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Chronik und Quellen
1934
Dezember 1934

Bericht aus Wolfhagen

Der Landrat des Kreises Wolfhagen erstattet am 27. Dezember 1934 folgenden Bericht für November/Dezember 1934:

In der Judenfrage macht sich in letzter Zeit wieder schärfer die Differenz zwischen der staatlichen und der parteipolitischen Behandlung der antisemitischen Bewegung bemerkbar. Hierfür nur zwei Beispiele. Während die Staatspolizeistelle in Kassel unter dem 27.11.1934 80 ihren Standpunkt zur Frage der Aufstellung von Tafeln mit antisemitischen Aufschriften klar zum Ausdruck gebracht hat, wird von Seiten der Partei das Aufstellen derartiger Tafeln auch auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen gerade in letzter Zeit aufs eifrigste propagiert. Es werden sogar gerade diejenigen Landkreise, in denen derartige Schilder häufiger zu finden sind als im Kreise Wolfhagen, als nachahmenswerte Beispiele hingestellt. Den Staatsbehörden, die einer derartigen Handhabung des Antisemitismus entgegentreten, wird u.U. in Verkennung der Tatsachen dann sogar Judenfreundlichkeit vorgeworfen. Die andere Differenz zwischen Staat und Partei besteht in der Frage des Boykotts nichtarischer Geschäfte. Während mit dortiger Verfügung vom 22. ds. Mts. A VII H I 102 nochmals ein scharfer Erlaß des Herrn Reichswirtschaftsministers vom 10.12.1934 übersandt worden ist, der Boykottmaßnahmen, insbesondere Ausschreitungen gegen nichtarische Geschäfte, aufs strengste untersagt, wird von der Partei und von der SA nicht nur der Boykott jüdischer Geschäfte nach wie vor gefordert, sondern auch zu allerhand grobem Unfug wie Einwerfen der Fensterscheiben, Beschmieren der Haustüren und Fenster mit Inschriften, Farbe und der gleichen aufgefordert. Gerade in den letzten Tagen sind mir mehrere derartige Fälle aus den Städten Volksmarsen und Zierenberg bekannt geworden. Die Ortspolizeibehörden greifen im allgemeinen gegen derartige Ausschreitungen aus Angst vor der Partei oder der SA nicht genügend durch. Ich werde die dortige Verfügung vom 22. d. Mts. zum Anlaß nehmen, erneut derartige Maßnahmen als das Ansehen der Partei und des Staates in gleicher Weise schädigend strengstens zu untersagen. Es darf aber dann auch erwartet werden, daß die Staatsbehörden bei der Durchführung derartiger Erlasse wie des erwähnten Erlasses des Herrn Reichswirtschaftsministers vom 10.12.1934 bei einem etwaigen Konflikt mit unteren Instanzen der Partei oder SA gestützt und in Schutz genommen werden.

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