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Chronik und Quellen
1934
Dezember 1934

Bericht aus Minden

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Minden erstattet am 4. Januar 1935 aus Bielefeld folgenden Bericht für Dezember 1934:

Im übrigen stehen nach wie vor der Kommunismus, der evangelische Kirchenstreit und das Judenproblem im Vordergrund des innerpolitischen Interesses. [...]

Juden

Im hiesigen Bezirk hat sich im Berichtsmonat eine verstärkte antisemitische Welle geltend gemacht. An verschiedenen Orten des Bezirks kam es zu unliebsamen antisemitischen Ausschreitungen, die geeignet waren, das Weihnachtsgeschäft erheblich zu stören und ungewollt eine Propaganda für das Judentum zu machen. So kam es in Bielefeld am 8. Dezember 1934 zu einer Störung eines jüdischen Lichtfestes, das von dem Werkkreis des jüdischen Jugendbundes im katholischen Vereinshaus in Bielefeld veranstaltet worden war. Über diese Vorgänge ist bereits durch Tagesmeldung und eingehenden Bericht nach dort berichtet worden.

In Herford und Vlotho sind von Angehörigen der Nationalsozialistischen Bewegung vor jüdischen Geschäften Zettel verteilt worden, in denen aufgefordert wird, nicht in jüdischen Geschäften zu kaufen. In Herford wurden zudem in der Nacht zum 23.12. von unbekannt gebliebenen Tätern in 2 jüdischen Geschäften die Fensterscheiben eingeworfen, nachdem kurz vorher die Scheiben zweier Feuermelder eingeschlagen und dadurch die Feuerwehr alarmiert worden war.

In das Einheitspreisgeschäft der ''Epa'' in Bielefeld sind von 3 ungekannt gebliebenen Tätern Stinkbomben in den Verkaufsraum geworfen worden. Auch in ein jüdisches Kaufhaus in Gütersloh sind Stinkbomben, dazu eine Tränengasbombe sowie 1 Rauchbombe geworfen worden. Die Ermittlungen hierüber sind noch im Gange.

Auf Grund des Vorfalles im kath. Vereinshaus in Bielefeld sind eine Anzahl von SA Führern, SA Männern und Parteigenossen, die an dem Zusammenstoß beteiligt waren, bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit ohne das Recht zum Tragen der Uniform beurlaubt worden.

Die Gauleitung in Münster, sowie der Führer der SA Gruppe, Gruppenführer Schramme in Dortmund, haben anläßlich dieser Vorfälle erneut scharfe Befehle an die ihnen unterstellten Gliederungen erlassen, in denen jede Einzelaktion verboten und mit Ausschluß aus der Partei bezw. SA bedroht wird.

Der Grund zu diesen Ausschreitungen ist wohl darin zu erblicken, daß das Judentum in der letzten Zeit wieder eine öffentliche Tätigkeit entfaltet und sich nicht mehr so ruhig verhält, wie vor einigen Monaten. Das fällt den älteren Nationalsozialisten in solchen Handelsstädten wie Bielefeld, Herford und Gütersloh besonders auf. Die so gereizte Stimmung der Bevölkerung wurde dann offensichtlich erheblich verschärft durch eine Rede des Gauleiters Streicher in Gütersloh, in der dieser zum entschiedensten Kampfe, auch nach außen hin, gegen das Judentum aufforderte. Wie diese Aufforderung verstanden wurde, geht daraus hervor, daß man in Partei und SA Kreisen anläßlich dieser Vorfälle seitens Beteiligter auf eine angeblich in Aussicht genommene Rede des Gauleiters Streicher in Bielefeld mit dem Bemerken hinwies, ''daß man sich noch auf ganz was anderes gefaßt machen müßte, wenn Streicher erst in Bielefeld gesprochen hätte.''

Dem Vernehmen nach spricht jedoch Streicher vorerst nicht im hiesigen Bezirk.

Eine gewisse Verschärfung der Stimmung gegen das Judentum kommt auch unverkennbar durch den ''Stürmer '', der im hiesigen Bezirk in letzter Zeit mit verstärktem Eifer vertrieben worden ist. Wie aus einer abschriftlich beigefügten Mitteilung des Verlages des ''Stürmers'' an einen Vertreiber des Stürmer hervorgeht, sollte vor Weihnachten der Stürmer insbesondere vor jüdischen Geschäften vertrieben werden. Hierdurch ist es in Gütersloh zu unliebsamen Zwischenfällen vor dem bereits oben erwähnten jüdischen Geschäft gekommen. Es ist selbstverständlich, daß bei einem solchen Vorgehen sich die Entwicklung nicht weiter in ruhigen Bahnen bewegen kann.

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