Besichtigung in Theresienstadt
Andre de Pilar vom Internationalen Roten Kreuz protokolliert am 7. Juli 1943 sein Treffen mit den deutschen Delegierten nach ihrer Besichtigung Theresienstadts:
Bericht über meinen Auftrag in Berlin
Bei meiner Ankunft am Morgen des 28. Juni in Berlin musste ich feststellen, dass sich Herr Hartmann und Herr Niehaus noch in Prag - das heißt in Theresienstadt - aufhielten und erst am Abend zurückkehren würden.
Da ich meinen Besuch im Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes, Blücherplatz 2, für den folgenden Morgen angekündigt hatte, musste ich im Laufe des Vormittags alle nötigen Schritte beim Polizeikommissariat, bei der Ausgabestelle für Rationierungskarten und bei anderen Einrichtungen erledigen. Diese Behördengänge sind sehr zeitaufwendig, denn es gibt keine Taxis, und man muss die recht weiten Strecken entweder zu Fuß zurücklegen oder mit der Straßen- oder Untergrundbahn fahren, wodurch man große Umwege auf sich nehmen muss.
Am Nachmittag wollte ich Kontakt mit der Wilhelmstraße aufnehmen. Ich musste bedauerlicherweise jedoch feststellen, dass Staatssekretär Baron von Steengracht verreist war und auch seine Frau für mehrere Wochen nicht in Berlin weilte. Herr von Steengracht wurde zwar Mitte der Woche zurückerwartet, doch sein Sekretär informierte mich, dass er in den folgenden Tagen schon anderweitig verpflichtet und ein Termin erst im Laufe der folgenden Woche möglich sei. Es schien mir sinnvoll, der Baronin und dem Staatssekretär einen kurzen Brief zu schreiben, in dem ich ihnen unsere Begegnungen 1939 in London in Erinnerung rief und mein Bedauern darüber ausdrückte, sie nicht anzutreffen.
Das am Dienstag, den 29. Juni mit Herrn Hartmann im Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes anberaumte Treffen war auf 10 Uhr festgesetzt, der Empfang war äußerst liebenswürdig. Herr Hartmann schien höchst beeindruckt von seinem Aufenthalt in Theresienstadt und schilderte mir, was er dort gesehen hatte.
Theresienstadt:
Theresienstadt, eine kleine Festungsstadt auf halbem Weg zwischen Prag und der tschechisch-deutschen Grenze, war ursprünglich eine von Kasematten und Festungsanlagen umgebene Stadt, die Platz für etwa 7000 bis 8000 Soldaten und 7000 Zivilisten bot, die mehr oder weniger vom Handel lebten, den die Garnison mit sich brachte. Derzeit leben in der Stadt, aus der die gesamte deutsche und tschechische Bevölkerung umgesiedelt worden ist, 45 000 Juden, größtenteils Deportierte aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, teilweise aus Wien und aus deutschen Großstädten. Es handelt sich vor allem um Alte und Kranke, deren ehemaliger gesellschaftlicher Status eine direkte „Deportation“ nach Polen offenbar nicht erlaubte. Es wurde sogar ein Haus für namentlich bekannte Personen eingerichtet, wie beispielsweise einen Baron von Bleichröder und die Witwen bekannter Schriftsteller, doch selbst dort leben die Menschen zu viert oder zu fünft in einem Raum. Ein Drittel der Bevölkerung ist nicht mehr arbeitsfähig, und die übrigen zwei Drittel müssen mit ihrer Arbeit den Rest ernähren. In der Stadt wurden Werkstätten, einige Geschäfte und Gemeinschaftsküchen eingerichtet, es wurden sogar eigene Banknoten für diese jüdische Gemeinschaft ausgestellt, die eine Enklave auf dem Gebiet des Protektorats darstellt.
