Bericht aus Mannheim
Am 10. Dezember 1940 erstattet die Oberstaatsanwaltschaft Mannheim ihren „Zweimonatsbericht“ für Oktober/November:
Am 22. Oktober 1940 vormittags wurden in Mannheim durch die Geheime Staatspolizei die Juden weggeschafft. Hierbei ereigneten sich in der Oststadt verschiedene Selbsttötungen. Es haben sich an jenem Vormittage das Leben genommen:
1. und 2. die Eheleute Gustav Israel Lefo, 74 Jahre alter Fabrikant und Luise Sara Lefo geb. Lindemann, 65 Jahre alt, in Mannheim, Werderstar. 20 durch Vergiftung mit Leuchtgas;
3. und 4. Klara Sara Scharff, geb. Strauss, 64 Jahre alt, und ihr Bruder Otto Israel Strauss, 54 Jahre alt, in Mannheim, Hildastr. 6, durch Vergiftung mit Leuchtgas.
5. die 61 Jahre alte verheiratete Olga Sara Strauss, geb. Simons, Ehefrau des Rechtsanwalts Dr. Sigmund Israel Strauss in Mannheim, Renzstr. 3, durch Vergiftung mit Schlaftabletten; der Ehemann Dr. Strauss hat ebenfalls einen Selbsttötungsversuch unternommen, der aber ohne Erfolg blieb;
6. die 47 Jahre alte ledige Professorin i.R. Jenny Sara Dreifuß in Mannheim, Lameystr. 13, durch Vergiftung mit Schlaftabletten;
7. die 73 Jahre alte Witwe Nanette Sara Feitler, geb. Süßmann in Mannheim, Hebelstr. 21 durch Erhängen an der Klosettüre;
8. der 69 Jahre alte ledige Kaufmann Alfred Israel Bodenheimer in Mannheim, Hildastr. 6, durch Vergiften mit Schlaftabletten.
Der am 1. November 1918 in Mannheim geborene, led. Dreher Kurt Ignatz Krückel, der Halbjude ist, wurde im Juli 1938 in Mannheim gemustert, für tauglich Infanterie befunden und sollte im November 1938 zum Reichsarbeitsdienst einrücken. Alsbald nach der Musterung verschwand er aus Mannheim. Nach einem Jahr schrieb er an seine Mutter aus Marseille einen Brief, worin er die Absicht äußerte, in die französische Fremdenlegion einzutreten.
Am 11. April 1940 gab das Wehrbezirkskommando Mannheim über Krückel die in § 437 der StPO vorgeschriebene Erklärung ab und erstattete gegen ihn Anzeige. Mit Urteil des Amtsgerichts SG 2 Mannheim vom 19. Juli 1940 wurde Krückel im Abwesenheitsverfahren wegen Wehrdienstentziehung § 140 Abs. 1 StGB, zu zwei Jahren Gefängnis und zum Verlust der Fähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter auf die Dauer von fünf Jahren verurteilt. Die von der Mutter Krückel eingelegte Berufung wurde von der Strafkammer am 3. Oktober 1940 zurückgewiesen. Nach Rechtskraft hat das Wehrbezirkskommando Mannheim I darauf hingewiesen, daß Halbjuden seit April ds. Jrs. nicht mehr zum Wehrdienst herangezogen werden dürfen. Es handelt sich hierbei um eine geheime Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht. Seine frühere Erklärung gem. § 457 StPO hat das Wehrbezirkskommando nicht zurückgenommen oder für unrichtig erklärt.