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Chronik und Quellen
1934
Juli 1934

Bericht aus Stuttgart

Am 10. August 1934 erstattet das Württembergische Politische Landesamt folgenden Bericht für den Monat Juli:

Juden und Freimaurer

Die Lage der württembergischen Juden kann insofern als eindeutig bezeichnet werden, als die Juden einerseits und die deutsche Bevölkerung sich voneinander möglichst fernhalten. Zwischenfälle mit unliebsamen Weiterungen sind seltene Ausnahmen.

Ende Juni wurde ein Einbruch in die Synagoge in Schwäb[isch] Gmünd verübt, bei dem die Einrichtung des Hauses teilweise beschädigt wurde. Ende Juli mußte in Stuttgart ein Jude verhaftet werden, weil er in unverschämter Weise sich öffentlich über eine Parteidienststelle ausgelassen hatte.

Eine Planmäßigkeit von irgendeiner Seite lag den Vorfällen nicht zu Grunde.

Bei aller äußerlichen Zurückhaltung der Juden sind jedoch in Württemberg seit einiger Zeit Bestrebungen auf vielen Einzelgebieten zu beobachten, die im größeren Zusammenhang gesehen auf eine gesteigerte Aktivität schließen lassen. Es zeigen sich überall deutliche Versuche, die Möglichkeiten, die innerhalb der durch die Rassegesetzgebung und die politischen Verhältnisse gezogenen Grenzen geblieben sind, stärker auszunützen. In der Leitung des Ausschusses der Reichsvertretung der deutschen Juden, der Spitzenorganisationen sämtlicher jüdischer Verbände und Richtungen nimmt der frühere württembergische Ministerialrat Dr. Hirsch eine führende Stellung ein. Es liegen Anzeichen dafür vor, daß die württembergischen Juden aus dieser günstigen Verbindung zur Zentralführung der deutschen Juden manchen Nutzen ziehen wollen.

Der Ausbau der jüdischen Autonomie in kultureller Hinsicht wird im Augenblick in Württemberg mit besonderem Eifer betrieben. In Herrlingen bei Ulm wird ein jüdisches Landschulheim unterhalten. Im Mai dieses Jahres wurde dort eine gesamtdeutsche jüdische Konferenz abgehalten, in der Reformbestrebungen des jüdischen Bildungsprogramms durchberaten wurden. An dieser Tagung nahmen namhafte kulturelle Führer des deutschen Judentums teil, so u.a. Martin Buber , Professor Ernst Kantorowicz , Georg Lubinsky , Dr. Ernst Simon . Auf unmittelbare politische Fragen wurde nach den hier vorliegenden Nachrichten während der Tagung nicht eingegangen.

Das jüdische Lehrhaus in Stuttgart, das im Jahre 1925 unter hervorragender Mitarbeit von Ministerialrat a.D. Dr. Otto Hirsch gegründet worden ist, hat in den letzten Wochen eine Anzahl von kulturellen Veranstaltungen, Vorträgen, Kunstausstellungen, Konzerten, usw. abgehalten und seine Wirkungsmöglichkeiten durch Einrichtung eines Heimes des Jüdischen Lehrhauses verbreitert.

Der mit Nachdruck betriebene Ausbau der jüdischen Organisation tritt weiterhin durch die Eröffnung eines ''Jüdischen Lehrlingsheimes'' in Stuttgart in Erscheinung.

Nach einem Erlaß des Württ[embergischen] Kulturministeriums wird in Württemberg an den höheren Schulen israelitischer Religionsunterricht nicht mehr erteilt. Der Israelitischen Religionsgemeinschaft wird es überlassen, privat israelitischen Religionsunterricht einzurichten. Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln werden jedoch dazu nicht geleistet. Die Juden haben diese Maßnahme durch den Entschluß beantwortet, eine 5 klassige jüdische Schule in Stuttgart zu errichten. Der Schuletat wird mit 10.000 Mark jährlich vorangeschlagen. Der Neubau eines Schulgebäudes soll vorgeschlagen sein.

Die Bestrebungen des Hechaluz werden auch von den württembergischen Juden stark gefördert. So ist u.a. festgestellt worden, daß zionistische Auswanderungsanwärter in bäuerlichen Landwirtschaftsbetrieben in Württemberg untergebracht worden sind. Ein Anzeichen für eine neuerliche Aktivität der Juden in wirtschaftlichen Gebieten kann u.a. auch in Anträgen jüdischer Geschäftsleute erblickt werden, ihnen die volle Ausnützung der wirtschaftlichen Werbemöglichkeiten in der Presse zu sichern. Da tatsächlich nicht nur nationalsozialistische Blätter, sondern auch die frühere sogenannte Generalanzeigerpresse vor allem in kleineren Städten und auf dem Lande es vielfach ablehnen, jüdische Inserate zu veröffentlichen, fühlen sich die in Württemberg allerdings verhältnismäßig schwach in der Geschäftswelt vertretenen Juden stark bedrängt.

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