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Chronik und Quellen
1943
April 1943

April 1943

An der Ostfront blieb es im April vergleichsweise ruhig. Die Kämpfe konzentrierten sich besonders auf den von deutschen Truppen gehaltenen Kuban-Brückenkopf, der als Auffangstellung für die Rückführung der Kaukasusfront von großer Bedeutung war. Am 3. April trat die Rote Armee erstmals zum Angriff auf diesen strategisch wichtigen Raum an. Am 14. und 29. April folgten weitere Angriffsversuche.

Am 19. April begann mit dem Vorstoß britischer Truppen der Endkampf um Tunesien. Die hochüberlegenen alliierten Verbände trafen zunächst zwar noch auf den Widerstand der Reste deutsch-italienischer Verbände, waren aber nicht mehr aufzuhalten. Schon am 12. April hatte der Sicherheitsdienst der SS berichtet: „Während die Lage an der Ostfront das Interesse der Bevölkerung derzeit nur in geringem Maße beansprucht, werden die Kämpfe und Rückzugsoperationen in Tunesien weiter mit steigender Besorgnis verfolgt.“ Man befürchtete den endgültigen Verlust des afrikanischen Brückenkopfs, für den Schlagworte wie „Zweites Stalingrad“ oder „Deutsches Dünkirchen“ kursierten.

Die alliierten Bombenangriffe auf Großstädte und Industrieregionen im Reichsgebiet nahmen an Intensität weiter zu. So griffen britische Bomber im Rahmen der „Battle oft he Ruhr“ in der Nacht zum 4. April wiederum Essen mit den Krupp-Werke an, fünf Tage später Duisburg. Zum Monatsende kehrte sich diese Reihenfolge um: Am 26. wurde Duisburg, vier Tage darauf Essen erneut Ziel der alliierten Bomberverbände. Auch Stuttgart, Bremen und Stettin erlebten im Verlauf des Monats schwere Bombardements. Um den durch solche Angriffe verursachten, immer größeren Schäden in Rüstungsbetrieben halbwegs Herr zu werden, ordnete Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan in den besonders luftgefährdeten Gegenden die Bildung eigener betrieblicher Aufräumungs- und Bauhilfstrupps an.

Die Kriegslage zog deutliche Verhaltensänderungen in der deutschen Bevölkerung nach sich. Die Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS meldeten im Verlauf des April jedenfalls einen verstärkten Besuch in den Kirchen. Zugleich ging die Zahl der Kirchenaustritte zurück und jene der Wiedereintritte nahm zu. Zahlreiche Menschen rüsteten sich offenbar schon für die Zeit nach der sich abzeichnenden Niederlage. Laut einem Lagebericht vom 22. April sahen die Kirchen in dieser Entwicklung eine – wohl kaum zu belegende - Bestätigung dafür, dass eine große Zahl der Kirchenaustritte der Vorkriegszeit unter politischem Druck erfolgt sei. „Es zeige sich, dass unter der Wucht des Kriegsgeschehens und vor dem Tode, der plötzlich an Tausende von Familien herantritt, alles zerbröckelt, was nur Ideologie war.“

Am 22. April wurde im Reichsgebiet – und das gleich rückwirkend bis zum 1. September 1939 – das bis dahin Soldaten vorbehaltene „Verwundetenabzeichen“ auch für Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder an der „Heimatfront“ eingeführt. Verliehen werden sollte es „in Anerkennung des tapferen Verhaltens der Gesamtbevölkerung bei Luftangriffen“ an Zivilisten, die im „Heimatkriegsgebiet“ verwundet worden waren. Gerade Jugendliche sahen in einer solchen, ihre Tapferkeit betonenden Auszeichnung zumeist einen Ansporn für gefährliche Einsätze. Und die körperliche Belastung nahm unvermindert zu, unter anderem dadurch, dass der jährliche Urlaubsanspruch für Beschäftigte in der deutschen Privatwirtschaft am 23. April auf 14 Tage begrenzt wurde.

Die personellen Engpässe in der Rüstungsindustrie hatten derart extreme Formen angenommen, dass das NS-Regime sich am 27. April sogar (vorübergehend) bereitfand, von seiner rassistischen Grundeinstellung abzuweichen. Die unter dem Tarnnamen „14 f 13“ auf Insassen von Konzentrationslagern zielende „Euthanasie“-Aktion wurde von diesem Tag an insofern eingeschränkt, dass es nun möglich war, hierfür vorgesehenen Häftlinge zunächst in der Industrie einsetzen zu können.

Wer sich an der „Heimatfront“ nicht völlig systemkonform verhielt, hatte hingegen mit harten Sanktionen zu rechnen. So wurde in Wien am 12. April ein 47jähriger Mann als „Rundfunkverbrecher“ zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er in seiner Wohnung Auslandssender gehört und sich daran anschließend anderen gegenüber in „deutschfeindlichem“ Sinne geäußert haben sollte.

