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Chronik und Quellen
1945
Februar 1945

Schlechter Gesundheitszustand bei KZ-Häftlingen

Loden Vogel beschreibt in seinem Tagebuch am 15. Februar 1945 den schlechten Gesundheitszustand der Häftlinge in Bergen-Belsen und seine Hungerphantasien:

Ich bin todmüde, hungrig und ratlos - aber irgendwo ist ein Stück meines Selbst, das allerwichtigste, ruhig und unversehrt. Damit in Übereinstimmung eine weitgehende Parallele zwischen dem früheren erotischen Leben und dem heutigen Essensleben: viel jammern, dadurch Chancen verderben, Mangel an Diskretion und zu wenig unbescheiden, was jeder bekommen kann, bekomme ich nicht. Etwas an uns bleibt immer gleich. Im Lager kehrt nach dem Umzug langsam Ordnung ein. Die Baracken sind voll mit Kandidaten für das Krematorium: Skelette, die nur das Bett verlassen, um Essen zu holen. Auf dem Dach liegt keine Teerpappe; wenn es regnet, wird alles nass, Betten, Decken, Gepäck. In meiner eigenen Baracke (in der ich nicht schlafe) gibt es auch kein Licht; auf der Straße überall Fäkalien.

Hier im Saal kann ich es nicht mehr lange aushalten. Die Chance auf ein Extra gab mir früher immer Hoffnung, jetzt ist nichts mehr zu erwarten. Pakete werden nicht mehr kommen. Das Hungergefühl ist längst nicht die wichtigste Facette des Hungerns; Es hält kurz an und ist mit einem Minimum an Essen zu vertreiben. Das Wichtigste ist die physische Veränderung, welche die sog. Verfressenheit, Hungerphantasien und Neid hervorbringt. Das Hungergefühl war in der Küche sofort verschwunden, aber der Rest blieb. Daher das Überfressen, das ich mir immer antat, und der Hunger direkt nach der Entlassung. Mams liegt in ihrem Bett und hungert, Papa auch. Letzterer ebenso wie ich mehr über meine Küchenperiode als über früher phantasierend: Knackwurst und Fleisch für ihn, leckeres Essen, Toast mit Zucker, dicker Brotbrei, warmer Butterkuchen, die schwarze Rinde eines Brotes dick mit Butter und Leberwurst für mich. Nun, da der Lagerälteste behauptet, dass der letzte Transport ... in ein Konzentrationslager weg ist, weiß man nicht mehr, was man hoffen oder erwarten kann. Der Krieg läuft gut. Ein schwacher Optimismus regt sich. Mir bleibt nur die Hoffnung, alles so zu formulieren, dass es Genuss bereitet, auch wenn ich nicht glaube, dass das Tagebuch aus dieser Pesthölle herauskommt, um den Freunden von unserem Hungertod - das Letzte, was man für uns in petto hielt - zu berichten.

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