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Chronik und Quellen
1945
Februar 1945

Leben zwischen Hoffen und Verzweiflung

Die ungarische Jüdin Rözsi Wolf schildert am 17. Februar 1945 in ihrem Brieftagebuch ihr Leben zwischen Verzweiflung und Hoffnung im Zwangsarbeitslager Viehofen:

Lieber Lacika,

regelmäßig Tagebuch zu führen, dafür habe ich kaum Zeit, lieber schreibe ich, wenn viele Ereignisse zusammengekommen sind. Diese Woche habe ich schlechte Tage gehabt. Die Menschen um mich herum sind nervös. Und das hat eine schreckliche Auswirkung auf mich, wenn man eigentlich die eigene Ruhe erhalten möchte. Diese Woche waren wir auf der Baustelle arbeiten. Das Wetter war schön, und es gab auch einen Bombenalarm, darüber freuen wir uns dann, weil dann die Arbeitszeit kürzer ist. Ich habe mich ziemlich zurückgezogen. Es sind so viele Menschen mit schlechten Absichten hier ...

So fühle ich mich wohl, wenn ich hin und wieder in mein kleines Heft schreiben kann, was ich grade fühle und denke. Diese Woche ist die Brotration gesunken, das ist ziemlich schrecklich, denn hier geht es um unsere Lebenserhaltung. Es ist schrecklich, dass man aus unseren übrig gebliebenen Sachen kaum etwas noch verwerten kann. Gott sei Dank fühle ich nicht andauernd den Hunger.

Diese Woche waren wir in der Stadt. Es gab Kleiderläuse in den Baracken, und wer wollte, konnte in den Raum, wo man desinfiziert wurde. Ich habe mich auch gemeldet. Ich dachte nicht nur an das Baden, sondern dass ich zur Abwechslung auch mal was anderes erlebe.

Neben einem schönen Krankenhaus war der Desinfektionsraum, und dieser war recht verwahrlost. Die Männer und die Frauen baden zusammen, also habe ich lieber nicht gebadet. Habe Brotmarken bekommen. Es war ein bekanntes Gefühl, zum Bäcker reinzugehen und Brot zu kaufen. Wie schön wäre es, wieder ein normales menschliches Leben zu führen. Dass Menschen mit ehrlich verdientem Geld wieder frei entscheiden könnten.

Und dass sie nicht aus Mitleid den unglücklichen Juden ein Stück Brot geben. Es war ein gutes Gefühl zu merken, dass auch in diesen durch Erdbeben erschütterten Zeiten in den Menschen das Mitleid dem anderen gegenüber nicht ganz ausgestorben ist. Dies bezieht sich aber leider eher auf die Christen und auf unsere Arbeitsführer, die bessere Absichten hegen, als die paar Juden, denen gegenwärtig unser Schicksal anvertraut ist. Es wäre traurig, wenn jeder seine Arbeit so gewissenlos erledigen würde wie diese Menschen.

In unserer Baracke gab es letzte Woche einen Todesfall. Es war ein älterer Herr. Es ist ziemlich traurig, dass sie auch so alte Menschen ohne Rücksicht aus ihren Häusern rausgeschmissen haben. Wer weiß, wie viel Seelenleid und wie viele Kämpfe er durchgemacht hat, um dann an solch einem traurigen Ort zu enden. Aber auch da geht alles bald weiter. Viele sagen, dass immer weniger Juden auf dieser Welt noch leiden. Inzwischen hat das erfreuliche politische Ereignis, das jüngst geschah, hier im ganzen Lager eine große Aufregung ausgelöst.

Viele dachten, dass es nur noch eine Frage von Tagen ist, bis wir befreit werden, aber leider ist nichts passiert. Meinerseits wäre ich damit einverstanden, wenn die Wende am Ende des Frühlings eintreten würde, obwohl dies auch ein später Termin wäre.

Unser Zustand ist immer mehr zum Verzweifeln. Wir werden immer schwächer, und die Todesfälle hintereinander sind erschütternd. Die Herzen der Alten halten diese ganze Aufregung und die nicht gehaltvolle wässrige Nahrung nicht mehr aus. Meistens sind die Männer viel zerstörter. Bis jetzt halten wir, die Jungen, noch besser aus, aber wir halten auch kaum durch. Aber nervlich belastet mich die Situation auch sehr. Soweit ich mich schonen kann, tue ich es und versuche, alles vernünftig zu machen. Bei der Arbeit versuche ich, gleichmäßig und langsam zu arbeiten, so dass ich nicht so schnell erschöpft werde. Ich passe auf, dass ich nicht gegen die Regeln verstoße [...]. Wir haben ungarische Soldaten getroffen und haben gleich die Arbeitsdienstler ausgefragt. Der eine hat gesagt, dass er euch gesehen hat, der andere hat gesagt, er weiß nicht, wo ihr sein könntet. Es ist schrecklich, dass wir uns voneinander derart getrennt haben, dass wir nicht einmal wissen, wo ihr seid und wie es euch geht.

Ich hätte so gern, wenn du jetzt ein bisschen neben mir sitzen würdest und wir uns zusammen über den Frühling und über unsere Jugend freuen würden. Ich nörgle nicht, man muss immer alles so nehmen, wie unser Schicksal eben verläuft. Gott belohnt und bestraft jeden nach seinem Verdienst. Sicher ist, dass wir nicht unnötig leiden, auch kann es sein, dass dieses Leiden eine Probe für uns ist. Jetzt denke ich gerade, dass ich vielleicht nicht immer so zu dir war, wie ich hätte sein sollen, deswegen sind wir so lang voneinander getrennt. Seitdem ist viel passiert, und ich habe gelernt, was Leben ist, und ich würde dich jetzt auch besser verstehen. Jetzt muss ich aufhören zu schreiben, weil ich zurück in die Baracke muss, weil es dunkel geworden ist. Ich denke mit viel, viel Liebe an dich. An meinen kleinen Schatz. Viele Küsse, und ich wünsche dir alles Gute

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