Ausschluss aus der Fürsorgeerziehung
Am 20. September 1943 weist das Reichsinnenministerium die Jugendämter an, für Juden, „Mischlinge“ und „Zigeuner“ keine Fürsorgeerziehung mehr anzuordnen:
(1) Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage ist es im Geltungsbereich des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 (RGBl. I., S. 633) noch möglich, über minderjährige Juden und Zigeuner Fürsorgeerziehung anzuordnen. Bei diesen asozialen, fremdrassigen Elementen kommt aber von vornherein eine erziehende Tätigkeit nicht in Betracht. Sie bedeuten eine unnötige finanzielle Belastung des Staates und eine nicht zu verantwortende pädagogische Belastung in den Heimen und für die deutschen Fürsorgezöglinge. Überdies ist zu erwarten, daß bei einer Neuregelung der gesetzlichen Bestimmungen anstelle des bisherigen § 1 RJWG das nationalsozialistische Erziehungsziel für die gesamte Jugenderziehung bestimmend sein wird. Dann können Minderjährige, die nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind, nicht mehr in Fürsorgeerziehung gebracht werden. Maßnahmen gegenüber solchen Minderjährigen können alsdann nur noch auf Grund der Vorschriften des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts oder des Polizeirechts ergriffen werden.
(2) Um schon jetzt die Fürsorgeerziehungsheime von den genannten Minderjährigen freizuhalten, bestimme ich im Einvernehmen mit dem Leiter der Partei-Kanzlei und dem Reichsminister der Justiz:
a) Die Jugendämter stellen keine Fürsorgeerziehungsanträge mehr gegen minderjährige Juden, jüdische Mischlinge 1. Grades, Zigeuner und Zigeunermischlinge.
b) Der Begriff „Jude“ und „jüdischer Mischling 1. Grades“ bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 und § 5 der 1. VO vom Reichsbürgergesetz; Zigeuner in diesem Sinne sind Vollzigeuner (stammechte Zigeuner); als Zigeunermischlinge gelten alle Mischlinge mit zigeunerischem Blutanteil, ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad.
c) Falls ein Jugendamt von der Verwahrlosung oder der Straftat eines minderjährigen Juden oder jüdischen Mischlings 1. Grades Kenntnis erhält, meldet es den Fall sofort der örtlich zuständigen Staatspolizeistelle, die das Weitere veranlaßt. Minderjährige Zigeuner oder Zigeunermischlinge sind in entsprechenden Fällen der örtlichen zuständigen Kriminalpolizeistelle zur weiteren Veranlassung zu melden.