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Chronik und Quellen
1944
November 1944

Bericht über Zustände in Theresienstadt

Die tschechoslowakische Exilregierung benachrichtigt am 8. November 1944 die War Crimes Commission über die Zustände in Theresienstadt und benennt die verantwortlichen Täter:

Kriegsverbrechen - Übergabe von Unterlagen.
Theresienstadt
Anlagen: 5

Im Hinblick auf die in Theresienstadt begangenen deutschen Verbrechen und die damit verbundenen Deportationen hat das Innenministerium folgendes Material zusammengestellt:

Die Gemeinde Theresienstadt wurde per Erlass des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren vom 15. Februar 1942 (siehe Anlage Nr. 1) aufgelöst. Die Besitzer von Grundstücken wurden enteignet, und auf dem so gewonnenen Gebiet errichteten die Nazis ein jüdisches Getto. Die Juden wurden vor allem in der seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr genutzten alten Festung untergebracht. Unter Beteiligung jüdischer Arbeitskommandos räumten die Nazis in Theresienstadt die Häuser, errichteten weitere Baracken, und wo diese nicht ausreichten, nutzen sie die alten Kasematten, um einen Teil der Juden unterzubringen. Familienmitgliedern wies man überwiegend getrennte Unterkünfte zu. Ursprünglich war Theresienstadt als Lager für 40 000 Personen geplant, phasenweise lebten aber weit über 100 000 Personen dort, dabei handelte es sich sowohl um in der Tschechoslowakei lebende tschechoslowakische Staatsangehörige als auch um Menschen, die aus verschiedenen Teilen des besetzten Europa hergebracht worden waren. Im Jahr 1943 waren 70 000 bis 75 000 Juden dauerhaft in Theresienstadt untergebracht. Theresienstadt diente auch als Durchgangsstation für die Deportation von Juden nach Polen. Die Transporte aus Theresienstadt gingen vor allem in die Lager Trawniki, Distrikt Lublin, Birkenau und Tomaszöw. Bis zum 30. September 1943 wurden 6800 tschechoslowakische Staatsbürger - allesamt Juden - nach Birkenau überführt. Unter den Verschleppten befanden sich junge Menschen, aber auch Personen über 70 Jahre, Frauen wie Männer. (Bericht des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Geschäftszeichen 8133/vertraulich vom 25. November 1943.)

Im Jahr 1943 waren die Verhältnisse in Theresienstadt unerträglich, vor allem im Hinblick auf die gesundheitliche Situation. Typhus und Tuberkulose wüteten, und die durchschnittliche Sterberate wird auf 100 Personen pro Tag geschätzt. Die Verpflegung war unzureichend, die Aushungerung der tschechoslowakischen Staatsangehörigen im Lager wurde ebenso vorsätzlich betrieben wie anderswo und war Teil des deutschen Plans zur Ausrottung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, insbesondere der Juden.

Im Herbst 1943 verschlechterte sich die Ernährungssituation im Lager noch einmal beträchtlich, und viele Menschen starben infolge von Unterernährung.

Die Essensrationen im Lager Theresienstadt umfassten:

Morgens: schwarzer Kaffeeersatz, Brot
Mittags: Kartoffeln oder Kartoffelbrei
Abends: schwarzer Kaffeeersatz und Brot

Als einzige Fleischmahlzeit wurde alle zwei Wochen ein Gulasch zweifelhafter Qualität ausgegeben.

Einen Teil der [sich in Theresienstadt aufhaltenden] Juden verschleppten die Nazis in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald.

Glaubhaften Schätzungen zufolge starben dort mehr als 2000 tschechoslowakische Staatsbürger - allesamt Juden.

48 000 Juden starben während der Transporte und am Zielort der Deportation, 15 000 tschechoslowakische Juden starben an Hunger und Epidemien. (MZV Geschäftszeichen 8340/vertraulich/21.12.1943.)

Nach Schätzungen der Combined Working Party in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für wirtschaftliche Erneuerung und dem Ministerium für soziale Fürsorge wurden bis zum Juli 1943 aus dem Gebiet der CSR 142 000 Juden deportiert,

davon

49 000 Personen unter 21 Jahre, beiderlei Geschlechts
42 000 Männer über 21 Jahre
51 000 Frauen über 21 Jahre
davon aus dem Gebiet des sogenannten Protektorats
40000 Juden
davon
14 000 Personen unter 21 Jahre, beiderlei Geschlechts
11000 Männer über 21 Jahre
15 000 Frauen über 21 Jahre
aus den an Deutschland angegliederten Gebieten
1000 Männer
1000 Frauen
aus der Slowakei und der Karpato-Ukraine
100000 Personen
davon
35 000 Personen unter 21 Jahre, beiderlei Geschlechts
30 000 Männer über 21 Jahre
35 000 Frauen über 21 Jahre
Demgegenüber wurden in der CSR interniert:
30 000 fremdländische Personen - davon Juden
11000 Personen unter 21 Jahre, beiderlei Geschlechts
9000 Männer über 21 Jahre
10 000 Frauen über 21 Jahre

Die rechtliche Beurteilung gemäß der Liste der Kriegsverbrechen

IV. Vorsätzliches Verhungernlassen von Zivilisten

VII. Deportation von Zivilisten

VIII. Internierung von Zivilisten unter inhumanen Bedingungen

Der Erlass des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren über die Maßnahmen zur Unterbringung von Juden in geschlossenen Siedlungen vom 16.2.1942 enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:

