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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Frankfurt

Eugen Wolf, Paris, berichtet über den Pogrom in Frankfurt am Main vom 10. bis zum 16. November 1938: Zerstörung der Synagogen, des Gemeindehauses und des Waisenhauses, Hausdurchsuchungen, Straßenkontrollen und Verhaftungen, Verwüstung von Geschäften und Wohnungen, Verschleppung fast aller Männer in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau und zahlreiche Selbsttötungen:

Bericht über die Pogrome in Frankfurt am Main von 10.-11. November 1938

Bericht eines Augenzeugen

In der Nacht zum 10. November begannen die Pogrome schlagartig pünktlich um 5 Uhr. Zuerst wurden sämtliche Synagogen mit Hilfe von Benzin angezündet. Die Feuerwehren beschränkten sich nur darauf, die Nachbarhäuser zu schützen. Man zwang junge Menschen (Juden), die Thoras in kleine Stücke zu zerschneiden und zu verbrennen. Gegen 6 ½ Uhr vormittags begannen kleine Trupps von fünf bis zehn Mann in sämtliche jüdische Wohnungen mit Gewalt einzudringen. Zuerst wurden die männlichen Mitglieder auf das Polizeirevier geschleppt, selbst im Hemd wurden die Menschen über die Straße gejagt, da man ihnen keine Zeit ließ, sich anzuziehen. Da ich nicht jüdisch aussah, gelang es mir, in das Zentrum der Stadt zu gelangen. Es war gegen 9 Uhr, als plötzlich ca. 50 SA [-Männer] in Zivil erschienen, von welchen mir sogar verschiedene bekannt waren, und begannen, nach einer Liste sämtliche jüdische Ladengeschäfte zu zerstören, und wo etwas brauchbar war, wurde dasselbe mitgenommen. Alsdann wurden die Engros-Geschäfte besucht, zerstört, die Einrichtungsgegenstände und Waren wurden auf die Straße geworfen. Z. T. wurden auch Engros-Geschäfte durch Feuer vernichtet. Die Polizei war wohl zahlreich vertreten, schritt jedoch in keinem Falle ein. Tags darauf wurden die Verfolgungen weiter fortgesetzt. Jetzt wurde schon SS in Uniform eingesetzt. Nach der Liste der Ortsgruppenführer der NSDAP wurde systematisch Wohnung für Wohnung besucht. Als Erstes wurden die männlichen Mitglieder, die noch da waren, mitgenommen und in Sammeltransporten mittels städtischer Omnibusse in die Festhalle gebracht. Sodann wurden die Frauen nach Schmuck und Geld gefragt und die Wohnung danach durchsucht. Alles, was sie fanden, verfiel der so genannten Beschlagnahme. Autobesitzer bekamen die Schlüssel und Papiere abgenommen, und der Wagen wurde beschlagnahmt. Je nach Gutdünken der einzelnen Vollzieher dieser Maßnahmen wurden dann die Möbel und Einrichtungsgegenstände zerstört.

Selbst das Waisenhaus, wo einige hundert Kinder untergebracht waren, wurde nicht verschont. Die Kinder wurden auf die Straße gesetzt und die Einrichtung vollkommen zerstört und verbrannt. Auch das Gemeindehaus in der Fahrgasse wurde zerstört. Am Buß- und Bettag erreichten die Maßnahmen ihren Höhepunkt. SS zog wieder von Haus zu Haus und durchsuchte die Wohnungen. Alle Passanten auf der Straße mussten sich ausweisen über ihre Rassenzugehörigkeit. Straßenbahnen, Autos wurden angehalten und die Passanten, soweit sie jüdisch waren, verhaftet. Es gelang somit, tatsächlich alle Juden männlichen Geschlechts von 17-65 Jahren zu verhaften. Wie ich festgestellt habe, wurden dieselben noch am Tage der Verhaftung in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau gebracht. Nur solche, die eine effektive Auswanderungsmöglichkeit nachweisen konnten, wurden freigelassen, d. h., wenn ihre Angehörigen dementsprechend bei der Gestapo interveniert hatten. Ich muss feststellen, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung sich an diesen Vergewaltigungen nicht beteiligt hat. Nach Aussage eines mir befreundeten SA-Mannes wurde eigens zu diesem Zwecke SA aus München für Frankfurt am Main beordert. Wie derselbe mir weiter berichtete, haben alle Pogrome nach Befehl stattgefunden.

Um sich der Verhaftung und den Gräueln in den Konzentrationslagern zu entziehen, haben viele prominente Juden der Stadt Frankfurt am Main Selbstmord begangen. Selbst katholische Häuser und Wohnungen wurden nach Juden durchsucht. Nach den Pogromen glichen die jüdischen Häuser und die Straßen, wo Pogrome stattgefunden hatten, einem Trümmerhaufen. Dadurch, dass ich bereits im KZ-Lager war und zum Zwecke der Auswanderung beurlaubt war und ich meine Auswanderung so weit fertig hatte, wurde ich nach zweimaliger Verhaftung immer wieder freigelassen. Diese Angaben, die ich hier mache, sind nur ein Bruchteil dessen von dem, was sich in Wirklichkeit ereignet hat. Dies entspricht den wahren Tatsachen.

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