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Chronik und Quellen
1945
Februar 1945

Deportation letzter „Mischehen“-Partner

Der Hamburger Jurist Erwin Garvens zeigt sich Mitte Februar 1945 in seinem Tagebuch bestürzt darüber, dass nun auch die letzten in „Mischehe“ lebenden jüdischen Frauen deportiert werden:

Sonntag, 11. Februar geriet ich, als ich aus lauter Verzweiflung, wie ich den Sonntag hinbringen sollte - ich leide gegenwärtig einmal wieder ernstlich unter Beschäftigungslosigkeit -, nach dem 2. Frühstück in die Stadt bummelte, ins Passagetheater in der Mönckebergstraße, wo ein von der Presse gelobter Film, „Philharmoniker“ gerade begonnen hatte. Um die Wochenschau kam ich also glücklich herum. Leider war auch dieses Machwerk durchaus unbeachtlich: daß man das Berliner Philharmonische Orchester darin in voller Stärke sah und hörte, war schließlich nichts Neues. Den Filmregisseuren scheint wirklich nichts mehr einzufallen. Nachmittags kam Oscar Bosselmann mit der Schreckenskunde, seine Frau müsste am Mittwoch auf Befehl der Gestapo wie die anderen hiesigen jüdischen Frauen arischer Männer - die man bisher noch zufrieden gelassen hatte - antreten, um „für besonderen Einsatz“ verschickt zu werden. Der Nazi-Sadismus treibt also immer noch Blüten. Hamburgische Behörden haben mit der Sache nichts zu tun, die Aktion geht einzig von Berlin aus. Ob man es denn immer noch nicht fertigbringen kann, sich von diesen Einflüssen frei zu machen? Was man noch tun kann, um die arme Wiltrud vor dieser scheußlichen Maßnahme zu brechen - es könnten wohl nur noch gesundheitliche Gesichtspunkte nützen -, wissen wir nicht. Mittlerweile haben die Russen die Oder südlich Breslau auf 160 km breiter Front überschritten und strömen unaufhaltsam nach Westen; über kurz oder lang sind sie in Sachsen!

Dienstag, 13. Februar um die Zeit totzuschlagen, wieder in unsere Grindel-Flohkiste -diesmal auf dem billigsten Platz! Der Mob saß in „Loge“ oder auf „Polster“. Es gab einen schon älteren Film „Marguerite: 3“, nach dem reizenden Lustspiel gleichen Titels von Schwiefert, das wir vor langen Jahren mit Anneliese Born in der Titelrolle sahen. Die Erinnerung daran wurde durch den die Geschehnisse natürlich stark vergröbernden Eindruck des Films nicht verwischt, wenngleich lauter prominente Darsteller, Gusti Huber, Lingen, Thimig u. a. mitspielten. - Wie fast überall - und zwar schon lange und ohne Aussicht auf Remedur - waren am Mittwoch, 14. Februar auch die Heizungskoks zu Ende, und die Zentralheizung hörte auf. Die Heißwasserversorgung ist, zunächst stark eingeschränkt, schon länger eingestellt. Wir heizten, Gott sei Dank im Besitz einiger Brikett-Vorräte, unseren Ofen und können der weiteren Entwicklung der Dinge mit einiger Ruhe entgegensehen. Zwei Tage später bekamen wir überdies einen Wagen Anthrazitkohlen, und die Zentralheizung konnte wieder für einige Zeit in Betrieb genommen werden. In diesen Tagen begannen auch wieder die Voll-Alarme. Die Angriffe richten sich neuerdings, zur Unterstützung der unaufhaltsam vordringenden russischen Offensive, gegen die nach Osten führenden Verbindungslinien; so wurde kürzlich Dresden, das bisher ziemlich verschont geblieben war, schwer heimgesucht. Bei dieser Sachlage wird man hier, so lange es gut geht, bei Alarm wieder pomadiger.

Donnerstag, 15. Februar wurde bei Schröder trotz Vollalarm ruhig weitergefeiert, nachdem die 12-Minuten-Warnung aufgehoben war. - Begreiflicherweise beschäftigte uns in diesen Tagen Wiltrud Bosselmann’s Schicksal vor allem ändern, namentlich nachdem wir gehört hatten, daß alle Versuche, sie aus gesundheitlichen Gründen frei zu bekommen, fehlgeschlagen seien. Oscar besuchte uns

Freitag, 16. Februar und erstattete uns einigermaßen beruhigenden Bericht. Es scheint sich tatsächlich um einen Arbeitseinsatz, nicht um eine Verschickung nach Theresienstadt oder sonstwo hin zu handeln, und man scheint bei dem Transport weitgehende Rücksichtnahme walten zu lassen. Auch Oscar’s Hausstand wird dank geeigneter Organisation und Hilfe unter dem Fehlen der Hausfrau nicht allzu schwer zu leiden.

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