Berichte aus Minden
Am 6. Dezember 1941 berichtet die SD-Außenstelle Minden über die „Einstellung der Bevölkerung zur Evakuierung der Juden“:
Die inzwischen zur Tatsache gewordene Evakuierung der Juden aus dem hiesigen Bereich wird in einem großen Teil der Bevölkerung mit großer Besorgnis aufgenommen. Dabei sind zwei Gesichtspunkte die den Leuten am meisten am Herzen liegen. Einmal vermuten sie, daß dadurch den vielen Deutschen im noch neutralen Ausland, besonders in Amerika wieder neues Leid zugefügt werden könnte. Man weist dabei wieder auf den 9. Nov. 1938 der uns auch im ganzen Auslande mehr geschadet hat, als er uns hier im Inland genutzt hat.
Der zweite Punkt ist der, daß es doch wohl sehr bedenklich sei, jetzt im Winter mit allen seinen Gefahren die Leute ausgerechnet nach dem Osten zu verfrachten. Es könnte doch damit gerechnet werden, daß sehr viel Juden den Transport nicht überständen. Dabei wird darauf hingewiesen, daß die jetzt evakuierten Juden doch durchweg Leute wären, die seit ewigen Jahren in hiesiger Gegend gewohnt hätten. Man ist der Ansicht, daß für viele Juden diese Entscheidung zu hart sei. Wenn auch diese Meinung nicht in verstärktem Maße festzustellen ist, so findet man sie aber doch in einem großen Teil gerade unter den gutsituierten Kreisen. Hierbei sind auch wieder die älteren Leute die überwiegende Anzahl.
Seitens der Volksgenossen, die die Judenfrage beherrschen, wird die ganze Aktion jedoch absolut bejaht. Man stellt dem gegenüber das deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl, daß sich doch immer wieder gezeigt habe. Als der Führer gemerkt habe, daß den Deutschen in Rußland eine Gefahr drohte, sei er sofort dazu übergegangen, diese alle ins Reich zurückzuholen. Der Jude hätte ja ein gleiches seit 1933 auch tun können, dann wäre diese Aktion heute nicht mehr erforderlich.
In einem weiteren Bericht vom 12. Dezember 1941 heißt es zur „Judenaktion in Minden“:
Über die augenblicklich im Gang befindliche Judenaktion wird im hiesigen Bereich viel erzählt, der größte Teil der Juden sei schon abtransportiert. Das Besitztum verfalle dem Staat. Es wird sich erzählt [sic], daß die Juden alle nach Rußland abgeschoben würden, der Transport würde durchgeführt bis Warschau in Personenwagen und von dort mit Viehwagen der Deutschen Reichsbahn. Der Führer wolle bis zum 15.1.1942 die Meldung haben, daß sich kein Jude innerhalb der Deutschen Reichsgrenze aufhalte. In Rußland würden die Juden zur Arbeit in ehemals sowjetischen Fabriken herangezogen, während die älteren und kranken Juden erschossen werden sollten. Durch diese Redereien wird tatsächlich die Mitleidsdrüse verschiedener christlich Eingestellter stark in Tätigkeit gebracht. Es wäre nicht zu verstehen, daß man mit Menschen so brutal umgehen könne, ob Jude oder Arier , alle wären letztlich doch von Gott geschaffene Menschen. Man sieht verschiedentlich Juden mit Haushaltsgegenständen beladen durch die Straßen ziehen. Von irgendwelcher Gedrücktheit ist keine Spur zu erkennen.
Viel wird in der Bevölkerung davon gesprochen, daß alle Deutschen in Amerika zum Zwecke ihrer Erkenntlichkeit ein Hakenkreuz auf der linken Brustseite tragen müssen, nach dem Vorbild, wie hier in Deutschland die Juden gekennzeichnet sind. Die Deutschen in Amerika müßten dafür schwer büßen, daß die Juden in Deutschland so schlecht behandelt werden.
Wiederum eine Woche später heißt es am 19. Dezember 1941 zum Thema „Schwierigkeiten über die Frage der Zuständigkeit bei der Verwertung des jüdischen Vermögens“:
Über die Zuständigkeit der einzelnen Behörden bei der Verwertung des jüdischen Vermögens, der jetzt evakuierten Juden sind Meinungsverschiedenheiten aufgekommen. Während es bisher so gehandhabt wurde, daß die Partei bei dem Verkauf von jüdischen Grundstücken ihre Zustimmung zu geben hatte, steht jetzt die Finanzverwaltung auf dem Standpunkt, daß ihr allein dies übertragen sei. Der bisherige Verlauf der ganzen Aktion war so, daß die Ortspolizeibehörden den Auftrag der Stapo , die Häuser zu versiegeln, durchzuführen hatten. Wenige Tage nach dieser Versiegelung wurde das Finanzamt bei der OPB vorstellig um die Herausgabe der Schlüssel für die versiegelten Wohnungen zu verlangen. Da aber den Bürgermeistern als OPB seitens der Stapo hierzu kein Auftrag gegeben war, weigerten sich diese den Schlüssel herauszugeben. Das Finanzamt dagegen will angeblich eine Anweisung des Reichsfinanzministers haben, wonach ihnen, die Verwertung sowohl des Mobiliars als auch der Wohnungen übertragen sei. Demgegenüber beruft sich z.B. der Bürgermeister in Minden, auf das Gesetz über die Mietverhältnisse der Juden, Reichsgesetzblatt, Seite 864 vom 30.4.1939 worin ausdrücklich vermerkt ist, daß den Städten das Verfügungsrecht über die Judenwohnungen allein vorbehalten bleibt.
Auch seitens der Kreisleitung der NSDAP in Minden wurde bei der Gauleitung in Münster ein Einspruch dagegen eingelegt, daß bei dieser Evakuierungsmaßnahme andere Richtlinien als bisher zur Anwendung kommen sollen. Man weist darauf hin, daß damit seitens des Reichsfinanzministers eine Gesetzesänderung durchgeführt werden soll, die keine gesetzliche Grundlage habe.
Besonders hier in Minden tritt dadurch der Fall ein, daß das Finanzamt, dem zwar die Verwertung des Mobiliars übertragen werden kann, nunmehr bei der Verwertung der Wohnungen für sich selbst zuerst sorgt. Da bei diesem Verfahren die Zustimmung der Partei ausgeschaltet ist, wird allgemein vermutet, daß innerhalb der Beamtenschaft des Finanzamtes eine Günstlingswirtschaft aufkommt.
Da bisher noch keine endgültige Klärung in der ganzen Frage herbeigeführt ist, dürfte dies ein Problem sein, daß den Führungsstellen umgehend zur Stellungsnahme weitergeleitet werden muß.