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Chronik und Quellen
1943
Oktober 1943

Legende von der „anständigen SS“

Heinrich Himmler beteuert am 4. Oktober 1943 vor SS-Gruppenführern in Posen, dass die SS bei der „Ausrottung des jüdischen Volkes“ anständig geblieben sei:

Dann, was ich schon einmal erwähnt habe, ich kann es leider nicht verschweigen, neben all dem, was wir in dieser Zeit, wie ich sagte, neu aufgestellt erreicht haben, ich bin Reichsinnenminister geworden, habe damit ein Stückchen Arbeit mehr. Sehe hier meine Aufgabe in folgenden einzelnen großen Groß-Komplexen: 1. Wiederherstellung der vielfach verloren gegangenen Reichsautorität. 2. Dezentralisierung der Aufgaben, die nicht reichswichtig sind. Um das Reich in der Hand zu behalten, Belebung der ganzen im deutschen Volke schlummernden schöpferischen Kräfte in der deutschen Selbstverwaltung. 3. Radikales Aufräumen in diesem ganzen Apparat mit jedem Fall von Korruption oder schlechtem Benehmen. Ich werde gnadenlos vorgehen. Wen ich erwische und wer etwas begangen hat, der kommt vor den Kadi, groß oder klein, denn ein solcher Fall - in einer Gegend durchexerziert vor der Öffentlichkeit und bekanntgegeben -, der schädigt uns nämlich nicht, der schädigt nicht die Ansicht von Staat und Partei, sondern stärkt es, weil dann jeder sagt: Allerhand! Respekt. Anständig. Wenn einer ein Lump ist, schmeißen sie ihn heraus. - Wobei das für uns ganz klar ist, und das wollen wir uns - ich komme ja dann zu einigen Dingen, die ich ja meiner Gewohnheit entsprechend deutlich aussprechen werde. Das gilt genauso für uns innerhalb der SS. Menschliche Unzulänglichkeit kommt überall vor - überall. Die Organisationen unterscheiden sich nur durch folgendes: Die eine Organisation vertuscht das und sagt, um unser Ansehen nicht zu schädigen, muss da die Brücke der christlichen Nächstenliebe darübergebreitet werden. Die andere Organisation reinigt sich selbst brutal. Sagt: „Jawohl, das war ein Schwein, das haben wir erschossen, haben ihn eingesperrt, und auf jeden Fall haben wir ihn rausgeschmissen.“ „So, jetzt befasst Euch damit, plaudert drüber oder sonst etwas.“ [Dadurch hat] einer dann das Recht zu sagen: Aber wenn von Euch einer ein Schwein ist, kommt er genauso dran. Das ist dann unser moralisches Recht. Wenn er der Polizei, wie es bisher war, wenn ich Chef der SS bin, wenn ich jetzt Reichsinnenminister bin, ich hätte nicht das moralische Recht, gegen irgendeinen Volksgenossen vorzugehen, und wir könnten nicht die Kraft aufbringen, das zu tun, wenn wir nicht in unseren eigenen Reihen brutal für Sauberkeit sorgen würden. Sie können versichert sein, dass ich dies auch als Reichsinnenminister tun werde. Ebenso können Sie selbstverständlich versichert sein, dass ich nicht irgendeinen Wahnsinnskurs anfange, nun diesem Gaul die Kandare ganz kräftig ins Maul reiße und es hintenhin setze, sondern es wird langsam der Zügel angezogen, und allmählich werden wir das Pferd schon wieder in eine anständige Gangart bringen.

Ich komme nun noch zu einzelnen anderen Aufgaben, großen Aufgabengebieten, die doch wichtig sind, wenn Sie alle davon erfahren. Wir haben Riesenrüstungsbetriebe -in den Konzentrationslagern. Das ist das Aufgabengebiet unseres Freundes Obergruppenführer Pohl. Wir leisten jeden Monat viele Millionen von Arbeitsstunden für die Rüstung. Wir gehen an die undankbarsten Dinge heran, und das muss ich anerkennen. Ob es in den Konzentrationslagern, in den Wirtschaftsbetrieben von Pohl ist oder ob es draußen bei den Höheren SS- und Polizeiführern ist oder in Werkstätten vom Führungshauptamt ist, da zeigt sich eines: wir sind eben doch überall SS-Männer. Wo etwas im Argen liegt, da wird angepackt. Erziehen Sie mir jeden Untergebenen in dieser Richtung. Wir wollen kompetenzlos9 helfen, denn wir wollen ja den Krieg gewinnen. Was wir tun, tun wir ja für Deutschland. Ob es nun der Bau einer Straße ist, ob irgendwo ein Tunnel nicht vorangeht, ob es eine Erfindung ist, die vor lauter Bürokratie nicht zur Geburt kommt, oder sonst etwas ist: wo wir anfassen können, fassen wir an. Das, was wir in unseren Rüstungsbetrieben leisten, wird - wenn wir es auch am Schluss des Krieges aufrechnen können, dartun können - eine sehenswerte und beachtliche Leistung sein.

