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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Pogrom in Berlin

Augenzeugenbericht eines am 11. November in die Niederlande geflüchteten Berliners über die Verwüstung der Synagoge Pestalozzistraße und die Misshandlung der dort Anwesenden sowie über die Zerstörung jüdischer Läden in Berlin:

In der Synagoge Pestalozzistraße in Berlin-Charlottenburg waren Donnerstag, den 10. November, mehrere Juden, darunter Berichterstatter, als junge Burschen in Zivil, aber deutlich als SS oder SA kenntlich, zumal sie sich über ihre „Formationen“ unterhielten, eindrangen, vier Mann packten und unter Fußtritten in den Keller unter der Synagoge warfen (darunter Berichterstatter). Sie wurden wahnsinnig mit Stöcken verprügelt, ein Mann wurde gezwungen, einen anderen zu schlagen unter größten Drohungen, hinterher wurde der Stock an ihm kaputt geschlagen. Berichterstatter wurde an der Lippe verletzt, einem anderen wurden Zähne herausgeschlagen, was sonst an Verletzungen geschehen ist, ist nicht bekannt. Sie mussten dann 2 ½ Stunden stehen und sodann den sehr verschmutzten Keller sauber machen und wurden eingeschlossen. Als Berichterstatter eine Frage stellte, wurde ihm ein entsicherter Revolver an die Stirn gehalten: „Noch ein Wort, und ich schieße dich über den Haufen.“ Oder es wurde gesagt: „Nachher, wir haben ja noch Zeit, werden wir alle zusammen abknallen.“

Der Anführer der Bande war zweifellos ein Akademiker von 23 bis 24 Jahren. Einer der Leute zeigte, wenn er allein war, ein menschliches Rühren: „Seid ruhig, dann passiert euch nichts, ihr kommt bald heraus.“

Nach 2 ½ Stunden mussten sie antreten und wurden einzeln gefragt, was sie verdienen. Dann sagte einer von den Leuten: „Es ist mir ganz egal, wenn ihr auch nicht genug hier habt, ihr müsst RM 10 - geben, dann lassen wir euch in einer Stunde frei.“ Berichterstatter bot RM 15.- an, wenn sie bald freikämen. Darauf Beratung mit dem Resultat „In einer Viertelstunde“. Tatsächlich wurden sie dann auch freigelassen. Berichterstatter erfuhr dann bei einem Anruf in seiner Wohnung, dass schon Kriminalbeamte da gewesen waren, um ihn abzuholen.

Die Synagoge Pestalozzistraße und die anschließende Mittelstandsküche wurden vollkommen zertrümmert. Auf der Straße lagen Thorarollen, Altardecken, Gebetbücher, Zylinderhüte herum, alles zerstört und verschmutzt. Christliche Kinder spazierten mit den Hüten herum.

In der Stadt sind alle jüdischen Läden zerstört. N. Israel vollkommen demoliert. Unter den Linden [sind] die großen Juweliergeschäfte von Marcus und von Posen, eine Pelzfirma im Hotel Adlon und ein Geschenkartikelgeschäft völlig vernichtet. Die Menschenmenge flutete durch die Straßen, der Verkehr wurde polizeilich geregelt. Berichterstatter hat wiederholt aus der Menge antisemitische Äußerungen gehört: „Wat is denn da so aufzuregen, die Juden haben doch immer verdient, warum sollen se es uns nich hergeben?“ und andere, doch hatte man den Eindruck, dass unter dem Publikum sich SS-Leute in Zivil befanden, um Stimmung zu machen.

Die Synagogen Heidereuthergasse und Münchenerstraße sollen unversehrt sein. Nach einem Gerücht soll Rabbiner Dr. Swarsensky wieder freigelassen sein. Berichterstatter ist dann abgereist und hatte an der Grenze in Emmerich am 11. November noch einmal einen Aufenthalt. Nach einer Leibesvisitation, bei der kleinere Wertsachen verschwanden, wurde er mit anderen nach einem früheren Schulgebäude, in dem offensichtlich Vorbereitungen zur Aufnahme weiterer Verhafteter getroffen wurden, gebracht und von früh 6 bis Y22 mittags festgehalten. Die Behandlung dabei war im Ganzen anständig.

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