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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

SD-Bericht aus München

Im Januar (?) 1939 erstattet der SD-Oberschnitt Süd (II 112) seinen „Bericht für 1938“:

Judentum

Das vergangene Jahr stand im Zeichen der völligen Ausschaltung der Juden. Während im Jahre 1937 der Jude im Wirtschaftsleben noch eine einflußreichere Stellung einnehmen konnte, wurde ihm im Jahre 1938 durch die planmäßig vorgetriebenen Maßnahmen allmählich der Boden entzogen. Dem Grundgedanken des Judentums: ''Mit Kapital zur Macht'' wurden so die Stützen genommen.

Neben den zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen waren es noch drei Ereignisse, die das Leben der Juden im besonderen Maße völlig beeinflußten: Die Eingliederung Österreichs, die Eingliederung des Sudetenlandes, die den Juden jede Unterstützung propagandistischer Art aus den Reihen der dort ansässigen Juden und Kommunisten nahm und die Aktion am 10.11.1938 , die den endgültigen Wendepunkt in der Judenfrage in Deutschland brachte.

Als Folge dieser planmäßigen Ausschaltung mußte der Jude erkennen und hat es auch erkannt, daß für ihn die einzige Möglichkeit der Erhaltung die Auswanderung bedeutet. Wie ernst jedoch dem Juden mit seinem plötzlichen Meinungsumschwung war, zeigten die Krisenzeiten, die in Deutschland während der Eingliederung Österreichs und im besonderen des Sudetenlandes festzustellen waren. Obwohl der Jude seine Existenz schon schwinden sah, flackerten während der allgemeinen Zeit der politischen Hochspannung neue Hoffnungen auf, daß eine kriegerische Verwicklung Deutschlands mit seinen ehemaligen Feinden die erhoffte Wendung bringen könnte. Um so enttäuschter waren die Juden nachher, als sie ihren Traum nicht verwirklicht sahen.

Die allgemeine Bedrängnis, in die die Juden infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage gebracht wurden, machte ihnen endlich klar, daß sie alle inneren Verschiedenheiten ausschalten müßten und nur einem Gedanken dienen konnten, der für sie die Rettung bringen würde: der Auswanderung. Eine Folge davon war, daß die assimilatorischen Bestrebungen, die im Vorjahre noch deutlich in Erscheinung traten, gänzlich in den Hintergrund rückten. Selbst die ältesten Juden kamen zu dem Entschluß auszuwandern. Es war interessant, festzustellen, daß auch die nach dem November 1938 noch zugelassenen Rechtskonsulenten ihre Auswanderung vorbereiteten, da sie infolge des stetigen Verarmungsprozesses im Judentum damit rechneten, daß ihre Verdienstgrundlage in 3-5 Jahren nicht mehr ausreichend ist.

Zur Beurteilung der im vergangenen Jahre bestandenen Lage geben nachfolgende Bevölkerungszahlen der Juden auf die einzelnen Unterabschnittsbereiche Anhaltspunkte:

Im Unterabschnittsbereich Mü-Obb., ohne München,               470 Juden
in München                                                                                        8.561   ''
                                                                             zusammen             9.031   ''
Im Unterabschnittsbereich Schwaben                                           1.969   ''
Im Unterabschnittsbereich Mainfranken                                     5.541   ''
Im Unterabschnittsbereich Franken                                               6.089   ''
Im Unterabschnittsbereich Bayer. Ostmark                               1.950   ''
Im gesamten Oberabschnittsbereich zusammen                     24.580 Juden.

Wenn gelegentliche Veröffentlichungen behaupten, daß die Juden vor allem wohlhabende bezw. städtische Bezirke aufsuchen, so ergeben vorstehende Zahlen über die Verteilung der Juden innerhalb der einzelnen Unterabschnitte den Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung.

Während in Oberbayern, Franken, Schwaben die Juden sich aus diesen Gründen zum größten Teil in den Städten niedergelassen haben, fanden die Juden in Mainfranken infolge Fehlens größerer Städte weniger Erwerbsmöglichkeit, ebenso in der Bayerischen Ostmark. Der Jude sah seine Haupterwerbsquellen dort auf dem Lande, wo er sich dem sehr einträglichen Schachergewerbe, Viehhandel , Getreidehandel usw. zuwandte.

