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Chronik und Quellen
1943
Mai 1943

Bericht über Deportation und Leben im Untergrund

Am 21. Mai 1943 beschreibt Heinrich Busse seinen emigrierten Kinder in einem Brief die Deportation ihrer Mutter und das trostlose Leben in der Illegalität in Berlin:

Lieber Hanns & meine geliebten 3 Kinder, Überbringer dieses [Briefs] ist ein guter Freund, dem ich außerordentlich viel zu verdanken habe, ein vornehmer & selbstloser Mensch, der mir nach seiner Rückkehr in die Schweiz außerordentlich fehlen wird. -Durch ihn habe ich also endlich Gelegenheit, Euch einmal ausführlicher über unsere letzten Schicksale zu berichten, die ja furchtbar sind und auf deren glückliche Beendigung - also auf ein Wiedersehen mit Euch & allen ändern Lieben - ich kaum zu hoffen wage. Die Umstände, auch Raum & Zeit verbieten mir, auf Einzelheiten & Betrachtungen einzugehen. Deshalb nur so viel: Onkel Leo ist im September leider gestorben, wie Ihr inzwischen erfahren haben dürftet - für ihn selber war es eine Erlösung Tante Anna & Betty wurden 10-14 Tage später geholt; seitdem fehlt leider (wie gewöhnlich) jede Nachricht; unsere liebe Mutti ereilte das Schicksal am 28.II; sie wurde, wie fast alle Arbeiter, von der Fabrik weg abtransportiert & hat inzwischen imal ein Lebenszeichen gegeben: die kurze Mitteilung, daß sie sich im Arbeitslager Auschwitz (südlich Kattowitz O/S) befindet. Meine einzige Hoffnung & mein täglicher Gedanke ist, daß es ihrem Lebenswillen und ihrer Zähigkeit gelingen möchte, dort die Zeit bis zum Schluß dieses entsetzlichen Krieges zu überstehen. Für mich ist keine Verbindung mit ihr möglich. Sollte es denkbar sein, daß es irgendwelche Austauschmöglichkeiten gibt, so werdet Ihr ja gewiß alles Mögliche unternehmen und versuchen. — Mir selbst ist es gelungen, bei der mehrere Tage später erfolgenden Abholung zu entfliehen. Es war ein waghalsiges Stück. Die Aufregungen & Anstrengungen überstiegen (& übersteigen noch) meine Kräfte, indes bin ich augenblicklich wieder bei leidlicher Gesundheit. — Seitdem führe ich ein schreckliches Leben. Es ist ein täglich erneuter Kampf um Unterkommen & Ernährung, wobei letztere der weniger schwierige Teil ist. Erlaßt mir, Euch hierüber genauer zu berichten. Gerade jetzt befinde ich mich wieder in einer bösen Krisis, & ich weiß nicht, wie lange meine Nerven & mein Körper der Sache noch gewachsen sein wird. Was mich aufrechterhält, ist lediglich der Gedanke, daß es vielleicht doch nicht mehr allzulange dauern wird & daß ich Euch alle doch noch einmal Wiedersehen möchte. — Von Ursel-Ilse kam vorige Woche endlich eine R-K-Nachricht an Richard N. Bitte, schreibt dorthin ebenfalls regelmäßig, so oft eben zulässig! Auch Du, 1. Hanns; die Adresse nennt Dir Herr S. (der Überbringer), wenn du sie nicht von den Kindern hast; Du kannst ja ausführlich schreiben. Von Euch, 3 Mädels, war die letzte Nachricht ein Eri-R. K. Brief, der die neue Adresse angab; er kam 1 Tag nach Muttis Abholung. - Ob Ihr wohl alle gesund und in gesicherter Lage seid?? Was treibt Ihr? Besteht noch die Verbindung Rodolfo, was habt Ihr für Hoffnungen, Gedanken, Pläne? Mein Gott, wenn doch nur ein Ende abzusehen wäre! Frau Wolf ist jetzt auch in London. Mit ihrem Mann, Renis früherem Chef also, bin ich ziemlich oft zusammen; es geht ihm ähnlich wie mir, durch einen Zufall aber doch unvergleichlich besser. Ihr müßt Euch, sowie Ihr von ihr Nachricht erhaltet (wie hoffentlich gelingen wird oder gelungen ist) regelmäßig mit ihr in Verbindung halten; sie ist ja eine prächtige & tüchtige Frau & die 2 Jungen sind vielleicht schon erwünschte Kavaliere. — Für den kaum anzunehmenden Fall nun, daß Ihr - nach dem Kriege - nochmals hierherkommt - sonst müßt Ihr eben schreiben oder Nachricht erwarten -, noch einige Hinweise, die Ihr auch in ihrer Unvollständigkeit hoffentlich verstehen werdet. Setzt Euch bitte alsdann in Verbindung: 1) mit Renis Klavier-Lehrerin, Frl. Sch. 2) mit unserem kleinen Zahnarzt Dr. B. 3) mit Ursel-Ilses Freundin G., Ch’bg, die sich fabelhaft benimmt 4) mit Sanne-Mimis Freundin Jutta H. bzw. ihrer Mutter in P’r; 5) Richard N & Klärchen 6) Margarete B. in H’f, Schwägerin von Artur B-G’ff, von dem ihr vielleicht aus Amerika Nachricht habt?? 7) mit Onkel Maximos Schwager Paul H., Kirchstr. 19 oder seinem Bruder Fritz H; evtl. auch mit meinem früheren Geschäftsfreunde Paul; 8) mit dem Consulenten (Anwalt) Dr. Richard Wittkowski in Friedenau, Trude Pragers Vetter; Tante Flora & gemeinsame Tante 9) Familie Salinger in unserem letzten Hause I, auch Dr. B. auf demselben Flur, mit dem Euch Alumks bekannt machen kann.

Ich fürchte, Ihr Lieben alle, es ist das letzte Lebenszeichen, das ich Euch geben kann. Für diesen Fall schließe ich mit den innigsten Wünschen für Euer aller Wohlergehen & für Euch, meine geliebten 3, mit „des Vaters Segen, der den Kindern Häuser baut“. Möge Euch wenigstens die Mutter erhalten bleiben und möget Ihr alle lange Friedensjahre erleben, die Euch für alles erlittene Ungemach reichlich entschädigen. Euch, Nachtlicht- und Busse-Mädels, auch [...]. Käthe und die engl. Verwandtschaft schließe ich natürlich ein. Letzterer auch noch meinen herzlichsten Dank für alle erwiesene Güte & Hilfsbereitschaft. An Maximo, Klaus, übermittelt bitte auch meine aufrichtigsten Wünsche & Grüße - vielleicht & hoffentlich doch nicht die letzten Im äußersten Falle werde ich vielleicht auch noch den verzweifelten Versuch machen, über die Grenze zu gehen. Herrn S. habe ich gebeten, Dir, 1. Hanns, meine Ideen auseinanderzusetzen. Bitte, schreibe mir möglichst sofort, jedenfalls schnellstmöglichst & so überlegt & klar wie möglich, was du von den Fragen 1 und 2 und 3 hältst & ob du mir sonst einen Rat geben kannst. Also an die Adresse Richard N. R’df, ohne meinen Namen ausdrücklich zu nennen. Nun lebt alle, alle wohl.

In Liebe und Treue Euer HB

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