Ich will auch ein ganz schweres Kapitel - will ich hier vor Ihnen in aller Offenheit nennen. Es soll zwischen uns ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir nicht in der Öffentlichkeit nie darüber reden. Genauso wenig, wie wir am 30. Juni gezögert haben, die befohlene Pflicht zu tun und Kameraden, die sich verfehlt hatten, an die Wand zu stellen und zu erschießen. Wie wir darüber niemals gesprochen haben und sprechen werden. Es war so eine, Gottseidank in uns wohnende Pakt Selbstverständlichkeit des Taktes, dass wir uns untereinander nie darüber unterhalten haben, nie darüber sprachen. Es hat jeden geschauert und jeder war sich klar, dass er es das nächste Mal wieder tun würde, wenn es befohlen wird und wenn es notwendig ist. Ich meine die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. - „Das jüdische Volk wird ausgerottet“, sagt ein jeder Parteigenosse, „ganz klar, steht in unserem Programm drin, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir. Ha, Kleinigkeit!“ Und dann kommen sie alle, alle die braven 80 Millionen Deutschen, jeder hat seinen anständigen Juden, und alle anderen sind Schweine, und der ist ein prima Jude. Und ... so gesehen, es durchgestanden hat keiner. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Und, dies durchgehalten zu haben und dabei - abgesehen von menschlichen Ausnahme-Schwächen - anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht und ist ein niemals genanntes und niemals zu nennendes Ruhmesblatt. Denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt - bei den Bombenangriffen, bei den Lasten des Krieges und bei den Entbehrungen -, wenn wir da noch die Juden als geheime Saboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich in das Stadium des Jahres 16/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.

Die Reichtümer, die sie hatten, haben wir ihnen abgenommen, und ich habe einen strikten Befehl gegeben, den Obergruppenführer Pohl durchgeführt hat, wir haben diese Reichtümer restlos dem Reich, dem Staat, abgeführt. Wir haben uns nichts davon genommen. Einzelne, die sich verfehlt haben, die werden gemäß einem von mir gegebenen Befehl, den ich am Anfang gab: Wer sich auch nur eine Mark davon nimmt, ist des Todes. Eine Anzahl SS-Männer haben sich dagegen verfehlt - es sind nicht sehr viele -, und sie werden des Todes sein, gnadenlos. Wir haben das moralische Recht, wir haben die Pflicht unserem Volk gegenüber, das zu tun. Dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Mark, mit einer Zigarette, mit einer Uhr, mit sonst etwas zu bereichern. Das haben wir nicht. Denn wir wollen nicht am Schluss, weil wir den Bazillus ausrotten, an dem Bazillus krank werden und sterben. Da werde ich niemals Zusehen, dass so etwas überhaupt nur auch ein[e] kleine Fäulnisstelle bei uns eintritt oder sich festsetzt. Sondern wo sich eine festsetzen sollte, werden wir sie gemeinsam ausbrennen. Insgesamt aber können wir sagen, wir haben diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk getan. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen.

Eines: Wenn ich das, was wir getan haben in diesem Jahr, wenn ich das noch, wenn ich das - ich möchte fast sagen - Rechenschaftsbericht für uns alle und vor uns allen feststelle, darf ich nichts übersehen und übergehen: die Bedeutung der Haltung des SS-Manns. Hier, glaube ich, haben wir insgesamt anständig bestanden, wie auch bei allen anderen Dingen, haben wir im großen anständig bestanden. Die Haltung war gut, ob es in verzweifelten Situationen an der Front war von unseren braven Führern und Männern, die in den finstersten Stunden, in den dunkelsten Stunden über sich selbst hinauswuchsen im Leben und im Sterben, in diesem heldenhaften großen Sterben, das in den letzten 10 Wochen zum Beispiel wieder gestorben wurde. Oder ... wir haben unseren Mann gestanden im großen und ganzen in den rückwärtigen Gebieten, im Bandenkampf, denn mehr wie auf Reden kommt es auf die Haltung an. Das Volk, der kleine Mann in der Not seines Herzens und in der Angst seines Innern, der sieht heute doch in vielen Fällen schon: wie steht der SS-Mann, was für ein Gesicht macht er, hat er auch so’ne trübe Miene, lässt er auch den Unterkiefer hängen, lässt er den Kopf hängen? Oder: wie marschiert dieses SS-Bataillon an die Front? Oder: wie ist dieser Posten der Gendarmerie in dem oder jenem Kaff im Balkan oder in Russland? Bleiben sie da oder bleiben sie nicht da? Oder: wie ist der SS-Mann beim Luftangriff? Ist er derjenige, der die Leute herausholt? Ist er derjenige, der die Panik verhindert? Oder auch umgekehrt: ist da ein SS-Führer oder ein SS-Mann, der sich Sonderrechte herausnimmt, mit dem Auto fährt, wo er nicht fahren soll, besser lebt wie die anderen, keinen Dienst macht, jeden Sonntag frei hat, wo die Frau furchtbare Ansprüche stellt, aufdreht, das nicht kann, jenes nicht kann, im Bombenquartier große Sprüche spricht? Oder sind die Frauen von uns die arbeitsamsten, die bescheidensten, die tapfersten, die nie etwas kritisieren, die immer den Kopf hochhalten? Im großen und ganzen war unsere Haltung gut. Manches - auch in unseren Reihen - ist zu bessern. Das auszusprechen ist mit ein Sinn dieses Appells der Kommandeure und der Gruppenführer. Ich möchte dieses Kapitel überschreiben mit der Überschrift „Wir selbst“.

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