 

Das jüdische Vereinsleben

Nachfolgend soll zunächst der Rahmen der jüdischen Vereinstätigkeit im Oberabschnittsbereich aufgezeigt werden. Die Zentralstelle des gesamten jüdischen Lebens in Bayern befindet sich in München und ist in dem Verband Bayerischer israelitischer Gemeinden , bezw. dem jüdischen Kulturbund organisatorisch verankert.

Nach politischen Gauen gegliedert ergibt sich folgendes Bild:

München-Oberbayern

Orthodoxe Vereine und Verbände:

Adas Jeschurun, Israelitische Religionsgesellschaft e.V., München, Mitgliederstand 45,
Der Verein Linath Hazedek und Agudas Achim , München, 86 Mitglieder.
Der Verein Machsike Hadas und Schomre Schabbos e.V., München, 33 Mitglieder.
Der Verein der Talmud-Thora-Schule , München, 72 Mitglieder.
Der Verein Heim der jüdischen Jugend, München, 8 Mitglieder.
Der Verein der israelitischen Jugendhilfe e.V., München, 544 Mitglieder.
Der Gebetsverein Ohel Jakob e.V. München, 74 Mitglieder.
Der Israelitische Verein für Krankenpflege, Bestattungswesen und religiöse Belehrung, Chewra Kadischa e.V., München, 538 Mitglieder.
Der jüdische Darlehenskassenverein ''Iwra'', München, 30 Mitglieder.
Der Krankenunterstützungsverein Bikur Cholim , München 77 Mitglieder. (Überwiegend polnische Staatsangehörige.
Der Verein Israelitische Krankenhilfe e.V., München, 341 Mitglieder.
Das Israelitische Schwesternheim e.V. München, 367 Mitglieder.
Der Verein Freunde der israelitischen Volksschule, München, 100 Mitglieder.
Der Israelitische Aussteuerverein, München, 284 Mitglieder.
Der Israelitische Verein zur Unterstützung mit Brennmaterial, München, 262 Mitglieder.
Der Verein Chewra Mosonos (Speiseverein), München, 137 Mitglieder.
Die Israelitische Krankenfürsorge, München, 473 Mitglieder.
Der Verein jüdisches Landheim, Wolfrathausen, Sitz in München, 126 Mitglieder, (aufgelöst).

Zionistische Vereinigungen:

Staatszionistische Organisation , München, (hatte bis zur Auflösung am 31.8.38 einen Mitgliederstand von 50 Erwachsenen und 30 Jugendlichen.)
Der zionistische Ortsverband, München.
Der Verband jüdischer Frauen zum Palästina-Aufbau ''WIZO '', München, 90 Mitglieder.

Assimilatorische Vereinigungen:

Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten , Ortsverband München, mit 364 Mitgliedern.
Der jüdische Turn- und Sportverein ''Itus'', München, 851 Mitglieder.

In München-Oberbayern haben die orthodoxen Vereinigungen 3.950 Mitglieder, die zionistischen Vereinigungen 463 und die Assimilanten , 1.531 Mitglieder.

 

Franken

Orthodoxe Vereine und Verbände:

Agudas Isroel, Nürnberg, Agudas Isroel, männliche Jugendgruppe, Agudas Isroel Mädchen-Jugendgruppe,
Israelitische Kinderheilstätte, Bad Kissingen,
Israelitisches Mädchenstift, Nürnberg.
Verein für jüdischen Krankenpflegerinnen, Nürnberg.
Israelitischer Lehrerverein Bayern e.V., Nürnberg.
Israelitischer Wohltätigkeitsverein für Hilfe in Krankheits- und Sterbefällen e.V., Nürnberg.
Israelitische Zentrale Wohlfahrtsstelle, Nürnberg.
Israelitischer Armen-Unterstützungsverein, Nürnberg.
Verein zur Fürsorge von hilfsbedürftigen Waisen und Witwen israelitischer Konfession e.V., Nürnberg.
Asra Pirche Agudas Isroel, Nürnberg.
Gemiluth Chasodim, Nürnberg.
Gesellschaft Phönix, Nürnberg.
Krankenhilfe und Jahreszeiten-Verein, Nürnberg.

