Hilfsaktionen für Berliner Juden
Nathan Schwalb leitet am 18. Oktober 1944 dem Joint einen Bericht aus Berlin weiter, in dem Hilfsaktionen für Juden geschildert werden:
Lieber Herr Sally Mayer!
In der Beilage sende ich Ihnen die Copy des Briefes von Gad Beck, den ich gestern von Schalia erhalten habe. Dem Schreiben nach konnte Beck vielen Leuten behilflich sein, er baut den Kontakt aus, und es gelang ihm, die Studienrätin nach Berg.-Belsen zu schicken. Hoffentlich kommt ein ausführlicher Bericht nächste Woche.
Außerdem kann Beck Esra nach dem Generalgouvernement senden, inwieweit wir Adressen ihm angeben könnten. Krakau usw.
Mit der Rettung hierher scheint es von dort aus sehr schwer zu sein. Auf jeden Fall bemüht sich Gad darum sehr. Er sandte Bilder und Namen zusätzlicher Leute laut beigelegter Liste. Ich bitte Sie sehr, diese Namen in Bern angeben zu wollen, wofür ich Ihnen im voraus danke. Ein besonders dringender Fall scheint Kurt Rudolf zu sein, laut beiliegender Copy.
Außer dem genannten Geld auf der ersten Seite von Becks Brief erhielt er in der Zwischenzeit laut seiner Quittung 120.000,- RM.
Diese Hilfe und Festigung der dortigen Klal-Organisation usw. ist in diesem Moment und Lage, in welcher der Schwerpunkt der Esra- und Hazalaharbeit sich nach Aschkenas verschiebt, sehr wichtig.
Anbei noch eine Copy einer Karte aus dem Interniertenlager Laufen Obb. als Beweis für den Kontakt mit Beck, zu Ihrer gefälligen Kenntnisnahme.
Indem ich Sie herzlich grüße, verbleibe ich
Mit Schalom
Ihr
N. Schwalb
Berlin, 11.10.1944
Lieber Nathan.
Endlich kann ich Schaliach (Kurier) sprechen und will ich Dir mit ihm einen ausführlichen Bericht geben.
Erst einmal bestätige ich hiermit den Empfang von hunderttausend RM. Einmal von Schaliach Rischon und achtundfünfzigtausend RM. und tausend Dollar von Schaliachs Freundin.
Zu Deinen Fragen: nach Czenstochau (Polen) können wir nicht schreiben, aber nach dem Generalgouvernement kann ich Esra (Unterstützung) schicken.
An Mordeko (polnischer Internierter in Laufen) habe ich hundert Mark geschickt und schon bestätigt bekommen.
Mendor im Krankenhaus (Iranische Str.) hat dreitausend RM genommen und Alfred bestätigt.
Alle beigelegten Briefe und Nejar (Dokumente für einige Leute) habe ich ordnungsgemäß abgeschickt.
Auf Deine Bitte habe ich die Studienrätin nach Celle, Hannover, zu unserem ungar. Jehudeim geschickt und habe ich an jeden einzelnen geschrieben, aber bisher keine Nachricht erhalten.
Mit den Freunden des Ostens, d. h. mit Arons (aus Wien deportiert) und Seews (aus Prag dep.) Kindern, stehe ich seit Juli in keinem Briefwechsel. Meine Post und Päckchen (besonders nach Ostoberschlesien) kommen seit der Zeit zurück, und von dort bekomme ich keine Zeile.
Anna, Seew, Chana O., Chanah L, Karola W. etc. schreiben nicht mehr seit Juli.
Mit Chawerim Unger und Polen (im deutschen Arbeitseinsatz) komme ich gar nicht zusammen.
Auch die Freunde in Laufen (Interniertenlager) habe ich nicht sprechen können.
Und da bin ich bei dem schwierigsten Punkt angelangt, der Flucht:
Erstens frage ich Dich, wo ist der Übertrittsort? Gib mir genaue Ortsbeschreibung. Zweitens sind doch nur die Polizisten auf Deiner Seite der Grenze informiert. Auf unserer Seite auch? Aber all das ist nur eine Teillösung des Problemes.
Wir können nur schwer von hier zur Grenze. Es gibt für kaum einen Menschen die Fahrterlaubnis für so weite Strecken. Die Kontrollen sind so stark, daß nur ganz besonders gute Papiere ihnen standhalten. Wir haben keine solchen. Die, welche wir vom Freund A. erhalten haben, nützen uns nichts mehr, denn heute gibt es für Soldaten keinen Zivilurlaub, geschweige denn eine Fahrtgenehmigung.
Wenn Du für einige von uns solche Dokumente schicken könntest wie für Evo (San Salvadore), dann könnten sie eventuell zur Grenze gelangen. Als fremde Staatsbürger kann man auch heute noch reisen.
Kaspi nützt uns; eventuell können wir direkt zur Jeziah (Flucht) die Stefans gebrauchen.
Von Kaspi (Geld) haben wir insgesamt für Hilfe usw. hundertachtundvierzigtausend RM. ausgegeben. Ich habe über alles Bestätigungen.
