Die Gestapo Tilsit berichtet
Am 3. August 1934 erstattet die Gestapo für den Regierungsbezirk Gumbinnen aus Tilsit folgenden Monatsbericht für Juli 1934:
Juden und Freimaurer
Die jüdische Loge ''Zu den 3 Erzvätern'' in Tilsit ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das Gebäude ist zwangsversteigert worden und wurde von der Gothaer Lebensversicherungsbank A.G., welche eine erhebliche Hypothek auf dem Gebäude hatte, im Versteigerungstermin erworben. Über die Verwendung des Gebäudes ist seitens der jetzigen Besitzerin noch keine Entscheidung getroffen worden.
Am 3. Juli 1934 veranstaltete die ''Zionistische Vereinigung'', Ortsgruppe Tilsit, aus Anlaß der 30. Wiederkehr von Theodor Herzls Todestag eine Gedenkfeier. In einleitenden Worten wies Rabbiner Dr. Rösel auf den Zweck der Feier hin und gedachte insbesondere des Verstorbenen, der nicht für sich, sondern nur für andere gelebt habe.
Dr. Licht, Königsberg, Bezirkssekretär der Zionistischen Organisation Ostpreußen, legte in einer Gedenkrede Herzls Bedeutung für das jüdische Volk und für den Palästinagedanken in Umrissen dar. Ein Jugendchor brachte Lieder zu Gehör. Von einzelnen Jugendlichen wurden einzelne ausgesuchte Stellen aus Herzls zionistischen Schriften, welche die Judennot und deren evtl. Lösung in Palästina behandelten, vorgelesen. Zum Schluß wurde ein Seelengedächtnisgebet von Rabbiner Dr. Rösel vorgetragen.
Am 8.7.34 hielt der Bundesgeschäftsführer des Bundes jüdischer Frontsoldaten Dr. [Ernst] Fraenkel , Berlin, in der Insterburger Synagoge einen Vortrag über das Thema: ''Um Glaube und Heimat''. 15 Mitglieder der Ortsgruppe waren anwesend. Fraenkel sprach über interne Angelegenheiten. Staatsfeindliche Äußerungen hat er nicht getan. Zum Schluß empfahl er die gründliche Ausbildung der jüdischen Jugend in der Landwirtschaft und im Handwerk, um ihr Siedlerstellen in der Heimat zu schaffen.
Am 15.7.34 führte in der Zionistischen Ortsgruppe Tilsit und zwar im Gemeindehaus der Kreissynagogengemeinde, Schulstr. 13, Bezirkssekretär Dr. Licht, Königsberg, zwei Lichtbildstreifen ''Tel Awiw und die Orangenküste'' sowie ''Levante Messe 1934'' mit Erklärungen vor. Vor dem Lichtbildervortrag fand eine kurze Würdigung des vor kurzem verstorbenen jüdischen Dichters Bialik statt.
Am 15.7.34 fand im Tilsiter Gemeindehaus der Kreissynagogengemeinde ein Treffen der ''Hechaluz Gruppen'' von Insterburg, Königsberg und Tilsit statt, an dem etwa 70 Personen teilnahmen. Es wurden folgende Referate gehalten:
Willi Hoffmann, Königsberg, ''Zur religiösen Frage''. Orthodoxie und Liberalismus wurden in ihren Gegensätzen klargestellt und Folgerungen an einer Reihe von Beispielen gezeigt.
Else Jakobsohn, Insterburg: ''Wie erziehen wir unsere jüdischen jungen Menschen?'' In der Aussprache wurden in praktischer Hinsicht einige Beispiele zur Bildung einer wahren jüdischen Gemeinschaft in Palästina gegeben, deren Grundlage Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Vertrauen zu einander sein müßten.
Am Schluß des Treffens fand nach gemeinsamer Mahlzeit eine Gedenkfeier für den verstorbenen Dichter Bialik statt. Zu den drei Veranstaltungen hatten nur Mitglieder der Tilsiter Kreissynagogengemeinde bzw. des Verbandes Hechaluz auf Grund von Einladungen Zutritt.