Zionistische Vereinigungen:

Zeire Misrachi , Nürnberg.
Die Jugend- und Sportorganisation Habonim- Noar Chaluzi , Nürnberg.
Der Verband jüdischer Frauen für Palästina-Arbeit, Nürnberg.
Der zionistische Ortsverband Nürnberg.

Assimilatorische Vereinigungen:

Der Ring, Bund jüdischer Jugend, Nürnberg.
Jüdische Frauenvereinigung Esras Noschim , Nürnberg.
Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ortsverband Nürnberg.
Jüdischer Frauenverein e.V., Nürnberg.
Verein jüdischer Handwerker, Nürnberg.

 

Mainfranken

Orthodoxe Vereine und Verbände:

Rabbinate der israelitischen Kultusgemeinde in den Orten: Aidhausen, Altenschönbach, Brichsenstadt, Brückenau, Burgreppach, Dettelbach, Dittlofsroda, Ebelsbach, Ermershausen, Estenfeld, Frankenwinheim, Gerolzhofen, Hammelburg, Hassfurth, Höchberg, Höchheim, Hörstein, Hofheim, Homburg, Karbach, Karlstadt, Bad Kissingen, Kitzingen, Kleinsteinach, Königshofen, Laudenbach, Mainbernheim, Mainstockheim, Marktbreit, Marktheidenfeld, Maroldsweisach, Massbach, Mellrichstadt, Mittelsinn, Bad Neustadt/S., Niederwern, Obbach, Oberaltheim, Oberlauringen, Oberthula, Poppenlaura, Reckendorf, Reichenberg, Schonungen, Schwanfeld, Schweinfurt, Schweinshaupten, Steinach, Teilheim, Thüingen, Unsleben, Unteraltersheim, Untererthal, Urspringen, Veitshochheim, Völkersleier, Westheim, Wiesenbronn und Würzburg.

Der jüdische Kulturbund in den Orten Aschaffenburg und Würzburg.
Die Talmud-Thora-Vereine in Aschaffenburg und Burgreppach.
Die Wohltätigkeitsvereine in Aschaffenburg, Hörstein, Bad Kissingen, Kitzingen, Mainstockheim, Mellrichstadt, Mittelsinn, Schweinfurt und Würzburg.

Assimilatorische Vereinigungen:

Der Ortsverband des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Aschaffenburg, Bad Kissingen, Kitzingen, Mellrichstadt, Schweinfurt und Würzburg.
Die israelitischen Frauenvereine in Alzenau, Aschaffenburg, Gerolzhofen, Kitzingen, Königshofen, Mainstockheim, Marktbreit, Bad Neustadt, Niederwern, Schweinfurt und Urspringen.
Der Noar Agudati in Würzburg.

Zionistische Vereinigungen:

Der zionistische Ortsverband in Schweinfurt und Würzburg.
Brith Jehudim Zeirim und Brith Chaluzim Datiim, Würzburg.
Der Turn- und Sportverein in Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg.

 

Bayerische Ostmark

Orthodoxe Vereine und Verbände:

Rabbinate der israelitischen Kultusgemeinden in den Orten: Altenkunstadt, Amberg, Aufsess, Bamberg, Bayreuth, Burgkunstadt, Lichtenfels, Cham, Coburg, Demmelsdorf-Schesslitz, Ermreuth, Forchheim, Hirschhaid, Regensburg, Hof, Kronach, Kulmbach, Lichtenfels, Mühlhausen, Neumarkt, Trabelsdorf, Walsdorf, Weiden, Zeckendorf.

Der israelitische Holzverein in Bamberg.
Der israelitische Beerdigungsverein in Bamberg.
Die jüdische Wirtschaftshilfe e.V., Bamberg.
Der jüdische Kulturbund, Bamberg.

Assimilatorische Vereinigungen:

Israelitischer Männerverein in Amberg, Bayreuth und Coburg.
Israelitische Frauenvereine in Amberg, Bamberg, Burgkunstadt, Coburg, Forchheim, Regensburg, Straubing, Weiden und Bayreuth.
Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten e.V., Ortsverband in Regensburg, Cham, Bamberg, Weiden und Bayreuth.

Zionistische Vereinigungen:

Der zionistische Ortsverband in Bamberg und Regensburg.
Die Umschichtungslager Beth Chaluz in Bamberg und Regensburg.

 

Schwaben

Das Oberrabbinat in Augsburg und 2 Umschichtungslager.

