Hilfsaktionen für Juden geplant
Am 18. Mai 1943 planen Mitarbeiter des Jüdischen Weltkongresses und des Internationalen Roten Kreuz’ Hilfsaktionen für Juden, die in folgender Aktennotiz festgehalten werden:
Prof. Guggenheim und ich wurden am 18. Mai 1943 um 9 Uhr von Prof. Carl Burckhardt empfangen. Diese Unterredung war von Herrn Schwarzenberg, dem Referenten für jüdische Angelegenheiten im Roten Kreuz, angeregt worden. Herr Schwarzenberg hatte um eine Demarche bei Prof. Burckhardt ersucht angesichts der Anwesenheit des Vertreters des Deutschen Roten Kreuzes, Herrn Hartmann, in Genf.
Prof. Burckhardt begann das Gespräch, indem er uns mitteilte, daß er soeben aus Lissabon wiedergekehrt sei und dort Herrn Wilfrid Israel von der Jewish Agency und Herrn Katzky vom Joint gesprochen habe, die ihm verschiedene Projekte unterbreitet hätten. Prof. Guggenheim begann dann das Gespräch und sagte, wir hätten eine neue Anfrage von Herrn Dr. Stephen Wise aus Amerika erhalten, in welcher wir ersucht werden, über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen mit dem Roten Kreuz zu berichten. Zunächst wolle Herr Riegner ein paar konkrete Fragen stellen, dann wolle er noch auf einen grundsätzlichen Gesichtspunkt eingehen.
Ich nahm darauf das Wort und bezog mich auf die letzte Unterhaltung mit Prof. Burck-hardt am Ende vorigen Jahres, in der uns das Rote Kreuz bestimmte Zusicherungen hinsichtlich einer positiven Aktion gemacht habe, worauf von beiden Seiten von dem Gedanken eines Protestes des Roten Kreuzes Abstand genommen worden sei. Wir seien seither ständig mit Herrn Schwarzenberg und den Herren der Commission mixte, u. a. Herrn de Pilar, in Verbindung geblieben und die Herren hätten sich auch alle Mühe gegeben, aber das Ergebnis sei äußerst mager. Fast alle Bemühungen seien negativ verlaufen. Auskunft über den Verbleib der Deportierten erhalte man nicht, eine Hilfsaktion in Polen und den gesamten östlichen Gebieten sei abgelehnt worden, das einzige, was erreicht worden sei, sei die Zulassung einer Hilfssendung nach Theresienstadt gewesen, unter ungeheuren Schwierigkeiten, sowie einige Bemühungen des Roten Kreuzes, bei der Emigrationsfrage in Rumänien und Bulgarien usw. behilflich zu sein, was aber auch noch nicht zu konkreten Ergebnissen geführt habe. Ich zeigte darauf Prof. Burck-hardt den Brief der Jüdischen Unterstützungsstelle in Krakau vom 23. April, in dem diese mitteilt, daß sie ihre Tätigkeit wieder aufgenommen habe, und sagte, daß das der Anlaß zu einer neuen Aktion sein müsse. Es gebe im übrigen eine große Anzahl von Arbeitslagern und anderer Lager sowohl in Polen wie auch in anderen Ländern, für die unbedingt etwas getan werden müsse. Ich erwähnte u. a. die polnischen Lager Menkin, Skarzozko, die oberschlesischen Lager Birkenau, Sosnowitz, Auschwitz, Jawischowitz, Laurahütte, die holländischen Lager Westerbork, Vught, Barneveld, Doetinchen sowie die bekannten französischen und slowakischen Lager und sagte, es müsse unbedingt für diese Lager etwas geschehen. Ich benutzte die Gelegenheit, auf den früher diskutierten Grundsatz zurückzukommen, das Rote Kreuz solle die in den Arbeitslagern untergebrachten Juden als feindliche Zivilinternierte behandeln, und verlangte, daß das Rote Kreuz seine Paketaktion, die es für Kriegsgefangene in Kriegsgefangenenlagern betreibe, ebenfalls auf die zivilinternierten Juden der Arbeitslager in den verschiedenen Ländern ausdehne.
Prof. Guggenheim stellte darauf die Frage, ob es nicht möglich sei, eine allgemeine Nahrungsmittel-Hilfsaktion für die Juden durchzuführen wie diejenige, die für Griechenland vor sich gegangen sei. Er warf dann die grundsätzliche Frage auf, die sich sowohl dem Roten Kreuz wie auch uns stelle, ob angesichts der schrecklichen Ereignisse wirklich alles getan worden sei, was man hätte tun können, und ob man nicht nach dem Kriege sowohl uns wie dem Roten Kreuz diese Frage sehr eindringlich stellen werde. Er wisse nicht, ob wir dann mit gutem Gewissen eine positive Antwort geben können.