Herr Niehaus, der Herrn Hartmann begleitet hatte, erklärte uns, dass der sie begleitende Vertreter der Protektoratsregierung versichert habe, die Rationen der internierten Personen entsprächen den üblichen im Protektorat. Allerdings, fügte er hinzu, hätte er sich nicht persönlich davon überzeugen können. In Theresienstadt gewannen die Herren allerdings den Eindruck, dass die Verpflegung nicht ausreichend ist und die Menschen dort dringend Lebensmittel und Medikamente benötigen. Herr Niehaus hob hervor, dass sie während des Besuchs in einem Krankenhaus von einem Arzt, der in Deutschland einst eine Koryphäe war, gebeten wurden weiterzugeben, dass er für seine Operationen einen „Operationstisch mit Öllagern“ und eine spezielle Lampe (schattenlose Operationslampe) benötige.
Herr Hartmann machte darauf aufmerksam, dass aus dem Protektorat individuell Pakete nach Theresienstadt versendet würden, zuweilen 3000 pro Tag, und einen Stau auf dem dortigen Postamt verursachten. Das sei ein Problem, auch wenn die Pakete durchaus als Sympathiebekundung für die Internierten gesehen werden könnten.
Auf der Tagesordnung steht derzeit also, die Ausgabe dieser Pakete zu organisieren. Das Deutsche Rote Kreuz zieht in Zusammenarbeit mit den Behörden des Protektorats ein System in Betracht, die Zahl der Pakete durch die Ausgabe von Sondermarken zu begrenzen. Sie würden dazu berechtigen, monatlich (oder wöchentlich) eine bestimmte Anzahl von Paketen nach Theresienstadt zu verschicken.
Herr Hartmann brachte eine Idee auf, die ich selbst mit den Herren hatte besprechen wollen, nämlich für alle nach Theresienstadt abgehenden Pakete eine andere Adresse als die des dortigen Ältestenrats der Juden zu finden. Das Deutsche Rote Kreuz erwägt, die „Landesstelle des Deutschen Roten Kreuzes“ in Prag als Zwischenadresse zu nutzen und einen dortigen Mitarbeiter damit zu beauftragen, die in Prag ankommenden Pakete nach Theresienstadt weiterzuleiten. Die Herren des Deutschen Roten Kreuzes teilten mir außerdem mit, dass der Vertreter der Protektoratsregierung sie darauf aufmerksam gemacht habe, dass einer unserer Waggons, der an den „Ältestenrat der Juden“ in Theresienstadt adressiert war, während er Wien passierte, unter den Arbeitern (??) für Aufruhr gesorgt und die Behörden unangenehm überrascht habe.
Eintreffen unserer Sendungen: Herr Hartmann bestätigte mir, dass unsere Sendungen mit Medikamenten eingetroffen und an die Krankenhäuser, Altenheime und Geschäfte der Stadt verteilt worden sind. Auch Kondensmilch, getrocknete Pflaumen und Hülsenfruchtmehl seien unbeschadet angekommen. Die Empfangsbestätigungen würden wir auf dem herkömmlichen Weg erhalten.
Zollkosten für Hülsenfruchtmehl: Ich sprach bei dieser Unterredung auch die Zollkosten für das Hülsenfruchtmehl aus der Schweiz an, die sich auf unerschwingliche Summen belaufen. Herr Hartmann erwiderte, dass es sich dabei unglücklicherweise um den offiziellen Zollsatz handele, er aber verstehe, wie schwierig diese Situation für das Vereinigte Hilfswerk sei. Dennoch sehe er keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Ich habe mir erlaubt, die Herren darauf aufmerksam zu machen, dass die Wahl eines anderen Zolltarifs die Lage möglicherweise vereinfacht hätte, und bat sie, die gesamte Angelegenheit unter diesem Gesichtspunkt erneut zu prüfen.
Um das Thema Theresienstadt abzuschließen: Die Herren informierten mich darüber, dass sie am Freitag oder Samstag den Besuch eines Regierungsvertreters aus dem Protektorat erwarteten, um gemeinsam ein abschließendes Protokoll ihres Besuchs zu verfassen, in dem ihre Eindrücke und Verbesserungsvorschläge zur aktuellen Situation festgehalten werden sollen.