Die Aufstellung zeigt zwar wenige zionistische Organisationen im Oberabschnittsbereich, jedoch können die übrigen Vereine und Organisationen wegen ihrer Bedeutungslosigkeit den zionistischen Bestrebungen bezw. Auswanderungsbestrebungen nicht hinderlich sein. Auch verfügen die kleineren Vereine auf dem flachen Lande über nur schwache Mitgliederbestände, sodaß auch aus diesem Grunde schon keine rege Vereinstätigkeit entwickelt werden kann. Ebenso mußte manche kleine Vereinigung mangels Interesse ihrer Mitglieder die Tätigkeit einstellen.

Ein innerorganisatorisches Problem für die Judenschaft bildete der Vollzug des Reichsgesetzes über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom 28.3.38. Neben anderen Zielen hatte sich der Verband bayerischer israelitischer Kultusgemeinden die Neuordnung des gesamten jüdischen Vereinswesens zur Aufgabe gemacht. Unter Wahrung der Selbstbestimmung wollte er die bayerischen Juden zur Pflege ihrer religiösen Interessen zusammenfassen. Als Programmpunkte wurden hierzu folgende aufgestellt:

1. Die Förderung allgemeiner und sozialer Angelegenheiten namentlich der herkömmlichen religiösen Einrichtungen der Kultusgemeinde,
2. die Bereitstellung von Mitteln für nicht genügend leistungsfähige Verbandsgemeinden,
3. die Beratung der Gemeinden in Angelegenheiten der Verwaltung,
4. die Fürsorge der Rabbiner , Lehrer, Kantoren und andere Beamte der Verbandsgemeinde,
5. die Schlichtung von Streitigkeiten im Güteverfahren oder Schiedsspruch,
6. die Vertretung der Gemeinden gegenüber den Zentralbehörden in Angelegenheiten, die sich auf das Verhältnis der Religionsgemeinschaft zum Staat beziehen,
7. die allgemeine Vertretung der bayerischen Gemeinden innerhalb der Reichsvertretung der Juden Deutschlands.

Die Rabbiner, denen ebenfalls die Neuregelung verschiedene Änderungen gebracht hätte, richteten an das Gremium des Verbandes bayerischer israelitischer Kultusgemeinden München, folgende Resolution: ''Die Konferenz erwartet auf das Entschiedenste, daß die Rabbiner in Bayern die Rechte gewahrt bleiben, die sie bisher nach den Bestimmungen der Verfassung im Normalstatut inne hatten.'' Daneben wurde von den Rabbinern auch Klage geführt über die bisherigen Auswirkungen des Rassegesetzes und die allgemein festzustellende Interesselosigkeit am jüdischen Leben. Die Rabbiner stellten u.a. fest, daß ihr bisheriger Einfluß und ihre bisherigen Rechte in den jüdischen Kultusgemeinden durch die Aufstellung der neuen Satzung im Vollzug des ergangenen Reichsgesetzes restlos ausgeschaltet sind und sie nunmehr in den Vereinen in keiner Weise mehr irgend ein Recht besäßen. Sie sahen in dieser Mustersatzung eine ''Verpreußung'' der bisherigen Zustände, wie sich der Rabbiner Dr. Heilbronner ausdrückte und eine Interesselosigkeit der führenden Köpfe in Berlin an dem religiösen Leben der jüdischen Gemeinden.

Weiter wurden in der Rabbiner-Konferenz in Nürnberg hierzu verschiedene Gesichtspunkte vorgetragen. Zusammenfassend kann diesen Ausführungen entnommen werden:

1. Ein allgemeines und rasches zahlenmäßiges Rückgehen der einzelnen jüdischen Gemeinden.
2. Große Interesselosigkeit der Juden am religiösen jüdischen Leben.
3. Eine große Anzahl von Juden sind nicht Mitglieder der Kultusgemeinde.
4. Zur Verhinderung der weiteren Zunahme der Interesselosigkeit der Juden am religiös-jüdischen Leben müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden:
   a) Nichtmitglieder der jüdischen Kultusverbände soll unter allen Umständen jegliche Hilfe bei Auswanderungen , in Not usw., verweigert werden.
   b) Rassejuden, die nicht Mitglied der jüdischen Gemeinde sind, soll im Todesfall die religiöse Beisetzung verweigert werden.

