Lied über Theresienstadt
Walter Lindenbaum schreibt 1943 ein Lied über Theresienstadt:
Wir sind hier 40 000 Juden,
Es warn viel mehr an diesem Ort,
Und die wir nicht nach Polen verluden,
Die trugen wir in Särgen fort.
Und in den Höfen der Kasernen,
Da stehn wir abends sehnsuchtsbang
Und blicken zu den ew’gen Sternen
Hinauf und fühlen erst den Zwang.
Die Freiheit wohnt im Sternenraume
Und nicht in dem Kasernenloch
Und nachts da flüstern wir im Traume:
„Wie lange noch, wie lange noch?“
Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.
Wir kämpfen um das nackte Leben
Und jeder Tag bringt neue Not.
Den Stolz, den darf es hier nicht geben,
Man bettelt um ein Stückchen Brot.
Früh’r hätt’ man das nicht machen dürfen,
Die Suppe holen im Blechgeschirr
Und ohne Löffel gierig schlürfen.
Hier heißt es: friss oder krepier.
Und demaskiert zeigt sich das Elend
Im Antlitz jeder Kreatur,
Verfehlend, quälend, manchmal stehlend,
Denn hier regiert die Ich-Natur.
Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.
Und wo wir wohnen, ist’s nicht helle
Nur Hoffnung leuchtet uns voran.
Hier hatten Pferde ihre Ställe
Dort schlafen heute 60 Mann.
Die Wangen eingefallen und mager
Von Sehnsucht wird man hier nicht fett,
So liegt man nachts auf seinem Lager
Und träumt vom Bett im Kavalett.
Den Schmerz, den tapfer man verbissen,
Bei Tag, wenn grell die Sonne scheint,
Der hat uns oft das Herz zerrissen,
In Nächten, wenn man einsam weint.
Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.
Du Stadt der Kinder und der Greise,
Die einen unser Hoffnungskeim,
Die anderen, sie entschlafen leise
Und kehren zu den Vätern heim.
Es holt der Tod, der schwarze Ritter
Ein Kind, es ist ihm einerlei,
Dann geht durch alle anderen Mütter
Ein langgedehnter Schmerzensschrei.
Und Männer, die sonst nichts bedauern,
Die noch so abgehärtet sind,
Sie fühl’n im Herzen ein Erschauern
Beim Schrei der Mutter nach dem Kind.
Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.
So leben wir im Ghetto hausend,
Ein Schicksal hält uns alle fest.
Wir Juden hier, wir 40 000
Sind von Millionen noch der Rest.
Wir haben Kummer, haben Sorgen
Und viele Schmerzen haben wir noch,
Wir leben hier von heut’ auf morgen
Aber wir leben schließlich doch.
Man konnte hier uns vieles rauben,
Das Schicksal hat uns hergeführt,
Doch eins behielten wir: den Glauben,
daß es doch einmal anders wird.
Oh, merk’ dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt.
Und wird es einmal anders werden,
Sind Mühsal und Beschwerden aus,
Wird wieder Frieden sein auf Erden,
Dann singe ich mein Lied zu Haus.
Doch will’s das Schicksal anders haben,
Erlebe ich die Freiheit nicht,
Und werde ich auch hier begraben
Wird weiter leben mein Gedicht.
Und wenn die Jahre dann verrinnen,
Für Euch voll sorgenlosen Glücks,
Könnt Ihr Euch einmal dann besinnen
Und denkt an jene Zeit zurück.
Dann sing’, oh Bruder, Kamerad,
Dies mein Liedchen von Theresienstadt.