. Gründe dafür gab es reichlich. Diesenterie [Ruhr, Anm. d. V.], Entkräftung, Schwäche. (S. 10-11)

Im Laufe der Zeit wurden Arbeitskommandos aufgestellt. Alles was arbeiten konnte, meldete sich. Die Luftwaffeneinheiten, Wehrmacht, SS, SD, Organisation Todt, Eisenbahner, alle die Formationen forderten jüdische Arbeitskräfte. Jede Einheit stellt dann auch das nötige Wachpersonal. [...]

In der ersten Zeit gab es auch ein Arbeitskomando, das in den Minkser Lazaretten arbeitete. Aber schon im Frühjahr 1942 kam ein Befehl von oben, alle Juden von dort sofort zu entfernen. Es gab Komandos, in denen es die Juden sehr gut gatten. D. h. Dort gab es keine Essenssorgen, die Behandlung von Seiten der Militäreinheit war menschlich. Sobald aber das SD dahinterkam, bekam der zuständige Offizier der Einheit eine gehörige Zurechtweiung, oder das Komando wurde aufgelöst. (S.11)

Das Ghetto wurde von Juden bewacht. Tag und Nacht standen am Toreingang Juden Wache, die alle zwei Stunden abgelöst werden. Ohne genehmigung von SD durfte keiner ein- noch ausgehen. Die Nachtwachen waren besonders grausam. Alle 14 Tage war jeder Jude männl./ an der Reihe. Die ganze Nachtmannwachmannschaft hielt sich im Wachlokal auf, [...] der Wachhabende rief dann 6 namen auf, die dann 100 Minuten drausen un der bitteren Kälte, manchmal bei -45° Wache stehen mussten. Da das Berliner Ghetto zwei Tore hatte, standen bei Nacht an jedem Tor zwei Wächter Wache. Zwei Wächter gingen im Ghetto auf Patrullie. (S. 13)

Gerüchte

1942 im Januar geht das Gerücht herum wir würden durch das schwedische Rote Kreuz befreit und kommen nach Schweden. Jeder weiss etwas. Einer hat in der Hauptstrasse von Minsk das Schwedische Rote Kreuzauto gesehen. Ein Anderer weis, dass Verhandlungen im Gange sind. Der Nächste will wissen, dass die ganze Befreiungsaktion in 3 Monaten beendet sein soll. Und viele ähnliche Gerüchte kursieren. Wir zuhörenden schöpfen neuen Mut, leben in Hoffnung und kalkulieren wann wir spätestens aus Minsk herauskommen. Nur eines wird nicht dabei in Rechnung gezogen, dass alles nur eine erfundene Fantasie sein könnte, was all diese Gerüchte auch nur wirklich waren. (S.19)

Beerdigung

Im Laufe der kalten Monate konnte man die Toten nicht begraben die Erde war zu hart gefroren. Unser Schuppen nebenan diente als Sammelstelle für Tote, die aufgeschichtet einer Über dem anderen den Raum füllten. Nun ist die Zeig gekommen, sie in aufgesprengten Gruben auf dem jüdischen Friedhof in der Nähe des Ghettos zu beerdigen.

Eine lange Reihe von Schlitten, gefüllt mit Leichen, zieht die Strasse entlang dem Friedhof zu. Es geht im Pendelverkehr. Eine Gruppe kommt, die andere geht. So werden hunderte Tote aus dem Ghetto, aus unserem Schuppen zur letzten Ruhe gebracht, ohne Gebet, ohne zu wissen wer der Tote ist. (S.21f.)

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