Neben dieser Uneinigkeit innerhalb der Verbandsführung der israelitischen Kultusgemeinden belastete die schwierige Finanzlage das jüdische Vereinsleben in außerordentlicher Weise. Einen guten Aufschluß über die Finanzlage gibt der Etat des Landesverbandes der bayerisch-israelitischen Kultusgemeinden in München.

Während das Gesamtvermögen der israelitischen Kultusgemeinde München am Schlusse des Etatjahres 1937 (31.3.1937) von RM 609.247,26 betrug, konnte am 1.4.1938 nur mehr ein Gesamtvermögen von RM 394.185,13 gebucht werden, also ein Rückgang von RM 215.062. Dem steht am 1.4.38-31.12.38 eine Einnahme von nur RM 296.255 gegenüber, die jedoch sofort wieder zur Abwendung des finanziellen Zusammenbruches verausgabt werden mußte. Durch die sinkenden Einnahmen war es auch der Kultusgemeinde München nicht mehr möglich, im Gegensatz zum Jahre 1937, die laufenden Zuschüsse für die einzelnen darauf angewiesenen Organisationen aufrecht zu erhalten.

Die folgende Übersicht über die Ausgaben, bezw. Einnahmen im Jahre 1937 und 1938 gibt einen Einblick in den Rückgang der Finanzkraft der israelitischen Gemeinden:

Für Synagogen (Haus und Grund-besitzsteuer) wurden verauslagt RM RM

                                                                                           1937                           1938

                                                                                    25.700,00                   9.509,73

Für rituelle Lebenshaltung                                       2.938,30                     2.500
Für Ritualbäder                                                           4.505,00                  3.400
Für Kulturbund                                                           8.967,65                     3.500
Für Beamtengehälter                                               76.071,77                     75.657,26
Für Synagogenchor                                                10.919,82                   5.000
Für Versicherungsbeiträge                                     64.708,84                     28.000
Für Pensionen                                                           16.140,11                    13.500
Für allgemeine Verwaltung Unter-
stützung an Vereine und Verschiedenes           13.991,00                     6.600
Für ostjüdischen Synagogenverb                       7.860,00                     7.700
Für Talmud-Thora-Schule                                       2.850,00                       2.400
Für Verzinsung von Hyp. Schulden                     16.022,42                   11.499,47
Leistungen an Wohlfahrtsstellen                     122.216,57                   84.000

Als Gegenüberstellung werden auszugsweise Einnahmen im Jahre 1938 und Einnahmen im Jahre 1938 aufgezeigt:

                                                                   1937                   1938

Aus sozialen Zwecken                     16.361,09           106,738,81
Aus der Wohltätig. Kasse                 3.498,97               1.657,55
Aus Stiftungszinsen                         10.000,00                 5.546,65
Aus Waisenhausstiftungen               7.950,00               5.399,75

Die Schuld an dem Rückgang der Einnahmen und an der Verringerung des Einkommens der israelitischen Kultusgemeinde München liegt einerseits in der Gleichgültigkeit der Juden in der Leistung der Beiträge usw., zum anderen in der Verringerung des Einkommens der Juden durch die Ausschaltung aus den meisten Berufszweigen im Verlaufe des vergangenen Jahres.

Den israelitischen Kultusgemeinden wird es bei derselben Abwärtsentwicklung nicht mehr lange möglich sein, den gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Ein finanzieller Zusammenbruch ist daher in absehbarer Zeit zu erwarten. Der Erlaß, der die jüdischen Organisationen ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts enthob, schien somit ein maßgeblicher Schlag gegen das gesamte jüdische Vereinsleben zu werden. Bedingt durch die aufgeführten Senkungen der Zuschüsse einerseits und die steigende Interesselosigkeit andererseits war es einigen Vereinen nicht mehr möglich, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Die gleichgerichteten Männer- und Frauenvereine legten zum Teil ihre Tätigkeit nieder oder verschmolzen zu einem Verein.

