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Chronik und Quellen
1943
Oktober 1943

Gerüchte über Exhumierung ermordeter Juden

Die SD-Außenstelle Bad Neustadt informiert am 15. Oktober 1943 über das Gerücht, ermordete Juden würden wieder ausgegraben und verbrannt, um so Beweise zu vernichten:

Betr.: I-Bericht - Allgemeine Stimmung und Lage
Vorg.: laufend

Die Bevölkerung steht zur Zeit ganz unter dem Eindruck des letzten Angriffes auf Schweinfurt. Die nach einem solchen Angriff zwangsläufig einsetzenden Gerüchte und Vermutungen beeinflussen die Stimmung ungünstig und lassen militärische Ereignisse vorübergehend in den Hintergrund treten. Demzufolge hat nur die Meldung im OKW-Bericht über weitere Erfolge der U-Boot-Waffe Interesse gefunden.

1. Der vor einigen Tagen angesetzte zweite Luftangriff am Tage auf Schweinfurt hat zunächst große Überraschung und Bestürzung hervorgerufen. Die Bevölkerung war vor allem deshalb überrascht, daß die amerikanischen Bomberverbände erneut in so großer Zahl in das Reichsgebiet einfliegen konnten, obwohl in letzter Zeit so off von einer Verstärkung unserer Abwehrmittel gesprochen wurde. Die dann nach dem Alarm langsam durchsickernden Nachrichten über große Schäden beunruhigten die hiesige Bevölkerung außerordentlich, vor allem soweit sie Angehörige in Schweinfurt und Umgebung hat. Diese ersten Nachrichten gaben dann auch die Grundlage für die jetzt in Umlauf befindlichen Gerüchte. Einzelne Volksgenossen waren über die von dem Angriff betroffenen Stadtteile schnell und genau orientiert und schon in den ersten Stunden nach dem Angriff sprach man vielfach davon, daß annähernd 70 % der Schweinfurter Industrie vollkommen zerstört sei. Vermutungen über Verluste an Menschenleben wurden bisher noch nicht geäußert. Dagegen widersprachen sich die Meinungen über die Stärke der eingeflogenen Bomber vielfach und teilweise wurden sie bis zu einer Zahl von 500 angegeben. Hier hat nun der OKW-Bericht eine angenehme Enttäuschung gebracht und vor allem wurde der bisherige Abschuß von 121 Maschinen im Verhältnis zu den eingeflogenen mit ca. 50 % mit besonderer Genugtuung aufgenommen.

Trotz dieser nunmehr vielfach anerkannten Abwehrmaßnahmen halten die Befürchtungen hinsichtlich weiteren Luftterrors nach wie vor an und auch im hiesigen Gebiet wird bei weiteren Angriffen insbesondere bei dem Einsatz starker Jagdverbände bei zunehmenden Notwürfen der Bomber auch mit Schäden in den hiesigen Städten und Dörfern gerechnet.

2. Die militärische Lage ist in Anbetracht des letzten Angriffes auf Schweinfurt weniger anders zu Debatten gewesen. Davon abgesehen macht sich auch weiterhin eine gewisse Zurückhaltung in den Betrachtungen der militärischen Ereignisse bemerkbar. Dagegen muß hervorgehoben werden, daß die letzten politischen Appelle, soweit sie sich mit der militärischen Lage, insbesondere des Ostens, befaßten, vielfach einen günstigen Einfluß und nicht nur auf die Parteigenossen ausüben. Gerade von Parteigenossen, die sich an und für sich sonst nicht so aktiv betätigen, wurde vielfach betont, daß diese Appelle durchweg interessant und aufschlußreich sind. Aus diesen Kreisen kam auch die Äußerung, daß es im fünften Kriegsjahr mehr denn je angebracht sei, offen zum deutschen Volk zu sprechen, wenigstens soweit, als es die Lage gestattet. Von diesen Parteigenossen wurde noch herausgestellt, daß man gerade jetzt, wo es um die Entscheidung ginge, dem deutschen Volk, das durch die letzten Jahre soweit politisch geschult und diszipliniert sei, restlos Vertrauen schenken müßte. Dadurch würden auch Feindpropaganda und die sich daraus ergebenden Gerüchte zwangsläufig auf das stärkste eingeengt werden.

Im Rahmen der militärischen Ereignisse interessierten besonders die letzten Erfolge der U-Bootwaffe, die erneut Anlaß zu der Hoffnung geben, daß nunmehr die bisherige Einengung hinsichtlich der Tätigkeit unserer U-Boot-Waffe überwunden sei.

3. An der allgemeinen Stimmung und Haltung der Bevölkerung hat sich gegenüber der letzten Berichtswoche nichts geändert. Die bestehenden Mißstimmigkeiten, soweit sie sich aus Maßnahmen des Krieges ergeben, insbesondere Tauschhandel, halten weiter an. Einem Gerücht aus Münnerstadt zufolge hätten die Feindmächte über das Rote Kreuz an den Führer die Frage gestellt, wo die früher im Reich ansässigen Juden verblieben seien. Der Führer hätte daraufhin die Juden wieder ausgraben und verbrennen lassen, damit bei einem weiteren Rückzug im Osten den Sowjets kein Propagandamaterial wie das bei Katyn usw. in die Hände fallen würde.

Nach vereinzelt auftretenden Erzählungen wird die jetzt vorgesehene Wohnhilfe zur Unterbringung von Bombengeschädigten als ein Zeichen, daß noch viel Schweres kommen und der Krieg noch sehr lange dauern werde, gewertet.

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