Herr Hartmann äußerte den Wunsch, mich nach dem Besuch des Regierungsvertreters, Herrn Eichmann, noch einmal zu treffen. Leider sah ich mich genötigt, ihm zu erklären, dass man mich am Montag in Genf zurückerwartete und es mir wahrscheinlich nicht möglich sein würde, am 5. und 6. Juli noch in Berlin zu sein.
Norwegen: Ich erklärte den Herren unsere Schwierigkeiten in Bezug auf die Wahl einer Adresse und die Lage, in der wir uns derzeit befinden, nachdem die deutschen Behörden das „Svenska Donatoren Komitet“ als Verteilungsstelle unserer Sendungen abgelehnt haben. Herr Hartmann stellte nachdrücklich fest, dass der Vorschlag, das norwegische Rote Kreuz als Vermittlungsstelle zu benutzen, auf eine Intervention des Deutschen Roten Kreuzes zurückgehe und das „Svenska Donatoren Komitet“ tatsächlich nur eine kleine Gruppe von Vertrauensleuten umfasse, die in Norwegen nur die Rolle gespielt hätten, die unser Delegierter in dem vorgeschlagenen Konzept übernehmen sollte. Herr Hartmann zeigte großes Verständnis für die Gründe, die einer Zusammenarbeit mit dem „Nasjonalhjelpen“ entgegenstünden. Er wäre jedoch höchst erfreut, wenn die Angelegenheit zu einem positiven Abschluss käme.
Bezüglich der Begleitscheine wurde das Deutsche Rote Kreuz davon in Kenntnis gesetzt, dass die Entscheidungen zwischen der deutschen und der Schweizer Delegation in Bern getroffen würden, die Begleitscheine für die Sendungen des Vereinigten Hilfswerks jedoch wohl bewilligt werden würden.
Polen: Hinsichtlich unserer Sendungen nach Polen erklärte ich, dass eine wichtige Hilfslieferung aus der Schweiz direkt an die Adresse des „DRK-Beauftragten“ in Krakau geschickt worden sei, um von dort aus an den „Polnischen Hauptausschuss“ weitergeleitet zu werden. Die Anwesenheit eines Delegierten sei nicht notwendig. Ich nutzte die Gelegenheit, um Herrn Hartmann zu erklären, dass es weder vom Vereinigten Hilfswerk noch von den Spendern abhänge, ob ein solcher Delegierter anwesend sein müsse. Zuständig seien vielmehr die Behörden, die über den Transfer der Einkäufe in der Schweiz entschieden, oder die Behörden, die die Navycerts für die Güter nach Übersee ausstellten. Ich betonte, dass dies keineswegs als Zeichen mangelnden Vertrauens oder allgemeinen Misstrauens zu werten sei, sondern das Vereinigte Hilfswerk gezwungen sei, allgemeine Regeln zu befolgen, um die Hilfstätigkeit überhaupt zu ermöglichen. Meine Erläuterungen schienen bei den Herren auf großes Interesse zu stoßen, da sie sich der Schwierigkeiten bei der Beschaffung der nötigen Mittel und beim Gütertransport nach Übersee offenbar überhaupt nicht bewusst waren. Meine Frage, ob die Herren davon ausgingen, Ende August oder im September einen weiteren Delegierten auf die Reise zu schicken, wurde bejaht. Herr von Heidekamp fügte hinzu, der Eindruck, den Herr Wyss bei seiner letzten Reise im Generalgouvernement hinterlassen habe, sei so zufriedenstellend gewesen, dass er nicht glaube, eine erneute Reise könne auf Schwierigkeiten stoßen. Holland: Bezüglich der Verteilung [von Hilfsgütern] in Holland nutzte ich die Gelegenheit, um mich für die Unterstützung, die das Rote Kreuz Herrn Friedrich in Holland zuteilwerden ließ, zu bedanken, die ihm seine Aufgabe sehr erleichtert hat. Herr Hartmann erwiderte, das Rote Kreuz und die holländischen Behörden seien sehr zufrieden mit dessen Arbeit und Auftreten, und er hoffe, dass ein Einsatz dieser Art bald wiederholt werden könne.