Diese dadurch hervorgerufene Verwirrung innerhalb der Judenheit machte anfangs den Eindruck, als ob das Gesetz zur Änderung der rechtlichen Verhältnisse der Juden schon genügen würde, ihre Widerstandskraft zu brechen. Durch engere Fühlungnahme untereinander brachten sie es aber fertig, sich von diesem Schlag zu erholen. Es wurden mehr religiöse Veranstaltungen abgehalten, um den Glaubensgenossen zu zeigen, daß ein enger Zusammenhalt der Juden unerläßlich sei. Die üblichen Diskussionen innerhalb der Verbände wurden dann bald abgestellt. Nach einem achttägigen Versammlungsverbot kam das Vereinsleben wieder in gleichmäßige Bahnen. Erst die Aktion im November 1938 brachte eine erneute und tiefeingreifende Unterbrechung. Nachdem der größte Teil der Funktionäre der jüdischen Vereine im KZ Dachau sich befand, war jegliche Vereinstätigkeit von selbst abgestoppt. Lediglich die im Reichsinteresse arbeitenden Auswanderungs-Lager und Umschichtungslager haben teilweise ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Ebenso hat der Landesverband der bayerischen israelitischen Gemeinden Münchens seine Arbeit wieder begonnen, um die in Händen von Dr. Weiler liegende Auswanderungsberatung und die von der Wohlfahrtsstelle durchzuführende Unterstützung der ärmeren Juden betreiben zu können. Im allgemeinen warten die jüdischen Vereine ab, welche Beschlüsse in Berlin gefaßt werden.

Neben der allgemeinen Arbeit der einzelnen jüdischen Vereine und Organisationen kann von einer eigentlichen Propaganda nicht gesprochen werden, da die einzige Möglichkeit hierzu nur in der Veröffentlichung in den unter Zensur stehenden jüdischen Zeitungen möglich war. Das ca. 16 Seiten starke jüdische Gemeindeblatt ''Für den Verband der Kultusgemeinden in Bayern'' versuchte in seiner Haltung den verschiedenen, anfänglich uneinigen Vereinen, ausgleichend gegenüberzutreten. Weiter erschien noch die jüdische Zeitung ''Die Jüdische Rundschau'', die ebenfalls sich nur mit allgemeinen Fragen befaßte. Es wurden zum großen Teil Abhandlungen über die Lage in Palästina und andere Kurzberichte über die Jugendschulungsarbeit als Vorbereitung zur Auswanderung gebracht.

Zur Unterstützung der Auswanderungsbestrebungen wurden von der Kultusgemeinde Sprachkurse und aufklärende Vorträge über die mit dem Auswanderungsproblem in Zusammenhang stehenden Fragen gehalten. Vereinzelt wurden Abende mit Konzerten und Vorträge über jüdische Autoren durchgeführt. Dabei wurde der Versuch unternommen, jüdisches Kulturschaffen dem jüdischen Volk schmackhaft zu machen, mit dem Hinweis, daß das jüdische Kulturleben zumindest genauso alt sei, wie das, des Gastlandes. Symphonien, Konzerte, Einzelmusikdarbietungen, Streichquartette, Klavierabende, auch heitere Musik, sollten ebenfalls als Marksteine für das jüdische Kunstschaffen werben. Jedoch konnte bemerkt werden, daß in der Stadt die meisten Darbietungen bis zu dem Verbot des Besuches, deutscher Kultureinrichtungen, sehr schlecht besucht waren, da die Aufführungen in den deutschen Theatern als hochwertiger empfunden wurden. Daneben wurde von den zionistischen Organisationen des gesamten Oberabschnittbereiches verschiedene Vortragsabende eingeschaltet, in denen eingehend auf die Auswanderungsfrage und die Siedlungsmöglichkeiten in Palästina hingewiesen wurde. Durch die politischen Auseinandersetzungen in Palästina glaubte man jedoch nicht an eine Durchsetzung des gesteckten Zieles.

 

