Bericht aus Kassel
Der Regierungspräsident Kassel erstattet am 2. Januar 1935 folgenden Bericht für November/Dezember 1934:
Allgemeine Übersicht [...]
Eine andere Gefahr ist die Gerüchtemacherei. [...] Vor ungefähr 3 Wochen kursierte im Kreise Schmalkalden das Gerücht über ein Attentat auf Adolf Hitler, sein Kraftwagenfahrer sei tot, er selbst habe einen Schuß durch die Hand erhalten. [...] Gegenwärtig laufen dort Gerüchte über einen im Januar nach der Saarabstimmung ausbrechenden Aufstand. Die Juden zögen vermehrt ihre Kapitalien aus deutschen Unternehmungen heraus und brächten sie ins Ausland, das sei das sicherste Zeichen. [...]
Staatsfeindliche Bestrebungen [...]
Der Stahlhelm scheint sich neuerdings mehr zu rühren. So stellt der Landrat des Kreises Gelnhausen fest, daß sich innerhalb des Stahlhelm in seinem Kreise eine verstärkte Bewegung bemerkbar macht. [...] In einem Orte ist eine Ortsgruppe errichtet, deren Mitglieder größtenteils Jugendliche sind und deren Führer als Judenfreund und Gegner der NSDAP bekannt ist. [...]
Juden und Freimaurer
Die Freimaurerei tritt nicht in Erscheinung. Der Jude ist wieder auf dem Vormarsch. Ich habe bereits früher berichtet, daß der jüdische Händler auf dem Lande seine alte Stellung wieder errungen hat. Auch in den Städten steigt der Umsatz jüdischer Geschäfte. Die Juden selbst sind durchaus dreist. Als Sprecher tritt neuerdings in verstärktem Maße der Zentralverein auf, der eifrig jeden Zwischenfall sammelt. Die hierzu ergangenen Erlasse werden von den Amtsstellen durchgeführt. Auf der anderen Seite wird der Kampf seitens der Partei in verschärftem Maße durchgeführt. In einzelnen Kreisen sind an den Dorfeingängen Tafeln angebracht, die den Zutritt von Juden als unerwünscht bezeichnen. Ich habe mich hierzu auf den Standpunkt gestellt, daß ich gegen derartige Schriften auf Privatgrundstücken zweckmäßig nichts veranlasse. Das Judentum selbst ist geneigt, jeglichen Nachteil als unerlaubten Boykott zu betrachten. In ihren Augen ist bereits die Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahr des Judentums ein unerlaubter Eingriff in die Wirtschaft. Im übrigen sind jüdische Beschwerdeführer, wenn sie persönlich vorstellig werden, fast regelmäßig mit einer Abschrift des bekannten Erlasses des Herrn Reichswirtschaftsministers bewaffnet. Die Behörden andererseits müssen darauf bedacht sein, bei der Bevölkerung nicht in den Ruf zu kommen, Hüter und Schützer des Judentums zu sein.