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Chronik und Quellen
1945
April 1945

Abzugsvorbereitungen der SS

Alice Ehrmann schildert in ihrem Tagebuch am 17. und 18. April 1945 die Abzugsvorbereitungen der SS und einen nächtlichen Aufruhr in Theresienstadt:

17.4.1945

Die ganze Nacht Alarme, früh um 7 und den ganzen Vormittag. Nachmittag um halb drei kamen Flieger, Hunderte, einzeln, paarweise und in geschlossenen Gruppen. Sie flogen rundherum um das Ghetto, dann nach Norden und Westen, kreuz und quer, Punkte und Storche und donnernde Riesen. Sie zeichneten am Himmel lange Nebellinien, ließen Nebelzeichen senkrecht hinunter, warfen Papier und Staniol ab. Alle Menschen standen draußen, eine trunkene Menge. Die Stadt war ein einziges Aufjubeln, in dem die ersten Krusten der Verstocktheit krachend brachen. Wir fühlen uns plötzlich so sicher und bewacht und behütet von der Welt, die von uns weiß. Die Deutschen bereiten sich vor. Am Bahnhof wird alles, was Räder hat, repariert. Kisten und Anhänger, eine Feldküche, ein Wagen fürs Geflügel, Kaninchenkäfige usw. Alle Schweine bis 60 kg., alles Vieh [ist] geschlachtet worden. Das Geflügel und die Kaninchen werden lebendig mitgenommen. Lastautos mit Bänken versehen, mit Zelten bespannt, Heuwagen werden gerichtet zum Heuwegführen, Schreibmaschinen repariert. In der Sudetenkaserne am Hof brennen zwei große Feuer, schwitzende SS-Männer werfen 10-, 20-kg-Pakete Akten aus den Fenstern heraus. Sie stehen in einer Kette, wie die Juden vor einem Jahr, und plagen sich ab. Oben patrouillieren sie und sammeln die weggeflogenen Blätter auf. Heini hat heute geohrfeigt, aber das ist nicht mehr in der Linie. Von der Kommission weiß man nichts, Murmelstein ist sehr zufrieden. Es erhält sich die „Bonke“ vom Übergeben. Alles steht Kopf, und die Zeit geht doch so langsam.

18.4.1945

Die Psychose ging so weit, daß heute nachts die Nachricht verbreitet wurde, die SS habe die Stadt verlassen. Sofort stürzten die Versippten aus der Baracke heraus, weckten alle anderen und rannten durch die Stadt, trommelten auf die Fensterscheiben und brüllten: Wir sind frei, at’ zije Ceskoslovensko usw. In einer halben Stunde war die ganze Stadt auf und Lärm in den Straßen, hell erleuchtete Fenster, Leute rannten hin und her, so wie sie aus den Betten kamen. Als sich alles ein wenig gelegt hat, kam Murmelstein in die Baracke und brüllte die tobenden Chauvinisten, die indessen die Hymnen der Republik angestimmt haben, tüchtig an. Da kamen auch schon Heini und Rahm mit Maschinengewehren. Rahm ließ alle antreten in sechs Reihen, alle dachten ... Er aber hielt eine Ansprache, die mit „meine Herren“ anfing, „beruhigen Sie sich, das ist alles vorzeitig, ihr werdet alles rechtzeitig erfahren ... usw.“ Unglaublich, ich glaube, die Armen haben Angst vor diesen Idiotenversippten bekommen. Wüßten sie, wie unschädlich diese Schweinsbratennaturen sind ... Früh war Appell. Murmelstein übertrieb. Nachträglich erfuhr man, daß einige Versippte schon mit Koffern bei den Gendarmen angehalten worden sind. Ich denke mir, es wäre in einer gewissen Hinsicht eine Ironie des Schicksals, diese Sheerit Israel zu erhalten, indes Tausende wertvolle Träger des Volkstums zugrunde gehen werden.

Eierlieferung binnen einer halben Stunde ohne Stempeln, auf die Kommandantur. Kursawe: „Ich hab Dich vorgestern im Film gesehen, mit den Enten, es war sehr schön.“ Schwein. Apropos, von 440 (Enten) bleiben 12 kleine. Nachts Gewitter und Anflug.

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