§ 1, Abs. 1: Auflösung der Gemeinde Theresienstadt (Terezin). Deren Rechte und Verbindlichkeiten werden von der Landesbehörde in Prag abgewickelt.
§ 2: Vorschriften über das Heimatrecht [von Heimatberechtigten der aufgelösten Stadtgemeinde Theresienstadt].
§ 3: Auflassung der kirchlichen Matrikenämter [der anerkannten Religionsgemeinschaften in Theresienstadt] zum 1.5.1942
§ 4, Abs. 1: Enteignung von Grundstücken [in Theresienstadt] mit einer angemessenen Entschädigung zum 31.5.1942 § 4, Abs. 2: Ausnahmen von der Enteignung
§ 5: Erlöschen von Lasten
§ 6: Vereinbarter Eigentumsübergang
§ 7: Sperrung der öffentlichen Bücher
§ 8: Vollzug der Enteignung
§ 9: Entschädigung
§ 10: Auszahlung und Aufteilung der Entschädigungen
§ 11: Übernahme der Entschädigungsleistungen
§ 12: Einrichtung einer Kommission für Entschädigungen
§ 13: Kostenübernahme der Entschädigungsverfahren
§ 14: in Abschnitt 2 wird festgelegt:

„Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren trifft die zum Aufbau der Judensiedlungen erforderlichen Maßnahmen im Verwaltungswege. Er kann hierbei von dem Recht des Protektorates Böhmen und Mähren abweichende Verordnungen treffen.“

Die Funktion des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes übten nacheinander aus:

Stahlecker, SS-Brigadeführer, ernannt am 21.7.1939, gefallen an der Ostfront
Böhme Horst, SS-Standartenführer,
Stahleckers Stellvertreter, übte diese Funktion in den Jahren 1941 und 1942 aus
Dr. Weinmann, SS-Oberführer, trat diese Funktion zum 1. September 1942 an.

Im Erlass des Reichsprotektors vom 5. März 1940 (Anl. Nr. 5) wird festgelegt, dass die Israelitische Religionsgemeinschaft und anderweitige jüdische Organisationen, Stiftungen und Fonds mit Ausnahme der Einrichtungen, die in Paragraph 7 des Erlasses über das jüdische Eigentum vom 21. Juni 1939 aufgeführt sind, der Aufsicht der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag unterliegen, die diese entsprechend den Anweisungen des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren ausübt.

In Paragraph 5 des zitierten Erlasses wird die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds im Besitz der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag festgelegt, der den Namen Auswanderungsfonds für Böhmen und Mähren mit Sitz in Prag trägt. Als Aufsichtsbehörde des Fonds firmiert der Befehlshaber der Sicherheitspolizei beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, der auch die Satzung erlässt. (Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag wurde später in Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, Kreiser Str. 1061, umbenannt.) Der Sitz des Zentralamts befand sich in Prag XVIII., Schillerstraße 11. Einer Nachricht des Ministeriums für Nationale Verteidigung Nr. 18 686 vom 11. Mai 1943 zufolge standen dieser Behörde vor Burger Günther, SS-Sturmführer Fiedler, SS-Funktionär

Die Verantwortung für die Straftaten tragen insbesondere folgende Personen:

1. Heydrich, Reinhard, SS-Obergruppenführer und Polizeigeneral, mit der Funktion des Reichsprotektors anstelle von Neurath betraut, dem Genesungsurlaub bewilligt wurde. Für seine Taten wurde er von der tschechischen Untergrundjustiz verurteilt, und das Urteil wurde am 27. Mai 1942 durch tschechische Patrioten vollstreckt. Heydrich unterschrieb den Erlass vom 16. Februar 1942 zu Theresienstadt (Terezin).

2. Heydrichs Mitarbeiter im Amt des Reichsprotektors

3. Stahlecker, Walter, Dr., Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes vom 21.7.1939 bis 1941

4. Böhme, Horst, SS-Standartenführer, Stahleckers Nachfolger in der Funktion des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes 1941 und 1942

5. Weinmann, Dr., SS-Oberführer, er übernahm die Funktion des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes zum 1. September 1942.

6. Voss, Bernhard, SS-Standartenführer, laut einem Artikel der „Zeit“ vom 28.1.1940 Chef der 6. SS-Totenkopf-Standarte Prag. Ihm unterstand das SS-Bataillon Theresienstadt. 1944 war er Kommandant des Ausbildungslagers Debice in Polen, wo er die Funktion eines SS-Brigadeführers innehatte.

7. Burger, Günther, SS-Sturmführer, Beamter des Zentralamts für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren

8. Fiedler, SS-Funktionär, Beamter des Zentralamts für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren

9. von Neurath, Reichsprotektor, trägt in erster Linie die Verantwortung für die Verfolgung der Juden, ihre Deportation usw. In dieser Funktion unterschrieb er den Erlass vom 5.3.1940.

In den Anlagen Nr. 2 bis 4 werden die Texte der wichtigsten, von den verantwortlichen Personen Unterzeichneten, die Juden betreffenden Erlasse übermittelt, die Texte aller übrigen [Erlasse] befinden sich in der Sammlung von Helmut Krieser Das neue Recht in Böhmen und Mähren, von der der Behörde eine Kopie zur Verfügung steht.

[Das Material] geht an die Behörde des Vertreters in der Kommission für Kriegsverbrechen bei den Vereinten Nationen und in Abschrift an die Kanzlei des Präsidenten der Republik, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Justizministerium zur Kenntnisnahme.

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