Belgien: Daraufhin ging Herr Hartmann zu Belgien über und betonte, dass die neue Vereinbarung bezüglich der [Hilfs] Sendungen zwischen Lissabon und Brüssel höchst zufriedenstellend laufe und die Berichte aus Hendaye und aus Brüssel darauf hinwiesen, dass [für die Abwicklung] eine gute Lösung gefunden worden sei. Über die Schwierigkeiten im Postverkehr zwischen Brüssel, Genf und Lissabon schien Herr Hartmann aber nicht informiert zu sein, und ich erklärte ihm grob die Lage. Er schlug vor, die Angelegenheit von seiner Seite noch einmal zu prüfen und, so gut es geht, zu lösen. Ungarn und Rumänien: Was den Balkan anbelangt, gab ich den Herren einen Überblick über unsere Hilfslieferungen aus diesen Ländern und betonte, wie dankbar wir für die Unterstützung seien, die wir sowohl von den Dienststellen des Deutschen Roten Kreuzes als auch von der „Frachtenleitstelle Südost“ erhalten haben. Bei dieser Gelegenheit erwähnte ich die Opium-Waggons, die in Sofia zurückgehalten wurden und deren Freigabe mir schon zu Beginn des Gesprächs in Aussicht gestellt worden war. Den Herren war über die tatsächlichen Gründe für diese Schwierigkeiten nichts bekannt, und wir vereinbarten, dass Herr von Heidekamp und ich umgehend die „Frachtenleitstelle Südost“ aufsuchen sollten, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Zusammenhang mit den Transportproblemen in Griechenland verwies ich darauf, dass auch dies mit der „Frachtenleitstelle Südost“ geklärt werden sollte. Herr von Heidekamp wird sich um einen Termin mit Herrn Direktor Jäger bemühen, der in diesen Fragen entscheidet. Die Adresse der „Frachtenleitstelle Südost“ ist Lennestraße 4, Berlin W9. Lebertran-Einkäufe mit den Geldern, die uns von der Nuntiatur in Bern übergeben wurden:
Herr Hartmann informierte mich darüber, dass dieser Einkauf vorgenommen werden kann und wir 20 000 Kilo erhalten können. Er verwies jedoch darauf, dass die deutschen Behörden ihrerseits schon entschieden hätten, entsprechende Mengen nach Finnland zu schicken und, soweit ich mich erinnere, auch nach Griechenland. Aus diesem Grund sei es nicht ratsam, Güter aus Deutschland in die genannten Länder zu schicken. Die Herren informierten mich darüber, dass dem Vereinigten Hilfswerk die Einzelheiten dieser Entscheidung per Brief mitgeteilt würden. [...]
Allgemeine Anmerkungen zum Deutschen Roten Kreuz und dem Amt Auslandsdienst:
Mein Eindruck von den Abteilungen im Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes, Amt Auslandsdienst war generell sehr positiv. Auf jeden Fall haben die Herren, mit denen ich zu tun hatte, großes Verständnis für unsere gesamte Aufgabe gezeigt und waren guten Willens, uns darin zu unterstützen und ihr Möglichstes zu tun, unsere Hilfsaktionen zu erleichtern.
Andererseits ist festzuhalten, dass es sich nicht um Fachleute handelt und sie unsere Wünsche deshalb an andere Instanzen weiterleiten müssen. Es erscheint mir aber höchst wünschenswert, den Kontakt mit den Berliner Behörden, das heißt mit der Frachtenleitstelle Südost, dem Auswärtigen Amt und weiteren Stellen, aufrechtzuerhalten. Unsere Vertreter sollten sich deshalb von Zeit zu Zeit nach Berlin begeben und den Leitern dieser Stellen in Begleitung eines Herrn vom Deutschen Roten Kreuz einen Besuch abstatten.
Der Einfluss, den die Herren vom Deutschen Roten Kreuz haben, scheint mir dagegen nicht sehr bedeutsam. Viel mehr Eindruck macht die Anwesenheit eines Vertreters aus Genf, und die Zusammenarbeit könnte sich höchst positiv auf unsere Tätigkeit auswirken.