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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Beobachtungen in Berlin

Ein Ende 1938 verfasster Bericht aus Berlin über die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen und Schulen, die Wohnungs- und Ernährungslage, die Ausplünderung bei der Auswanderung und die Angst vor dem Konzentrationslager:

Beobachtungen in Berlin Ende Dezember 1938

Krankenwesen: Diejüdischen Privatkliniken sind alle arisiert. Es gibt nur noch ein jüdisches Krankenhaus, das sich aber finanziell nicht halten kann und in absehbarer Zeit eingehen wird. Jüdische Patienten wurden bis anhin auch in katholischen Krankenhäusern gut verpflegt. Arische Ärzte können von Juden konsultiert werden.

Ein jüdisches Altersheim soll in nächster Zeit eingehen. Jüdische Schulen soll es in Berlin noch ein bis zwei geben, sodass es für die meisten israelitischen Kinder unmöglich geworden ist, überhaupt noch eine Schule zu besuchen, da sie seit dem 11. November 1938 in keiner arischen Schule mehr zugelassen werden. Bis dahin hatten sie es noch gut in katholischen Schulen.

Wohnung: Es gibt Juden, die heute noch in Häusern arischer Besitzer wohnen, sie rechnen aber stets mit der Kündigung. Sie dürfen gewisse Straßen nicht betreten und bedürfen einer besonderen Erlaubnis, wenn sie in einer der verbotenen Straßen wohnen.

Die meisten Restaurants sind mit dem Plakat „Juden unerwünscht“ versehen.

Jüd. Zusammenhalten: Nach meinen Beobachtungen halten die Juden sehr stark zusammen und helfen sich gegenseitig mit Geldmitteln.

Verkehr: Wenn ein Passant eine Straße oder einen Platz nicht vorschriftsmäßig überschreitet, so wird er von der Verkehrspolizei angehalten. Ist er ein Arier, so zahlt er eine Mark Buße; ist er ein Jude, hat er 20 Mark zu bezahlen und gilt dann als vorbestraft. Wie man überhaupt kein Mittel scheut, den Juden das Geld abzunehmen, zeigt Folgendes: Vor der Ausreise wird vom Devisenbeamten jedes Stück, das mitgenommen werden darf, genau überprüft, Bett- oder Leibwäsche darf nicht in beliebigen Quantitäten ausgefuhrt werden. Für Schreib- oder Nähmaschinen verlangt der Staat 100% des Kaufpreises, für Schmuck, der nach 1933 angeschafft wurde, überhaupt für Luxusgegenstände, 200 bis 300%.

Was die Ernährung anbetrifft, bekommen die Juden in arischen Geschäften alles und werden, soweit ich unter meinen Bekannten beurteilen konnte, anständig behandelt. Überhaupt scheint die Menschlichkeit unter den Christen wieder durchzudringen. Ich hörte keinen Juden über das deutsche Volk schimpfen, nur über die Behörden, obwohl ich geglaubt habe, dass sich ein ungeheurer Menschenhass ansammeln müsste. In den schlimmen Novembertagen sollen Christen Juden bei sich verborgen gehalten haben und ihnen Geld und Lebensmittel gebracht haben. Sie hätten sich vor den Juden geschämt. Sogar Kriminalbeamte hätten versucht, Juden vor dem Konzentrationslager zu retten.

Das Furchtbarste am jetzigen Zustand ist die ständige Angst vor dem Konzentrationslager, dessen Schrecken sie jetzt kennen. Sehr viele sind mit schweren Leiden zurückgekommen, mit erfrorenen Gliedmaßen etc.

Der einzige Gedanke, der die Leute beherrscht, ist: Möglichst schnell fort über die Grenze, und wenn auch alles zurückgelassen werden muss.

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