Die Auswanderungsfrage

Unabhängig vom Interesse des Einzelnen, hat die politische Entwicklung 1938 das Auswanderungsproblem mit Abstand an die erste Stelle gerückt. Die geschichtliche Entwicklung in Deutschland hat für die Juden einen politischen und gesellschaftlichen Ausgliederungsprozeß zur Folge. Die Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben machte die Juden noch vollends reif für die Auswanderung. Unterstützt durch Rundfunk und Presse wurde ihnen diese einzige Möglichkeit klar vor Augen geführt. Es stellten sich jedoch diesen Bestrebungen zur Auswanderung verschiedene Schwierigkeiten entgegen. Einmal ist es die Tatsache, daß sich die meisten Länder der Einwanderung der Juden versperren oder dem Juden nur kurzes Asylrecht gewähren, zum zweiten stehen andererseits den Juden nur geringe Geldmittel zur Mitnahme ins Ausland zur Verfügung, während die Einwanderungsländer größtenteils eine bestimmte Summe Vorzeigegeld verlangen. Bisher wurde von den Juden als Einwanderungsland mit Vorliebe Amerika gewählt, das jedoch infolge seiner beschränkten Einwanderungsquote nicht mehr aufnahmefähig ist. Obwohl sehr viele Juden im Besitz von Affidavids [sic] sind, wird ihnen die Auswanderung insofern schon unmöglich, als die zuständigen Konsulate mit der Bearbeitung der Gesuche nicht mehr nachkommen. Auswanderungshindernisse sind z.Zt. auch noch die langsam erfolgende Abwicklung der Arisierungen und die damit verbundene Notwendigkeit der Anwesenheit des Juden. Zu dem machen dem Judentum die zunehmende antisemitischen Bestrebungen verschiedener Länder große Sorgen.

Trotzdem werden die Auswanderungsbestrebungen und -vorbereitungen mit allem Nachdruck geführt. Unterstützt werden die Juden durch die jüdische Auswandererberatungsstelle in München, die von Dr. Weiler geleitet wird und von den zugelassenen Rechtskonsulenten. Durch Briefe an die weitesten Bekanntenkreise in Auslande werden Bürgen für das Auswanderungsland gesucht und gefunden.

Infolge der geringen Möglichkeit, die Auswanderung tatkräftig fördern zu können, sowie durch das Fehlschlagen der Kongresse und Tagungen der ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen geraten die Juden in eine verzweifelte Lage. Mit Ungeduld werden die künftigen Objekte und Pläne und die laufenden Verhandlungen verfolgt. Die letzte Hoffnung gibt ihnen noch die zweite Evian Konferenz in London Ende Januar 1939.

Von den 24.580 im Oberabschnittsbereich ansässigen Juden haben etwa 1.994 Juden Bayerns bereits verlassen. […]

Da die Zahl der Neugeburten mit der Zahl der Sterbefälle ungefähr gleich ist, kann der Rückgang der jüdischen Bevölkerung als Stand der Auswanderung angesehen werden.

Hatte nun schon der Ausschluß aus dem Kulturschaffen des deutschen Volkes, wie Verbot zum Besuch von Theatern, Kinos, sowie Verfügungen, wonach den Juden der Besuch von Kuranstalten und öffentlichen Einrichtungen verboten wurde, eine starke Niedergeschlagenheit der Judenheit hervorgerufen, so bewirkten die Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet eine völlige Depression. Zu Beginn des Jahres waren verschiedene größere Unternehmen zwar noch im Besitz von Juden. Die folgenden Erlasse zur Einschränkung des wirtschaftlichen Einflusses haben die Widerstandskraft der Juden gebrochen. In dem Erlaß der Reichsregierung über die Veräußerung jüdischer Unternehmen, Genehmigungspflicht für neue jüdische Unternehmen und die Anmeldepflicht des jüdischen Besitzes, haben die Juden sofort die entscheidende und endgültige Maßnahme zur restlosen Ausschaltung ihres Einflusses gesehen. Die Arisierungen gingen zunächst nur schleppend vorwärts und erhielten erst nach der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich größeren Auftrieb. Dabei konnte die Beobachtung gemacht werden, daß die Juden wohl bereit waren, das Geschäft zu veräußern, aber Wert darauf legten, Haus- und Grundbesitz zu behalten. In einigen Fällen wurde sogar noch festgestellt, daß die jüdischen Firmen noch einen beachtlichen Aufschwung erlebt hatten, wobei jedoch mit allerlei betrügerischen Methoden gearbeitet wurde.

 

Die Aktion vom 10.11.1938

Der endgültige Schlag kam jedoch erst durch die Aktion am 10. November 1938. Nachdem schon während der Tage der politischen Hochspannung anläßlich der Wiedervereinigung des Sudetenlandes unter der Bevölkerung immer wieder das Gerücht auftauchte, daß die Juden einen Krieg zur Änderung der politischen Verhältnisse in Deutschland wünschen und herbeiführen wollen, und diese Gerüchte bereits eine entsprechende Gegenaktion besonders im Gau Franken ausgelöst haben, steigerten sich die Einzelaktionen zu einer Empörung, als die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath bekannt wurde. Zunächst wurde die Aktion von der Bevölkerung gut aufgenommen.

