Menü
Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Köln

Bericht über die Lage in Köln nach dem Pogrom, d.h. über die Arbeit des Hilfsvereins, die Lebensmittelversorgung, die Wohnungsnot, die Stimmung der jüdischen Bevölkerung und die Schwierigkeiten bei der Auswanderung; erwähnt wird die Sicherstellung der Thorarollen vor der Verwüstung der orthodoxen Synagoge in der St.-Apern-Straße:

29. November 1938

Der Hilfsverein1 arbeitet wieder unter Leitung von Herrn Hans Jacoby.

Lebensmittelknappheit besteht nicht mehr. Die Schilder in den Geschäften „An Juden werden keine Lebensmittel verkauft“ sind vielfach verschwunden.

Die Synagogen sind polizeilich geschlossen. Die Mauern stehen noch, die Fenster sind verkohlt.

Es wird uns aus Köln berichtet, dass der stellvertretende Rabbiner der orthodoxen Gemeinde, Herr G.[ibermann], in der fraglichen Nacht vom 9. zum 10. November um ca. 12 ½ Uhr vom Polizeipräsidium, Neumarkt, angerufen wurde, er möge sich mit den Synagogenschlüsseln auf der Straße bereithalten, er würde in zehn Minuten von dem Überfallkommando abgeholt werden. Das Kommando fuhr ihn alsdann in die Synagoge St. Apernstraße. Die Thorarollen wurden abgehoit und in seiner Begleitung zum Polizeipräsidium gebracht. Um 2 ½ Uhr fand die Verwüstung der Synagoge statt. - Am anderen Morgen wurde der stellvertretende Rabbiner wiederum vom Polizeipräsidium angerufen, mit dem Ersuchen, die Thorarollen wieder abzuholen und in seiner Wohnung unterzubringen. Bei den anderen Synagogen haben derartige Maßnahmen nicht stattgefunden.

In Köln sollen in der Woche vom 22. zum 29. November neue Verhaftungen nicht mehr stattgefunden haben. Unbedenklichkeitsbescheinigungen für Auswanderer sind in der letzten Woche ausgehändigt worden. An die Angehörigen von Personen, die in das Konzentrationslager kamen, sind Pässe ausgehändigt worden. Eine technische Schwierigkeit und Verzögerung der Passausstellung kam auch dadurch, dass die Anträge zur Ausstellung eines Passes nur persönlich unterschrieben werden können. Das gilt also nicht für Leute, die im Konzentrationslager sind. Das Polizeipräsidium hat sich geweigert, derartige Anträge zur Unterschrift nach Dachau einzusenden. Familienangehörige, die mit diesen Anträgen nach Dachau gefahren sind, sind unverrichteterweise wieder zurückgekommen. Die Auswanderung kann daher erst dann in vollem Umfange betrieben werden, wenn die betreffenden Personen nach Genehmigung des vom Hilfsverein eingeleiteten Gesuches aus Dachau entlassen werden.

Es ist mir gelungen, einige Familien, deren Wohnungen per ultimo November gekündigt waren, bei anderen jüdischen Familien unterzubringen, die teils als Hauseigentümer in ihren eigenen Häusern wohnen, teils als Mieter bei jüdischen Hauseigentümern gemietet hatten. Die meisten Wohnungen sind jedoch per ultimo März gekündigt, einige per ultimo Dezember. Die Unterbringung dieser wird sehr schwer sein, zumal die Familien am Orte Zuzug vom flachen Lande aufnehmen mussten.

Von Neubauten von städtischen Baracken als Ghettoquartiere ist bisher nichts bekannt.

Die Stimmung der Juden kann dahin charakterisiert werden, dass der wahnsinnigen Aufregung der ersten Tage eine gewisse Abstumpfung gefolgt ist. Jeder denkt an nichts anderes als [an] seine Auswanderung, ohne zu fragen, was für ein Klima oder welche Erwerbsmöglichkeiten das evtl. zu wählende Land bietet. Die allgemeine Devise ist „so schnell wie möglich aus Deutschland heraus“. Sogar die ältesten Leute wollen so schnell wie möglich fort.

Die jüdischen Geschäfte sind mit Brettern vernagelt, irgendein Geschäftsverkehr findet natürlich nicht statt.

Baum wird geladen...