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Chronik und Quellen
1934
August 1934

Bericht aus Wiesbaden

Am 3. August 1934 erstattet das Regierungspräsidium Wiesbaden folgenden „Politischen Lagebericht“ für August:

Allgemeine Übersicht über die innenpolitische Entwicklung [...]

Anläßlich der Beflaggung des Dienstgebäudes des Gendarmeriepostens Deesen zur Volksabstimmung wurde in der Nacht vom 18. zum 19. August 1934 die schwarz-weiß-rote Flagge nach Durchschneiden der Fahnenschnur vom Fahnenmast heruntergeholt. Die angestellten Vermittlungen verliefen bis jetzt erfolglos. Die Tat wird vom Wachtmeister auf die am 13. August 1934 in Selters abgehaltene Wahlversammlung zurückgeführt, woselbst die schwarz-weiß-rote Fahne von dem Redner Pg . Lutz Niederselters als Deckmantel für die Juden hingestellt wurde. Man kann in der Tat die Beobachtung machen, daß in jüdischen und ehemaligen Zentrumsgegenden vorwiegend schwarz-weiß-rot geflaggt wird. [...]

Die Abstimmung verlief durchaus geordnet und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Die Herkunft der Nein-Stimmen ist nicht einheitlich zu klären. [...] In Frankfurt (20.000 jüdische Wähler) wurden die meisten Stimmscheine von der jüdischen Bevölkerung beantragt. In den Judenvierteln betrugen die Nein-Stimmen 15-20%. Zu den Neinsagern in Frankfurt/M. gehören ferner Wähler des Altstadt-Viertels (bis zu 25%). [...]

Juden, Freimaurer

Nach den vorliegenden Berichten sind die Juden im Berichtsmonat politisch nicht besonders hervorgetreten, doch war die Vereinstätigkeit nach wie vor rege. Bei der Abstimmung werden zahlreiche Nein-Stimmen den Juden zugeschrieben, in anderen Fällen haben sie öffentlich und mit Namensunterschrift mit Ja gestimmt. Daß die Juden in Frankfurt/M. in großem Umfang mit Nein gestimmt haben dürften, ist unter 1. ausgeführt.

Aus dem Kreise Diez wird berichtet, daß am 12. August der jüdische Jugendbund Aar eine von 50 Personen besuchte Zusammenkunft in Schiesheim hatte. Zur Tagesordnung sprach der Bezirks-Rabbiner Dr. Laupheimer aus Bad Ems über das Thema religiöse Erneuerung. Er gipfelte in seinen Ausführungen darin, daß die israelitische Jugend wieder zu den alten religiösen Gebräuchen zurückgeführt werden müsse. Den Wünschen aus der Versammlung soll durch Ausführung von vielen Wanderungen, Lernen und Singen jüdischer Lieder sowie Unterhaltung und Mandolinenspiel Rechnung getragen werden.

Auf dem Gebiete des Boykotts gegen jüdische Gewerbetreibende berichtet der Landrat in Limburg:

''Am 18. Juli 1934 fand in Lahr Viehmarkt statt. Auf dem Marktplatz hatte der Ortsgruppenführer einen Teil desselben abgegrenzt und sollten [sic] hier nur arische Personen und Mitglieder der Viehverwertungsgenossenschaft handeln. Der übrige Marktplatz war nach § 64 der R.G.O. für alle Personen von der Ortspolizeibehörde Lahr freigegeben. Ein Herr von Limburg von der Viehverwertungsgenossenschaft verlangte vom Gendarmeriebeamten den Juden beim Handeln den Gebrauch der hebräischen Sprache zu verbieten und mitzuhelfen, daß nur in dem eingezäunten Teil gehandelt würde. Während auf dem freien Teil des Marktplatzes ein reger Handel einsetzte, wurde in dem umzäunten Teil, wohin sich nur wenige Interessenten begeben hatten, auch nur 2 Stück Vieh umgesetzt.''

In Kirberg, Kreis Limburg, wurde der Kaufmann Josef Löwenstein, polnischer Staatsangehöriger, von dem Landwirtschaftsgehilfen Otto Fischbach und dem Landwirtschaftsgehilfen, SA -Mann Emil Marquardt nachts gegen 23 1/2 Uhr in seiner Wohnung verprügelt. Als Grund zur Tat gaben sie an, daß Löwenstein sie öfters beleidigt habe, auch seien öfters Personen bis spät in die Nacht in seiner Wohnung gewesen, welche früher den marxistischen Parteien angehört hätten. Somit hätte der Verdacht bestanden, daß dort geheime politische Versammlungen abgehalten wurden. Die Täter sind angezeigt.

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