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Chronik und Quellen
1941
November 1941

„Meldungen aus dem Reich“

Am 24. November 1941 berichtet der Sicherheitsdienst der SS über „Versuche der Kirchen die judengegnerische Haltung der Bevölkerung durch konfessionelle Gegenarbeit zu untergraben:

Die Polizeiverordnung des Reichsminister des Innern vom 1. September 1941 , die den Juden verbietet, sich in der Öffentlichkeit ohne den sichtbar auf der linken Brustseite des äußersten Kleidungsstückes zu tragenden Judenstern zu zeigen, hat nicht nur in den größeren Städten hinsichtlich der großen Zahl der Juden in der Bevölkerung Überraschung ausgelöst, sondern auch das Kirchenvolk auf die zahlreich getauften Juden , die sich unter den Besuchern der Sonntagsgottesdienste befinden, aufmerksam gemacht.

Nach dem Inkrafttreten der Verordnung wurden an den darauffolgenden Sonntagen verschiedene Kirchenbesucher bei ihren Ortsgeistlichen vorstellig. Sie verlangten, daß die Juden nicht mehr die gemeinsamen Gottesdienste besuchen dürften und daß man von ihnen nicht verlangen könne, daß sie neben einem Juden die Kommunion empfangen sollen.

Die Haltung der Geistlichkeit der Bekenntnisfront wird gekennzeichnet durch ein Flugblatt, das von einer Stadtvikarin in Breslau verfaßt und in verschiedenen Teilen des Reichsgebietes verbreitet wurde:

''Es ist Christenpflicht, sie (die Juden) nicht etwa wegen der Kennzeichnung vom Gottesdienst auszuschließen. Sie haben das gleiche Heimatrecht in der Kirche, wie die anderen Gemeindemitglieder und bedürfen des Trostes aus Gotteswort besonders.

Für die Gemeinden besteht die Gefahr, daß sie sich durch nicht wirkliche christliche Elemente irre führen lassen, daß sie die christliche Kirche durch unchristliches Verhalten gefährden. Es muß ihnen hier seelsorgerisch etwa durch Hinweis auf Luk. 10, 25-37 ('Wer ist dein Nächster?') und Matth. 25.30 ('Was Ihr einem von diesen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan!') geholfen werden.''

Zugleich erfolgten praktische Ratschläge zur Lösung dieser Frage:

''Es wäre zu erwägen, ob nicht die Kirchenbeamten, Gottesdienstredner usw. sich dieser gekennzeichneten Gemeindemitglieder besonders anzunehmen und ihnen, wenn nötig, Plätze anzuweisen hätten. Eventuell wären auch besondere Plätze in jedem Gottesdienst vorzusehen, um sie davor zu bewahren, von unchristlichen Elementen fortgewiesen zu werden. Damit das aber nicht als unevangelische Absonderung aufgefaßt werden kann, ist es notwendig, daß treue Gemeindemitglieder (z.B. Gemeindekirchenräte, Frauenhilfe, Pfarrhaus) auch auf diesen Bänken neben und unter den nichtarischen Christen Platz nehmen. Es ist auch zu überlegen, ob nicht diese gekennzeichneten Christen in der ersten Zeit von Gemeindemitgliedern zum Gottesdienst abzuholen wären. ''

Inzwischen hat sich das evangelische Konsistorium der Kirchenprovinz Schlesien infolge der ablehnenden Haltung der Bevölkerung und der Stellungnahme der Partei gezwungen gesehen, von diesem Schreiben, das angeblich ohne seine Einwilligung vorbereitet wurde, Abstand zu nehmen. Eine ähnliche Beurteilung dieser ''Behandlung der Judenchristen'' aus anderen Teilen des Reiches ist bis jetzt nicht erfolgt.