Beeinflußt durch katholische Kreise und durch ausländische Sender, denen größtenteils mehr Glauben geschenkt wird, wie den Reichssendern, änderte die Bevölkerung bald die anfangs eingenommene Haltung dem Judentum gegenüber. Dieser Meinungsumschwung wurde fast zu einer Opposition. Vor allemwurde das unnütze Vernichten von Gegenständen kritisiert und kamen die früher allgemein üblichen Gefühlsregungen der Bürger wieder ans Tageslicht. Diese Stimmung zeigte daher in den größeren Städten bald eine bedenkliche Entwicklung. Wenn auch Presse und Rundfunk von einer spontanen Volksempörung gesprochen hatten, so wurde diese Abwälzung doch sehr zweideutig aufgenommen. Diese allgemeine Änderung in der Betrachtung der Aktion griff auch auf verschiedene Kreise der Parteigenossen über, deren Äußerungen der übrigen Bevölkerung ein gewisses Recht zur Kritik gaben. Auch wurde von der Bevölkerung bald ein Versagen der einzelnen Parteidienststellen behauptet, und vielfach dargetan, daß es sich bei dem Vorgehen um Eigenmächtigkeiten, die der persönlichen Bereicherung direkter oder indirekter Art einzelner dienen sollte, gehandelt hat. Die auf Grund dieser Tatsache einsetzenden Gerüchte haben stimmungsmäßig in der Öffentlichkeit ihre Wirkung nicht verfehlt. Man sprach über von Juden abgepreßte Schecks, requirierte Fahrzeuge und Villen. Wenn auch die gesetzlichen Maßnahmen des Beauftragten für den Vierjahresplan eine Beruhigung in der breiten Öffentlichkeit auslösen konnten, so konnte der schlechte Eindruck nicht verwischt werden, noch dazu, da die Presse nicht sofort in geeigneter Weise die Bemühungen, das Ansehen des Staates wieder herzustellen, tatkräftig genug unterstützte und vielleicht auch wegen mangelnder Anweisungen nicht unterstützen konnte. Abgesehen von den Gewaltmaßnahmen fanden die gesetzlichen Anordnungen gegen die Juden allgemeinen Beifall. Obwohl die Aktion für die Wirtschaft eine starke Konkurrenzminderung brachte, so konnte man doch in diesen Kreisen keine offene Zustimmung bemerken.

Trotz der sichtbaren Erfolge der Staatsführung gegenüber dem Judenproblem, steht noch ein Großteil der Bevölkerung der Judenfrage verständnislos gegenüber. Einerseits ist diese Tatsache bedingt durch die materielle Einstellung, durch den Besitzdrang verschiedener Volksgenossen, denen es gleich ist, ob sie durch den Juden verdienen oder durch den Arier, andererseits ist hierfür die konfessionelle Gebundenheit, die sich im Laufe des Jahres durch das Einwirken der katholischen Kirche weiter gefestigt hat, ausschlaggebend. Es kann nicht von einer den Juden restlos ablehnenden Einstellung eines Großteils der Bevölkerung gesprochen werden. Der tiefere Grund liegt in einem Gleichgültigkeitsgefühl, das besonders auf dem Land der Judenfrage gegenüber kein Verständnis aufkommen läßt. ''Mit dem Juden kann man eben die besten Geschäfte machen!'' Unterstützt wird diese Haltung auf dem Lande durch die Geistlichkeit, die in der Verhinderung nationalsozialistischer Erkenntnisse auch einen Erfolg der Kirche erblickt. Der ''Stürmer '', als dem populären Organ im Kampf gegen die Juden, wird lange nicht mehr die Beachtung früherer Jahre geschenkt und ein Großteil der Bevölkerung sieht im ''Stürmer'' in der Hauptsache eine willkommene Lektüre für sensationshungrige Kreise. Dem Verlag ist es auch nicht gelungen, die Auflageziffer zu steigern.

Ein Großteil der Volksgenossen hat jedoch das Judenproblem nicht nur erkannt, sondern daraus auch die Konsequenzen gezogen.

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