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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Pogrom in Berlin

Bericht eines Holländers über Verhaftungen und Geschäftsverwüstungen in Berlin und Potsdam bis zu seiner Abreise am Abend des 10. November:

Herr A., ein holländischer Kaufmann, der ein Unternehmen in Berlin besitzt und am Donnerstag, dem 10. November, direkt aus B. hier eintraf, berichtete Folgendes:

Bei dem Fabrikbesitzer Gustav Michaelis, Inhaber der Teppichfabrik Michaelis & Berend, Nowawes, drangen Mitglieder der Gestapo ein und fragten ihn, ob er Waffen besitze. Auf Grund seiner Bemerkung, dass er eine Pistole schon vor Jahren seinem Chauffeur geschenkt habe, wurde der Chauffeur geholt, der die Angaben seines Herrn bestätigte.

Als trotzdem die Gestapoleute sich anschickten, Herrn M. abzuführen, erklärte seine Frau, die Aussage des Chauffeurs habe doch bewiesen, dass ihr Mann die Wahrheit gesagt habe und kein Grund vorhanden sei, um ihn festzunehmen. Michaelis selbst sagte daraufhin zu seiner Frau: „Du musst wissen, weshalb man mich festnimmt, nur weil ich ein Jude bin.“

Auf Grund seiner Erklärung wurde er unter Beschimpfungen abgeführt. Auch sein Schwiegersohn, Dr. Rawack, wurde verhaftet.

Herr A. berichtet auch, dass in Potsdam nicht nur der Rabbiner Dr. Schreiber, sondern auch alle bei der Gemeinde eingeschriebenen männlichen Juden verhaftet worden seien.

Über die Aktion selbst meldet Herr A., er habe bereits Donnerstag früh, als er nach Berlin hineinfuhr, festgestellt, dass von Steglitz ab sämtliche Fensterscheiben der Juden gehörenden Geschäfte zerschlagen waren. Diese Zertrümmerungsaktion soll bereits in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag, und zwar um V23 Uhr stattgefunden haben. Während man sich aber am Vormittag damit begnügt hatte, „nur“ die Fensterscheiben einzuschlagen, setzte am Nachmittag eine neue Aktion ein, bei der dann die Geschäfte zertrümmert und gründlich geplündert wurden.

An dieser Aktion waren SA-Leute in Zivil beteiligt, die eine Ziviljacke, aber SA-Hosen trugen und mit Eisen- und Brechstangen ihre Überfälle auf die Geschäfte unter dem Ruf „Juda verrecke“ vollzogen. Sie waren meistens durch einen Obmann begleitet, der eine Liste hatte.

Einen großen Teil der Geschäfte, die zertrümmert worden sind, hat die Presse bereits genannt.

Das Publikum äußerte im Allgemeinen sein Entsetzen über diese Vorgänge, und es fielen Ausdrücke wie: „Das ist nun unsere heutige Kultur“, oder „So wird unser Volksgut verschleudert“.

Die christlichen Angestellten der Firma des Herrn A. begaben sich zur Arbeitsfront, um darauf hinzuweisen, dass das Geschäft bereits an Arier verkauft sei. Sie erhielten dort den Bescheid, sie sollten alles veranlassen, dass die jüdischen Angestellten das Geschäft sofort zu verlassen hätten. Man wolle seitens der Arbeitsfront alles unternehmen, um dieses Geschäft „von den Listen zu streichen“, also ein Beweis für die Tatsache, dass die Zerstörungsaktion nach vorher genau aufgestellten Listen durchgeführt worden ist.

Dass man das Eigentum ausländischer Juden nicht schonte, beweist, dass vorher gegen die Restaurants Mikosch und Weiss-Czardas, ebenso gegen das bekannte Kinderkonfektionshaus von Arnold Müller, dessen einer Inhaber, Metzger, ein schweizerischer Staatsangehöriger ist, vorgegangen wurde. Dem bekannten Wäschehaus F. V. Grünfeld passierte nichts, obwohl aus der Menge heraus zunächst der Versuch unternommen werden sollte, auch gegen dieses Haus vorzugehen. Die Firma ist aber, wie bekannt, vor kurzem arisiert worden.

Auch die Autos jüdischer Autobesitzer wurden angehalten und ihnen die Scheiben eingeschlagen. Die Wagen der Juden im Bezirk Berlin sind dadurch kenntlich, dass sie die Nummern von 350.000 ab führen.

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