Menü
Chronik und Quellen
1944
Oktober 1944

Demütigungen von „Mischlingen“

Der wegen Mitarbeit in der „Weißen Rose“ zum Tode verurteilte Hans Konrad Leipelt begründet sein Gnadengesuch vom 29. Oktober 1944 mit den Demütigungen, die er als „Mischling“ erfahren hat:

Am 13.10.1944 wurde ich vom 2. Senat des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilt. Ich bitte um Umwandlung dieser Strafe in eine Freiheitsstrafe auf dem Gnadenwege.

Zur Begründung dieses Gesuchs seien zunächst folgende kurze Bemerkungen über die einzelnen mir zur Last gelegten Handlungen gestattet: „Propaganda“ für pazifistische oder bolschewistische Ansichten zu machen habe ich nie beabsichtigt. Es handelte sich bei solchen Unterhaltungen stets um Diskussionen über das Für und Wider dieser Dinge, und diese Diskussionen waren immer auf den Kreis meiner Freunde und Bekannten beschränkt - wobei ich natürlich ehrlich diejenigen Anschauungen vertrat, die ich mir nun einmal zu eigen gemacht hatte. Die angeführten „Sabotagepläne“ waren, von meiner Seite jedenfalls, nichts als eine Art jugendlicher Räuberphantasien und sind auch über dies Stadium nie hinausgekommen - ebenso wie es bei anderen wilden Unternehmungen durchweg beim Vorhaben blieb. (Ich würde all das gerne näher ausführen und belegen, wenn der mir zur Verfügung stehende Raum größer wäre.)

Doch werden alle Äußerungen wie die hier angedeuteten den akzeptierten Tatbestand nicht soweit berichtigen können, daß eine mildere Strafe notwendig würde. Daher beruht meine Hoffnung darauf, man werde sich bei der Beurteilung meines Gesuchs von anderen Gesichtspunkten leiten lassen - man werde berücksichtigen, wie groß der psychische Druck der Verhältnisse gewesen ist, der mich zu meiner Einstellung geführt hat. Ich bitte zu bedenken, daß die gegen meine Familie mütterlicherseits wie in geringerem Grade auch gegen meine Schwester und mich gerichteten Maßnahmen mir notwendigerweise als Unrecht erscheinen mußten. Schon in der Schule habe ich unverdient mancherlei Mißachtung und Benachteiligung erfahren müssen. Ich ließ mich dadurch nicht anfechten, sondern tat sodann im R. A. D. beim Bau des Westwalls und im aktiven Wehrdienst, zu dem ich mich freiwillig gemeldet hatte, als auch in zwei Feldzügen meine Pflicht - und mehr als das, wie meine Auszeichnungen beweisen Daß ich dann trotzdem aus der Wehrmacht entlassen wurde, empfand ich als schwere Zurücksetzung und als eine Kränkung meines Ehrgefühls; in gleicher Richtung machte sich geltend, daß es eines besonderen Gesuches bedurfte, mir die Hochschule zu öffnen, und daß ich auch dann erleben mußte, daß ich von studentischen Stellen als Mensch zweiter Klasse behandelt wurde. Dies alles machte mich sowohl empfänglich für Einflüsse als auch empfindlich für Vorgänge, die vorher keine Wirkung auf mich ausgeübt hatten oder hätten. Über die ersteren brauche ich mich nicht zu äußern. Von den letzteren seien erwähnt: die Diskriminierung meiner Mutter, die als Mensch wie als Staatsbürgerin untadlig dasteht - ich erinnere nur daran, daß sie im 1. Weltkrieg ihr Studium unterbrach, um freiwillig im Lazarett zu pflegen und sich dabei eine schwere Schädigung ihrer Gesundheit zuzog - und deren Seelenadel, in steter selbstaufopfernder Liebe und Fürsorge für die Ihren und schweigendem, starkem Ertragen physischen und psychischen Leidens sich offenbarend, mein ganzes Leben erwärmt und erhellt hat; die Deportation meiner Großmutter, einer mehr als 70jährigen, altersschwachen Frau, die mir nur Liebes erwiesen und ganz gewiß dem Staat nie geschadet hat noch ihm zukünftig hätte schaden können; das über fast alle meine übrigen Verwandten hereinbrechende Unglück - Verlust der Stellung, des Besitzes, der Wohnung und schließlich Deportation -, das wiederum Menschen traf, von denen ich ebenfalls nichts als Güte erfahren hatte und von deren Schuldlosigkeit in jedem üblichen Sinn, von deren menschlicher Hochwertigkeit und von deren Staatstreue ich mit gutem Grund überzeugt sein durfte.

Diese Punkte, die ich hier nur andeuten konnte - ich habe all dies, und mehr als das, im Verlauf der Voruntersuchung schriftlich („Die Ursachen meiner politischen Einstellung“) ausführlich dargestellt mögen genügen. Es ist richtig, daß ich für meine eigene Person rein materiell gesehen kaum Einbußen erlitten habe, ja eher günstiger gestellt war als viele Altersgenossen. Indessen meine ich, gerade in dem Staat, der sich mit Stolz als Verfechter ideeller Prinzipien gegenüber dem Materialismus bekennt, auf Verständnis hoffen zu dürfen dafür, daß die seelischen Belastungen, denen ich erlag, stärkeren Einfluß auf mein Denken ausübten als materielle Unversehrtheit oder Vorteile und daß ich mich auf die Seite stellte, wo ich erlittenes Unrecht zu sehen vermeinte, wenn ich auch selbst unter den von mir so beurteilten Maßnahmen materiell kaum zu leiden hatte. Und wenn das Gericht, zur Verurteilung meiner Handlungsweise nach dem Gesetz verpflichtet, diesen Gesichtspunkten keine Beachtung schenken konnte, so mag doch der, in dessen Hand es steht, zu begnadigen, sich durch Mitgefühl für das, was mich zu meiner Einstellung trieb, und einem daraus geborenen Verständnis für sie sich bewogen fühlen, die Härte der Strafe zu mildern. Vielleicht mag auch die Überlegung zu meinen Gunsten sprechen, daß der tatsächlich durch mich dem Staat verursachte Schaden kaum sehr bedeutend sein kann und vielleicht durch das, was ich als R. A. D.-Mann und Soldat für den Staat geleistet habe, zum Teil ausgeglichen wird.

Baum wird geladen...