Unerträgliches Leben in Theresienstadt
Die Malerin Else Argutinsky-Dolgorukow notiert am 1. Mai 1943 in ihrem Tagebuch die Befürchtung, am Gettoleben zugrunde zu gehen:
Nun bin ich wieder aus dem Eldorado der Krankenstube in die scheußlichste aller scheußlichen Unterbringungen zurückgekehrt und bedaure nur, so gedrängt zu haben mit der Entlassung aus dem Krankenzimmer, wie es hier heißt: Marodenzimmer. Aber der beginnende wunderbare Frühling lockte mich so stark an die Arbeit, und kaum kam ich in meinen Dunkelarrest, so muß ich schon meine Bleibe nennen, zurück, da begann noch einmal eine Eiseskälte mit häßlichem Wind, und an Malen war nicht zu denken. Auch fühlte ich erst hier oben in den bedrängten Gräßlichen Verhältnissen wieder, wie sehr die Krankheit mich mitgenommen und daß sie noch nicht vorüber war. Ich lag neben einer 80jährigen Dame aus Aussig, die jünger und wohlgenährter aussah als ich, mich könnte man für Zeichnungen eines anatomischen Atlas verwenden, so stark habe ich hier abgenommen, aber ich wog in der Iranischen Straße im Krankenhaus vor dem Abtransport in Kleidern am Abend nur 48 kg., hatte also bereits fast 20 kg. an Gewicht verloren, und jetzt?! Ich weiß es nicht, fühle nur die Einbuße als große Schwäche, trotzdem ich mich im Krankenzimmer zum Zeichnen aufraffte. Überhaupt, was danke ich nicht alles der Kunst und den so teilnahmsvollen hiesigen jungen tschechischen Kollegen; sie zollen mir einen ungeahnten und unverdienten Beifall und helfen mir auch mit Bilderverkauf für Lebensmittel (etc.). Gestern hat ein 25jähriger Kollege Peter Kien (sehr talentvoll) mich porträtiert, eine Zeichnung, sehr gut getroffen, da habe ich erst gesehen, wie ich aussehe, wie meine eigne Großmutter. Ich habe auch jetzt nicht mehr die Vitalität und die robuste Gesundheit, die ich hatte, und fühle, daß ich lange dieses Leben hier nicht mehr ertragen werde, daß auch der Körper keine Abwehr mehr aufbringt gegen Infektionen etc. Darum bemühe ich mich, doch Euch, wenn irgend möglich durch jemanden, der jünger ist und durchhalten kann, einmal diese Notizen übergeben kann, damit Ihr Euch wenigstens eine Vorstellung von meinem Leben hier machen könnt und von dem vielen Schönen, was ich hier durch die völlige Hingabe an die Kunst habe, doch auch sehr viel glückliche Stunden erlebe. Gern hätte ich es allerdings gehabt, Euch alle noch einmal wiederzusehen und auch meine letzte Ruhestätte in Potsdam zu finden, und hier wird man nur in Gemeinschaft eingeäschert und keinerlei Denkstein erinnert an die Existenzen der Guten und Bösen, der Bedeutenden und der Unbedeutenden. Man wird buchstäblich ausgelöscht, und das wird wohl überhaupt im neuen Europa, oder wie die Welt sich nach diesem unerhörten Ringen gestalten wird, die Col-lektivform für Sein oder Nichtsein werden. Ich las in den letzten Tagen wieder im Jacob Burckhardt das Kapitel „Glück und Unglück in der Geschichte“. Alles ist bedingt in dieser Welt und unser Unglück ist nur ein kleines Stäubchen im Ringen des Weltgeschehens im Ringen; das Glück des einen wird das Unglück des ändern! Immer klarer hebt sich doch die Umgruppierung der Menschheit und Kontinente heraus.