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Chronik und Quellen
1941
November 1941

Bericht aus Essen

Am 28. November 1941 erstattet die Gestapo Essen folgenden Bericht:

Anliegend überreiche ich 2 Abschriften eines vertraulich erfaßten [sic] Briefes mit der Bitte um Kenntnisnahme. Verfasser des Briefes ist der in Berlin-Köpenick, Mahldorferstr. 94, wohnende Jude Dr. Staumel (oder Samuel). Der Brief ist an den in Essen, Lindenallee 61, wohnenden jüdischen Prediger August Felix Israel Katzenstein, geb. am 13.9.1876 in Jesberg, gerichtet.

Der Inhalt des Briefes dürfte insofern staatspolizeiliches Interesse beanspruchen, als der den gebildeten jüdischen Kreisen angehörige Verfasser ein Stimmungsbild über die Lage der noch in Deutschland befindlichen Juden gibt.

Bln.-Köpenick,
Mahldorferstr. 94,

Mein lieber Freund Katzenstein!

Heute früh kam Ihr inhaltsschwerer, tränenfeuchter Brief in meine Hände, ich vermag das Elend noch nicht ganz zu fassen, von dem er berichtet. Nun wäre es an mir zu trösten und aufzurichten. Aber woher soll ich den Mut dazu nehmen? Vieles ist auch hier und z.T. in meiner nächsten Nähe geschehen was ganz dem gleicht, was Sie schildern, aber was die Söhne u. Töchter meiner alten lieben Gemeinde so unendlich hart trifft, ist mir schmerzlicher als alles. Warum haben Sie und wir uns nicht rechtzeitig aus dieser Hölle gerettet, oder - warum haben nicht Einsichtige draußen sie sogar wieder ihrem Willen dem pressenden Feuer entrissen solange noch eine Möglichkeit war. Wir Letzten zurückgebliebenen haben sicher viel Gründe gehabt, hier zu verharren, aber es zeigt sich, daß es törichte Scheingründe waren, die wir hätten durchschauen müssen. Wir glaubten törichter Weise nicht daran, daß so etwas möglich wäre; als ob es besonders in einem grausamen Krieg irgendetwas Unmögliches für die entmenschten Kämpfer gäbe. Wir waren blind und taub und hörten auf die Stimmen von [Scholomm] wie zu Jeremias Zeiten - wo doch längst der Friede, die treüga Dei [sic], das aufgesagt und wir klar und deutlich in die Acht getan, als Staatsfeinde erklärt waren. Nicht wahr, verehrter Freund, in dieser Torheit und Verblendung lag mehr als ein Fehler; es war eine Selbstvernichtung an die die unversöhnlichen Hasser jetzt nur die letzte Hand anlegen. Und wir hatten doch 5 Sinne, Erfahrung, Vernunft. Es gab sogar auch Prediger, die das Richtige voraussagten, aber wir hörten nicht auf sie, weil sie machtlos waren und uns als Schwärmer erschienen. Jetzt müssen wir von der Hand unserer früheren Landsleute erdulden, was sonst nur Menschen mitten im Kriege von den Feinden zu erleiden pflegen. Dies alles dem Phantom zuliebe, daß das neue Deutschland, nein das neue Europa keine Juden dulden dürfe, sofern sein Wohl und Heil gesichert sein sollte!!

Kann das ein Trost in unserer entsetzlichen Lage sein? Ich weiß es nicht. Aber soviel ist gewiß: ich fühle so, daß uns Strafe für unsere Verblendung trifft. Wer nicht hören will muß fühlen. Wir haben uns auch zu sehr auf die Hilfe von draußen verlassen und sie hätte mächtiger und nachhaltiger sein können. Wir aus dem Altreich hätten alle gerettet werden sollen und können. Aber das entschuldigt uns nicht vollkommen jene sind schließlich auch nur selbstische Menschen. Zur Hilfe nur bereit, wo sie nicht allzusehr die eignen Interessen berührt. Wieviel russische und polnische Juden haben wir deutsche wohl in den Jahrzehnten zwischen 1830-1930 zugrunde gehen lassen?

Aber unser Gott bleibt deswegen was er gewesen ist. Er hat wie die Geschichte lehrt, unsere Väter sehr oft ähnlichen Verderben preisgegeben und den Rest als seine Getreuesten am Leben erhalten. Wir hielten uns lange selbst für diesen Rest. Aber unsere Leidenszeit ist offenbar noch nicht beendet. Warum wir zu den ''Auserwählten'' gehören, die wieder einmal die furchtbarsten Leiden am eigenen Leib erdulden müssen, können wir nicht sagen. Die Tatsache ist so furchtbar, daß uns die Gedanken schwinden und doch müssen wir tapfer und aufrecht bleiben: denn das Auge Gottes d.i. das Auge der Geschichte wacht; es ruht auf uns; ihm entgeht nichts von dem was man uns antut aber auch nichts von dem wie wir es tragen. - Ich hoffe von Herzen und zuversichtlich, daß Sie und Ihre Kinder von der Verschickung verschont bleiben! Schreiben Sie mir bitte und bitte bald ob eine neue Gruppe auf den bitteren Leidensweg gebracht werden soll. Auch hier ist alles in Bewegung und was aus den Altersheimen wird, weiß niemand.

Ich bin und bleibe mit treuen Grüßen und Wünschen von Haus zu Haus

Ihr Staumel.

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