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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Misshandlungen beim Pogrom

Ein unbekannter Augenzeuge berichtet über Demütigungen und Misshandlungen auf dem Polizeirevier seines Wohnorts in der Pogromnacht 9./10. November 1938 und die Verschleppung seiner Mitgefangenen - wohl in das KZ Sachsenhausen:

16. November 1938

Die Person, um die es geht, ist in der Nacht von Mittwoch, dem 9. November, auf Donnerstag, dem 10. November, gefangen genommen und mit anderen in eine Zelle im Polizeirevier ihres Wohnortes eingesperrt worden. Am Samstag wurden die Gefangenen zu einem anderen, größeren Ort gebracht und dort ins Gefängnis gesteckt. 16 Personen waren in einer relativ kleinen Zelle.

Sie mussten unter anderem ständig Übungen machen: liegen, aufstehen, liegen, aufstehen, liegen, aufstehen usw. Dabei wurde mal dieser, mal jener geschlagen. Sie mussten auch den Mund aufsperren, und dann wurde ihnen von ihren „Betreuern“ in den Mund gespuckt. Man befahl ihnen, in eine Ecke zu gehen, und sie mussten auf Kommando ein kleines Geschäft erledigen. Dann mussten sie erneut antre-ten. Danach hieß es „Hosen herunter!“ lassen und die Notdurft erledigen, ob sie konnten oder nicht, sie mussten! Man zwang auch alle sechzehn, sich in zwei Reihen zu je acht nebeneinander flach auf den Boden zu legen, und zwar so, dass sich die Füße des einen direkt vor den Füßen des anderen befanden. Plötzlich kam ein roher Wachmann, der die Judenlümmels beschimpfte und der in seinen Stiefeln auf ihnen herumspazierte. Die Leute wurden dann wieder verprü-gelt.

Man belauschte offensichtlich von außerhalb der Zelle, was die Leute redeten. Einer der unglücklichen Gefangenen scheint tatsächlich so etwas wie „Wir haben es schlecht“ laut vor sich hin gesagt zu haben, als er auf dem Boden lag. Sofort kam einer der Wachmänner herein (roher Kerl mit großem Schnurrbart) und befahl dem Mann harsch, aufzustehen. Der Mann, der neben ihm lag (der unser inzwischen entlassener Gewährsmann ist), begriff offensichtlich nicht, dass der Befehl seinem Nachbarn galt, oder vor lauter Schreck nicht wusste, ob er nicht auch gemeint sei, stand auch auf. Der Mann, der etwas gesagt hatte, wurde so lange geschlagen, bis er erzählte, was er gesagt hatte, darauf bekam er nochmals die gleiche Behandlung, woraufhin er in der Ecke zusammenbrach. Dann wandte sich der Wachmann unserem Gewährsmann zu und sagte: „Du Judenlümmel. Du lachst noch!“ Man kann verstehen, dass dem „Judenlümmel“, der genau beobachtet hatte, wie sein Nachbar hatte leiden müssen, nicht zum Lachen zumute war. Eine Antwort wurde natürlich nicht erwartet, aber auch er bekam so viele Schläge ab, dass er sich für den Rest seines Lebens daran erinnern wird.

Unser Gewährsmann, der jetzt entlassen ist, muss sich jeden Tag auf dem Polizeirevier an seinem Wohnort melden. Er lebt in Zittern und Zagen, ob er nicht wieder verhaftet wird.

Die Mitgefangenen, die noch nicht entlassen worden sind, sind an einen unbekannten Ort verbracht worden, möglicherweise in das Konzentrationslager Oranienburg.

Ich kann hier hinzufügen, dass ich aus, soweit ich weiß, vertrauenswürdigen Quellen erzählt bekommen habe, dass in A. zwei Menschen, die einander genau gegenüber wohnten, im Bett erschossen worden sind. Dieses ist auch eine Bestätigung für die fortgesetzte Lebensgefahr, der die Menschen ausgesetzt sind.

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