Anklage wegen Gespräch über Massengräber
Der Generalstaatsanwalt in Hamm erhebt am 25. Juli 1944 Anklage gegen Franziska Binder, die öffentlich über jüdische Massengräber im Osten gesprochen hat:
Die Ehefrau Franziska Binder aus Koblenz, Hohenzollernstr. 9, geb. am 25.7.1899 in Koblenz, nicht bestraft, wird angeklagt, zu Koblenz im Frühjahr 1944 durch teilweise ein und dieselbe fortgesetzte Handlung
a) öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen gesucht,
b) hetzerische Äußerungen getan zu haben.
Verbrechen der Wehrkraftzersetzung sowie Heimtückevergehen strafbar nach § 5 Abs. 1 Ziff. 1 KSStrVO., § 2 Abs. 2, 3 HG.
Beweismittel:
I. Einlassung des Angeschuldigten.
II. Zeuge:
1.) Wwe. Maria Hoffmann, Koblenz, Hohenzollernstr. 9a.
Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
1.) Zur Person:
Die Angeschuldigte hat in Essen die Volksschule [besucht] und zunächst den Verkäuferinberuf ergriffen. Später war sie als Krankenpflegerin im Städt. Krankenhaus in Düsseldorf mehrere Jahre tätig. Im Alter von 20 Jahren verheiratete sich die Angeschuldigte in Düsseldorf mit einem Polizeimeister, der 1929 an einem Lungenleiden verstarb. Aus dieser Ehe ist ein Kind im Alter von jetzt 20 Jahren hervorgegangen. 1935 schloß die Angeschuldigte eine zweite Ehe, aus der gleichfalls ein Kind hervorgegangen ist. Der Ehemann der Angeschuldigten ist Regierungsassistent beim Oberpräsidium in Koblenz. Er ist während des Krieges zuerst nach Essen und jetzt nach Köln abkommandiert worden. Das elterliche Haus der Angeschuldigten in Essen ist durch Fliegerangriff vernichtet. Ihr Vater ist im April 1943 in Essen verstorben.
Die Angeschuldigte hat sich politisch nicht betätigt. Seit 1935 gehört sie der NS-Frauenschaft an.
2.) Zur Sache:
Die Angeschuldigte läßt bei der Zeugin Hoffmann, die Schneiderin ist, arbeiten. Im Frühjahr suchte die Angeschuldigte diese Zeugin auf, um sich ein Kostüm anfertigen zu lassen. Dabei kam sie mit der Zeugin in ein politisches Gespräch, in dessen Verlauf sie folgendes äußerte:
„Es ist schlimm heute, man hat nichts mehr zu essen. Die Kinder werden jetzt alle evakuiert, und es sieht schlimm für uns aus. Der Krieg ist für uns ja doch verloren, die Engländer und Amerikaner sind doch so nette Menschen, und wenn die wieder ins Rheinland kommen, haben wir binnen 24 Stunden genügend zu essen.“
Weiter erzählte die Angeschuldigte, daß sie sich in einer Gastwirtschaft mit einer Dame über die Kriegslage unterhalten hätte, und diese sei wie sie der Meinung gewesen, daß der Krieg von uns nicht gewonnen werden könne. Die Dame habe noch erklärt, es sei eine Schande, daß wir noch weiterkämpften, es sei ja doch sowieso schon alles für uns verloren. Von einem Soldaten wollte die Angeschuldigte gehört haben, daß im Osten die jüdischen Massengräber wieder geöffnet wurden und die Leichen verbrannt, um die Spuren der von uns umgebrachten Juden zu verwischen. Die Gräber sollten von den Russen bei ihrem Vordringen nicht entdeckt werden. Die Zeugin verwies der Angeschuldigten derartige Äußerungen.
Die Angeschuldigte schwächt die gemachten Äußerungen ab und führt sie auf Erregung und Übernervosität zurück. Sie wird durch die Bekundungen der Zeugin Hoffmann überführt.
Es wird beantragt: Hauptverhandlungstermin anzuberaumen.