In katholischen Gemeinden der größeren Städte tauchte der Plan auf, die jüdischen Katholiken zu einer Judenchristengemeinde mit eigenem Gottesdienst zusammenzufassen, um jede Belästigung der übrigen Katholiken zu vermeiden. Diese Lösung, die sowohl aus Kreisen der Bevölkerung, wie vereinzelt auch von Klerikern vorgeschlagen wurde, veranlaßte den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Bertram, in einem Rundschreiben (17.9.1941) besonders Stellung zu nehmen zum Erscheinen der Juden in Kirchen und kirchlichen Gebäuden, wie auch zu Aussiedlungsaktionen:

''Die Auswirkung der Polizeiverordnung hinsichtlich der Haltung des Katholischen Volkes zu den in Gottesdiensten erscheinenden Katholiken, jüdischer Abstammung werden in den verschiedenen Orten verschieden sein, namentlich wegen des starken oder geringeren Einflusses der in der öffentlichen Meinung verbreiteten Auffassungen.

1. Zu vermeiden sind daher übereilte Anweisungen, die für jüdische Katholiken als verletzend angesehen werden können, z.B. Einführung besonderer Judenbänke, Trennung bei Spendung der heiligen Sakramente, Einführung von Sondergottesdiensten.

2. Anordnungen einer Absonderung der Nichtarier ist gegen die christliche Liebe. Sie ist daher solange als möglich zu vermeiden. Die Pfarrer werden diesen Katholiken empfehlen, möglichst die Frühgottesdienste zu besuchen.

3. Eine Mahnung (an die Kirchenbesucher) zur brüderlichen Gesinnung und Meidung jeder geringschätzigen Behandlung der mit dem Stern gekennzeichneten katholischen Nichtarier ist erst dann erwünscht, wenn sich Störungen bemerkbar machen.

4. Erst wenn sich größere Schwierigkeiten ergeben sollten (Fernbleiben der Beamten, Parteigenossen und anderer, ostentatives Verlassen der Gottesdienste), ist mit den katholischen Nichtariern selbst die Abhaltung von Sondergottesdiensten zu erwägen.

5. Falls eine Mahnung sich als notwendig erweisen sollte, könnte folgender Wortlaut in Anwendung kommen:

In Anbetracht der Schwierigkeiten, welche für die in Deutschland wohnenden Juden durch die Polizeiverordnung vom 1.9.1941 eingetreten sind, werden die Katholiken ermahnt, die jedem Christen schuldige Rücksicht auch den Christen jüdischer Abstammung zu erweisen gemäß den Grundsätzen, die St. Paulus zur Christenpflicht verkündet hat:

Ein jeder der an Christus glaubt, wird nicht zu schanden werden. Denn es gibt keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen; denn ein und derselbe ist der Herr über alle, reich für alle, die ihn anrufen.

Ihr alle, die Ihr auf Christus getauft seid, habt Christum angezogen, da gilt nicht mehr Jude oder Heide, da gilt nicht Sklave oder Freier, denn Ihr alle seid eins in Christus Jesus.''

In ähnlicher Weise wandte sich Kardinal Innitzer an den Klerus der Ostmark. Auch er lehnte die Kennzeichnung der Juden, obwohl sie durchaus mittelalterlich-christlicher Tradition entspricht, ab, ebenso die Zusammenfassung der jüdischen Katholiken zu besonderen judenchristlichen Gemeinden mit eigenen Kirchen und Kirchendienst, weil diese Maßnahme als Konzession an die nationalsozialistische Rassenlehre aufgefaßt werden könnte. Vorsprachen von Gläubigen in den Pfarrkanzleien wegen Entfernung der Juden aus den Kirchen seien scharf abzulehnen und die Petenten zu belehren, daß die Kirche bei ihren gottesdienstlichen Handlungen keine Rassenunterschiede machen dürfe. Gleichzeitig ließ der Kardinal unter Hinweis auf die Aussiedlungsaktion, die Priester auffordern, für die jüdischen Glaubensgenossen, die gezwungen werden, demnächst Wien zu verlassen, zu beten. Danach ist, trotzdem die Juden in letzter Zeit sehr zahlreich, anscheinend abordnungsweise in die Kirchen entsandt werden, wohl um das Mitleid der Kirchenbesucher zu erregen, auf Grund der Stellungnahme der beiden Kardinäle mit einer Absonderung der Juden im Gottesdienst und beim Sakramentempfang von kirchlicher Seite aus nicht zu rechnen.

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