Prof. Burckhardt erklärte, daß er diese Frage sehr wohl verstehe, und kam zunächst nochmal auf die Frage des Protestes zu sprechen, die Prof. Huber seinerzeit sehr ernst beschäftigt habe. Man sei jedoch davon abgekommen, da man mit irgendwelchen positiven Ergebnissen nicht rechnen könnte. Inzwischen sei durch die letzten Ereignisse in Tunesien die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen ungeheuer gewachsen, was natürlich auch zu einer Stärkung der Stellung des Roten Kreuzes führen müsse. Eine allgemeine Hilfsaktion für die Juden so wie für die Griechen sei schwer durchzuführen, jedoch glaube er, daß eine Aktion für die in Lagern untergebrachten Juden möglich sei. Er teile - und spreche dabei im Namen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz - absolut den Standpunkt, daß man die Juden wie feindliche Internierte behandeln müsse und auf sie die Beschlüsse von Tokio anwenden soll. Es sei nun einmal so, daß vom deutschen Standpunkt aus die Juden als Feinde behandelt werden, daß sie in Lager gesteckt werden, wo sie ihrer Freiheit beraubt werden. Er sei also einverstanden, daß das Rote Kreuz grundsätzlich den Standpunkt einnehme, daß die Deportierten und in Lagern befindlichen Juden unter die Beschlüsse von Tokio fallen, und er werde diesen Standpunkt auch vom Roten Kreuz vertreten lassen. Die große Schwierigkeit bestünde aber darin, daß nicht genug Lebensmittel vorhanden seien, da die Alliierten eine sehr beschränkte Anzahl von Navycerts zur Verfügung stellen, und zwar nur für Sendungen an Kriegsgefangene. Wenn man also eine Organisierung eines Paketdienstes für die in den Lagern befindlichen Juden ebenso wie für die Kriegsgefangenen vom Roten Kreuz organisieren wolle, müsse man Navycerts zur Verfügung haben. Hierbei könnten wir dem Roten Kreuz vielleicht behilflich sein. Wir sollten an Wise einen Brief schreiben, den das Rote Kreuz mit einem Begleitbrief, in dem es sich mit unseren Vorschlägen identifiziert, an das Amerikanische Rote Kreuz auf diplomatischem Wege weiterleiten wolle. Es wurde vereinbart, daß ein Briefentwurf dem Roten Kreuz vorgelegt werden soll.
Ich wies darauf hin, daß diese Prozedur natürlich sehr langwierig und umständlich sei, daß es mir auf der anderen Seite möglich schiene, mit den Amerikanern hierüber zu einem Übereinkommen zu gelangen. Andererseits hielte ich es für absolut notwendig, daß man auf der deutschen Seite diese Frage abkläre. Die Schwierigkeiten seien ja bisher immer von der deutschen Seite gekommen, und der neue Brief aus Krakau gebe vielleicht Gelegenheit, einen neuen Vorstoß in dieser Hinsicht zu machen. Prof. Burckhardt sagte, er werde Herrn Hartmann, der ja gerade da sei, in dieser Frage ausführlich sprechen.
Es wurde dann noch kurz über den Kinderhilfsplan von Herrn Israel und über ein Projekt Katzki und schließlich über gewisse Fragen der jüdischen Kriegsgefangenen gesprochen. Das Gespräch musste aber abgebrochen werden, da Prof. Burckhardt in der Commission mixte eine Sitzung um 10 Uhr hatte. Es wurde vereinbart, daß in der nächsten Woche eine neue Besprechung stattfinde, nachdem Prof. Burckhardt mit dem Herrn vom Deutschen Roten Kreuz Fühlung genommen habe.
Nachschrift vom 19. Mai 1943:
Ich hatte heute einen telephonischen Anruf von Herrn Schwarzenberg, in dem er sich für die Intervention bei Herrn Prof. Burckhardt bedankte. Sie hätte ihm Gelegenheit gegeben, eine Reihe von Fragen, die ihn interessierten, mit Prof. Burckhardt noch zu besprechen und ihn zu veranlassen, sie mit dem Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes zu diskutieren. Es wurde vereinbart, daß ich Herrn Schwarzenberg am Montag sehen solle, damit er mir darüber einiges berichten könne.