Je bedrohlicher die Kriegslage wurde, umso massiver setzte das NS-Regime seine rassistische Ideologie in grausame Taten um. So rückten am 19. April Einheiten der Waffen-SS in das Warschauer Getto ein, um die hier noch lebenden 70.000 Menschen in Vernichtungslager zu deportieren. Als die jüdische Untergrundorganisation hiergegen jedoch heftigen Widerstand leistete, führte das zur Beschießung des Gettos. Am folgenden Tag durchkämmte die SS mit Flammenwerfern Haus für Haus, brannte alles nieder und ermordeten dabei ungezählte Gettobewohner. Die Überlebenden wurden ins Vernichtungslager Treblinka überführt. Die Widerstandshandlungen dauerten bis zur endgültigen Zerschlagung des Aufstandes am 16. Mai an und forderten auf jüdischer Seite Zehntausende an Toten.

Am 29. April wurde die deutsche Presse mittels einer geheimen Weisung aufgefordert, ihre antisemitische Hetze zu verschärfen. Ab sofort, so hieß es, dürfe es keine Zeitung mehr geben, die in Artikeln und Kommentaren „nicht nachdrücklich auf die Blutfratze des Judentums“ hinweise. Insbesondere in Schlagzeilen und Überschriften müsse immer wieder „auf das jüdisch-bolschewistische Mordbrennertum“ hingewiesen werden. Gleichgültig um welchen Gegenstand oder welches Ereignis es sich handelte, die Richtung war eindeutig vorgegeben: „Es muss bei jeder Sache festgestellt werden, die Juden sind schuld!“

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

In diesem Monat änderte sich das Tätigkeitsfeld der Reichsvereinigung der Juden deutlich. Hatte sie sich bis zum Emigrationsverbot im Herbst 1941 intensiv mit der Auswanderung befasst und war danach in die administrative Abwicklung der Deportationen einbezogen worden, traten seit dem Frühjahr 1943 die Bereiche Gesundheit und Fürsorge für die immer weniger Zurückbleibenden in den Vordergrund ihrer Tätigkeit.

Mitte April wurde ein von Reichsführer SS Heinrich Himmler für Hitler in Auftrag gegebener statistischer Bericht über „Die Endlösung der europäischen Judenfrage“ fertiggestellt. Demnach waren laut Bilanz seines Mitarbeiters Richard Korherr im Rahmen der bis zum Jahresende 1942 durchgeführten Aktionen rund 4,5 Millionen Juden vertrieben oder ermordet worden.

Am 8. April wurde der ohne schon stark reglementierte Briefwechsel von und nach Theresienstadt noch weiter eingeschränkt. Nunmehr müssen sämtliche Briefe dorthin über die Reichsvereinigung der Juden geleitet werden. Außerdem wurde sämtliche Geschenksendungen nach Theresienstadt verboten.

Durch eine Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes vom 28. April erhöhte sich die Bedrohungslage aller noch im kriegswichtigen Arbeitseinsatz tätigen Jüdinnen und Juden erheblich. Sie sollten nämlich aus ihrem Beschäftigungsverhältnis herausgenommen und gemeldet werden, soweit sie für eine Deportation „nach dem Osten“ oder nach Theresienstadt in Frage kommen. Um Fluchtversuche zu unterbinden sollte dieser Personenkreis geschlossen interniert werden. Diejenigen, die für diese Maßnahme nicht in Frage kamen, sollten im geschlossenen, jederzeit widerrufbaren Arbeitseinsatz untergenbracht werden.

Zugleich sollte die Öffentlichkeit nun offenbar ständig über die Behandlung der jüdischen Bevölkerung auf dem Laufenden gehalten werden. Jedenfalls wies der Reichspressechef die deutsche Presse am folgenden Tag an, die „Judenfrage fortlaufend und ohne Pause“ zu behandeln.

Am 19. April war es im Warschauer Getto zu Unruhen gekommen. Zuvor waren rund 300.000 von dessen Bewohnerinnen und Bewohnern in das Vernichtungslager Treblinka deportiert worden. Als deutsche Polizeieinheiten dann am 19. April 1943 das Getto betraten, um die letzten dort verbliebenen rund 60.000 Jüdinnen und Juden zu deportieren, leisten diese bewaffneten Widerstand, um ihren Weg in den praktisch sicheren Tod zu verhindern. Die Kämpfe dauerten bis zum 16. Mai, ehe der Aufstand von SS - und Polizeiverbänden niedergeschlagen wurde. Nachrichten hierüber gelangten auch nach Deutschland, ohne hier jedoch öffentliche Reaktionen hervorzurufen.

Im April trafen Vertreter Großbritanniens und der USA zusammen, um über eine Soforthilfe für Flüchtlinge zu beraten. Die Ergebnisse waren - wie schon so oft in der Vergangenheit -enttäuschend, und die Gespräche blieben allgemein und unverbindlich. Statt nach konkreten Lösungen und Hilfen für die drängenden Probleme zu suchen, einigte man sich stillschweigend darauf, die jeweiligen nationalen Interessen des anderen zu wahren. Für die Briten bedeutete das die Ablehnung von jeder Einmischung in ihre Palästinapolitik, für die US-Amerikaner ein Abblocken jeglicher Diskussion über ihre strenge Einwanderungspolitik. Das Grundprinzip beider lautete, dass man den europäischen Juden am besten mit einem schnellstmöglichen Gewinn des Krieges helfen würde. Angesichts solcher Untätigkeit blieben die internationalen jüdischen Hilfsorganisationen und die Jewish Agency for Palestine weiterhin die größte Hoffnung der verfolgten Juden.

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