Menü
Chronik und Quellen
1942
September 1942

„Meldungen aus dem Reich“

Der Sicherheitsdienst der SS berichtet am 28. September 1942 Folgendes über das Thema „Änderung des Abstammungsbescheides von Volljuden oder jüdischen Mischlingen ersten Grades“:

Wie bereits in den ''Meldungen aus dem Reich Nr. 307'' vom 10.8.1942 berichtet, erregt es in der Bevölkerung stärkstes Aufsehen, daß immer wieder Personen, die bisher als Volljuden galten, es verstehen, einen Bescheid darüber zu bekommen, daß sie als Mischlinge 1. Grades anzusehen sind oder daß Halbjuden als deutschblütig im Sinne des Reichsbürgergesetzes erklärt werden. Außer den bereits gemeldeten Fällen sind in der letzten Zeit erneut Fälle bekanntgeworden, die in der Bevölkerung lebhaft besprochen wurden.

So habe z.B. der Jude [N.N.a], der in Tschernowitz, also einem der größten Judenzentren des Ostens, geboren sei, nachdem er bisher stets sich als Jude bekannt habe, plötzlich erklärt, daß er nicht von seinen jüdischen Eltern abstamme. Die Eintragung seiner Geburt in die jüdischen Matrikeln sei nachträglich erfolgt. Wie er aus der Mitteilung seiner Mutter wisse, sei er der uneheliche Sohn einer ukrainischen Dienstmagd, von der er aber nur den Vornamen kenne. Die jüdischen Eheleute [N.N.a] hätten ihn lediglich adoptiert. Seine Adoptivmutter habe ihm kurz vor ihrem Tode dieses in einem Brief mitgeteilt. Die Adoptivmutter ist bereits verstorben. Der Brief ist nicht mehr vorhanden. Dafür bringt aber der Jude eine Zeugin, die diesen Brief gelesen haben will, da sie ehemals Haushälterin bei der jüdischen Familie [N.N.a] war. Nur aufgrund dieses sehr kümmerlichen Materials sei ein rassenkundliches Gutachten angefordert worden, das zu dem Ergebnis kam, daß nach der rassischen Überprüfung [N.N.a] von artverwandten Eltern abstammen müsse. Infolgedessen hat [N.N.a] den Bescheid erhalten, daß er nicht als Jude anzusehen sei.

Dieses Urteil hat, soweit es bekanntgeworden ist, in der Bevölkerung großes Aufsehen erregt, man ist der Ansicht, daß hier alle Stellen auf einen ganz ausgefallenen jüdischen Schwindel hereingefallen seien.

In einem anderen Falle behauptet die Jüdin [N.N.b], daß ihr bereits im Jahre 1927 verstorbener Vater nicht Jude gewesen sei. Ihr Großvater habe sich nämlich in der Frage kommenden Empfängniszeit in Amerika aufgehalten, was u.a. durch die eidesstattliche Erklärung eines Prokuristen [N.N.c] erhärtet wird. Dabei ist festzustellen, daß der Zeuge erst im Jahre 1894 geboren ist, während sich der Großvater in der Zeit vom Februar bis Mai 1890 in Amerika aufgehalten hat. Hier hat der Zeuge also eine eidesstattliche Erklärung über Vorfälle abgegeben, die sich angeblich 4 Jahre vor einer Geburt zugetragen haben. Auch hier hat aufgrund dieser sehr schwachen Unterlagen eine rassenkundliche Untersuchung stattgefunden, die nur aufgrund von Lichtbildmaterial zu der Feststellung kommt, daß Merkmale der jüdischen Grundrasse bei dem Vater des Prüflings nicht wahrzunehmen seien. Abschließend kommt der Entscheid zu der Feststellung, daß die Antragstellerin demnach als Mischling 1. Grades anzusehen sei. Die Antragstellerin selbst ist nach dem hier vorliegenden Material überhaupt nicht untersucht worden.

In einem weiteren hier bekanntgewordenen Fall wurde der jüdische Mischling [N.N.d] als deutschblütig erklärt. Hier soll nach der Behauptung der Mutter des Prüflings nicht der bisher anerkannte jüdische Vater [N.N.e] der eigentliche Vater sein, sondern ein unbekannter Mann, von dem lediglich der Vorname ''Fritz'' feststeht. Obwohl das anthropologische Gutachten zu dem Ergebnis kommt, daß sich zwar jüdische Merkmale gezeigt hätten, die sich aber auch in der Familie der Mutter fänden und weiteres Beweismaterial für die deutschblütige Abstammung des Antragsstellers nicht vorhanden ist, wurde die obige Entscheidung gefällt. Von dem jüdischen Vater haben bei der Begutachtung lediglich Lichtbilder vorgelegen, von den Unbekannten überhaupt keine Unterlagen.

Schließlich sei noch der Fall angeführt, in dem der jüdische Mischling [N.N.f] deutschblütig erklärt wurde. Die [N.N.f] hat bisher als die uneheliche Tochter der deutschblütigen [N.N.g] mit dem Volljuden [N.N.h] gegolten, der seinerzeit auch von Gerichts wegen zur Unterhaltszahlung verurteilt wurde. In der Begründung zu dem jetzigen Abstammungsbescheid wird ausgeführt, daß der Jude [N.N.h] der bisher regelmäßig die Unterhaltszuschüsse geleistet hat, im Jahre 1940 angegeben habe, er sei tatsächlich nicht der Erzeuger und wisse auch nicht, warum er eigentlich als Kindesvater angegeben worden sei. Wer nun eigentlich der deutschblütige Vater der Antragsstellerin sein soll, geht aus dem Abstammungsbescheid in keiner Weise hervor. Das ganze Verfahren ist lediglich auf der Vermutung zustande gekommen, daß die Kindermutter in der fraglichen Zeit auch mit einem Schauspieler Verkehr gehabt habe, der dem Aussehen nach offenbar Arier gewesen sei. Das anthropologische Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß bei dem Prüfling einige wenige jüdische Rassenmerkmale vorhanden seien, die aber im mütterlichen Erbgut eine genügende Erklärung finden können.

Der letzte Fall hat deswegen besonderes Aufsehen erregt, weil einmal hier einer eidesstattlichen Aussage eines Juden geglaubt wird und zum anderen vor allem dem Juden unterstellt wird, daß er jahrelang Unterhaltsbeiträge für ein uneheliches Kind gezahlt habe, von dem er selbst der Ansicht sei, daß er nicht der Erzeuger sei. Außerdem ist es aufgefallen, daß - trotzdem hier der bisher anerkannte gesetzliche jüdische Vater vorhanden war - von der Möglichkeit einer exakten erbbiologischen Vaterschaftsbestimmung kein Gebrauch gemacht worden ist.

Aufgrund derartiger Fälle sind heute schon weite Kreise der Ansicht, daß es außerordentlich leicht sei, sich zum Arier erklären zu lassen. Man müsse nur über die richtigen Zeugen verfügen. Aus mehreren hier vorliegenden Berichten ergibt sich, daß aufgrund derartiger Entscheidungen bereits das Vertrauen in die Entscheidungen der zuständigen Stellen zu schwinden beginne und es daher dringend erforderlich sei, die hier bestehende Lücke in der Gesetzgebung zu schließen.

Baum wird geladen...