Nathan, täglich, nein stündlich, denken wir an die Flucht, und ich laufe Tag und Nacht herum, um Beziehungen anzuknüpfen, um Essen, Kleider usw. zu beschaffen. Unsere praktische Arbeit ist kaum zu bewältigen.
Mit dem „Chaluzkreis“ versuche ich alle von Dir gestellten Aufgaben zu lösen. Auch die Kinder von Herbert (Versteckte von einer landwirtschaftlichen Farm) helfen großartig dabei. Ursel L., Zwi, Rudi B. und Mirjam Beck, die Familie Löwenstein sind treue und zuverlässige Mitarbeiter, die unserem besten Gross gehören.
Suschko (Breslau) muss zum Ostwallgraben in die Nähe von Breslau in ein Lager. Wir stehen in engster Verbindung mit ihr und unterstützen sie.
Auch viele Freunde, die ich nicht einzeln nennen kann, die Du nicht kennst, nehmen von mir Eure Esra (Hilfe)!
Es ist für viele hier eine glückliche Hilfe, und alle danken Euch aus vollstem Herzen. Ich mache keinen Unterschied zwischen Freunden und Stammjuden. Wir, die Chawerim (organisierten Freunde), wollen die Pfeiler und Helfenden sein und verteilen das, was Du uns überweist.
Oft zeigt sich hier bei unseren Freunden eine vorbildliche Haltung. Erez (Palästina) kann stolz sein auf solche Menschen. Um so trauriger bin ich dann oft, wenn ich daran denke, daß ich nicht in der Lage bin, die Flucht auszuführen.
Auf jeden Fall habe ich für alle Freunde Notwohnungen (Verstecke) bereit, daß sie gegebenenfalls als Versteckte leben könnten.
Folgende Liste unserer Menschen:
Die Aktivisten im Chaluzkreis:
Berlin
Abrahamson, Heinz (Zwi) A
Bernstein, Rudi A
Löwenstein, Fritz B
Löwenstein, Johanna B
Löwenstein, Hans B
Littmann, Ursel B
Nachmann, Renate B
Jacob, Lea B,
Beck, Mirjam und
Gad A
Breslau
Gattei, Susi A
Pelser, Jeser B
Hadda, Bertha und Fritz B
Herberts Kinder B26
Safierstein, Paul A
3 Gebr. Wallach, Erich A,
Alfred, Kurt B
Fränkel, Schoschana A
Menschen, die Esra von uns erhalten:
Lewin, Sigmar A
Dawidowicz, Günther A
Feiweles, Margot A und Kind B
Gomma, Ruth B
Lerner, Gittel B
Waisbrot, Sonja B
Grünberg, Martin B
Cohn, Hans B
Kristella, Werner und Frida B
Segal, Manfred A
Linke, Heinz A und Mutter B
Szaidmann, Moritz A und Mutter B
Und viele Ungenannte!
Wir werden versuchen, einen Weg zur Grenze zu finden, und sollte dieses nur einigen glücken, dann versuchen wir uns hier zu halten, so gut es geht!
Wir halten die Verbindung zu allen Reichbaren und helfen, wo wir nur können.
Unser Kreis hat neben den praktischen Aufgaben auch die politische Schulung und kulturelle Arbeit. Wenn Du Dir vorstellst, daß wir fast alle täglich 10 bis 12 Stunden arbeiten müssen, ist unsere „Nebenbei“-Arbeit in unserem Sinne ungeheuer viel.
Wenn ich Dich bitten darf, versuche auf jeden Fall Dokumente wie für Evo zu bekommen. Das schließt auf keinen Fall die Flucht aus.
Ich habe alles in Deinen Briefen verstanden und verstehe es auch, aber ich glaube, daß Du nicht richtig über die hiesige innerliche Lage orientiert bist (Anknüpfung von Beziehungen mit Arbeitern usw.), was mich betrübt.
Von meinen Freunden habe ich Dir Bilder beigelegt, vielleicht kannst Du mit den Daten etwas anfangen.
Laß für heute genug sein, denn ich will den Bericht Deinem Schalia mitgeben. Per Post einen langen Brief an Dich abgeschickt. Schreibe mir regelmäßig über Schalia und Post, damit ich immer auf dem Laufenden bin.
Aus Deinen Berichten habe ich viel über Erezia (Pal.) und Bewegung gelesen, was mir neu ist, und das fehlt mir so sehr, da wir bisher ganz abgeschnitten von Euch waren. Also, abschließend schreibe ich noch einmal deutlich über Euer Gwulabkommen, und bedenkt, daß wir bis jetzt noch keine Möglichkeit einer Fahrt haben, aber immer bemüht sind, sie uns zu schaffen.
Bleibe Du, lieber Nathan, sowie Onkel, Erezia und die ganze Bewegung herzlich gegrüßt von Eurem, Chasak wehagschem Gad Beck
Anbei: Grüße von meinen beiden „Sekretärinnen“ Ursel und Mirjam.
Herzliche Grüße. Auf eine baldige persönliche Unterhaltung hoffend Ursel
Von mir ein Chasak (sei stark) und auf Wiedersehen, Deine Mirjam P. S. Separat eine Quittung für das zusätzliche letzte Kessef