Bericht aus Wünnenberg
Am 17. November 1938 berichtet der Bürgermeister des Amtes Wünnenberg:
Die in der Rundverfügung der geheimen Staatspolizei - Staatspolizeistelle Bielefeld - vom 14.11.1938 Nr. 224/38 gestellten Fragen werden wie folgt beantwortet:
Zu 1: Synagogen sind im Amtsbezirke nicht vorhanden.
Zu 2: In Essentho ist das Geschäft (Kolonialwaren) Hugo Buchthal vollständig beschädigt, zerstört und ausgeplündert worden. Alle Lebensmittel und Kolonialwaren wurden vernichtet bezw. gestohlen, selbst eingelegte frische Eier an die Wand geworfen, die Präzisionswaage im Laden im Werte von 400,50 RM zerschlagen. Die Ölbehälter wurden aufgedreht und der Inhalt ist herausgeflossen. Die Dezimalwaage wurde durch ein Fenster geworfen. Die Höhe des Schadens beträgt schätzungsweise rd. 3.000 RM (einschl der Warenwaage). Diese Zerstörungen wurden am 10.11.1938 ausgeführt.
Zu 3: Vakat!
Zu 4: Das Geschäft Buchthal, Essentho, kann wegen völliger Zerstörung nicht weitergeführt werden. Dem Vernehmen nach will es eine Großhandelsfirma (Schmelzer? in Lippstadt) käuflich erwerben.
Zu 5: Die Besitzung Buchthal ist beschädigt, die Fenster sind eingeschlagen, das Treppengeländer ist abgebrochen, die Matratzen sind aufgeschnitten, die Möbel beschädigt und umgeworfen. Die Schadenssumme ist bereits in der Summe zu 2. enthalten.
An den Privathäusern der Juden Witwe Rika Stamm, Westheim Nr. 67 und Witwe Wilhelmine Rosenbaum, Westheim Nr. 69 sind am 10.11.1938 die Fensterscheiben und die Türen beschädigt, und die Inneneinrichtungen (Möbeln [sic], und Hausgerät einschl. Porzellan) vollkommen zerstört worden. Der Schaden wird bei Stamm auf ca. 3.000 RM und bei Rosenbaum auf 2.000 RM geschätzt.
Zu 6: Die Wohnung Buchthal, Essentho, ist vollständig zerstört. Dasselbe trifft bei Stamm und Rosenbaum, Westheim, zu. Ein weiteres Bewohnen ist kaum möglich. Bei der Witwe Alfred Dietrich, Thekla geb. Katz in Westheim ist eine teilweise Zerstörung der Wohnungseinrichtungen und des Hausgeräts vorgenommen worden. Höhe des Schadens schätzungsweise rd. 300 RM. Bei den Familien Buchthal, Stamm und Rosenbaum befinden sich die männlichen Angehörigen in Schutzhaft .
In der Wohnung des Juden Paul Aronstein zu Wünnenberg sind am 11.11.1938 abends am Gebäude Fensterscheiben und im Innern Porzellanwaren zerstört worden. Die Schadenshöhe wird hier auf rd. 300 RM geschätzt. Aronstein selbst befindet sich auch in Schutzhaft.
Zu 7: Vakat!
Zu 8: Witwe Stamm, Westheim, fehlen angeblich je 1 Herren- und Damenuhr im Gesamtwerte von 50,- RM. Witwe Rosenbaum vermißt angeblich mehrere Steppdecken sowie 1 goldene Herrenuhr und 500,- RM Bargeld. Diese Sachen sollen bei der Zerstörungsaktion abhanden gekommen sein. Als Täter sollen uniformierte SA -Leute aus N.-Marsberg, die unter Führung des SA-Sturmführers Runet aus N.-Marsberg gestanden hätten, in Frage kommen. Auch sollen Zivilpersonen aus Marsberg bei der Aktion zugegen gewesen sein. Irgendeine Verhaftung der Täter ist nicht erfolgt.
In Essentho sollen dem Juden Buchthal Kolonialwaren und Privatschränke von der Bevölkerung gestohlen sein. Auch sonstige Sachen (Peitschen, Zigarren und Zigarretten) sollen von SA.-Leuten aus N.-Marsberg mitgenommen sein. Die Täter sind noch nicht festgenommen, weil eine größere Personenzahl beteiligt ist. Von der Ortspolizeibehörde Fürstenberg ist am 15.11.1938 eine öffentliche Bekanntmachung erlassen worden, nach welcher die Bevölkerung aufgefordert ist, die entwendeten bezw. mitgenommenen Sachen innerhalb einer Frist von 24 Stunden wieder abzuliefern (bisher Teilerfolg).
Zu 9-11: Vakat!
Zu 12: Der Jude Paul Aronstein in Wünnenberg hat sein Wohnhaus mit 12.600 RM und sein Mobilar [sic] mit 25.220 RM bei der Westfälischen Provinzial-Feuersozietät gegen Feuersgefahr versichert.
Die Gebäudlichkeiten des Kaufmanns Sally Stamm (Witwe), Westheim Nr. 67 sind bei der West. Prov. Feuersozietät, Münster, mit 16.800 RM gegen Feuersgefahr versichert. Mobilar [sic] ist vielleicht anderswo versichert. Versicherungsgesellschaft hierüber nicht bekannt. Von den Betroffenen sind bis jetzt irgendwelche Versicherungsansprüche bei ihren Gesellschaften noch nicht gestellt worden.
Zu 13: Eine Notlage besteht bei der Familie Aronstein nicht.
Witwe Stamm, Westheim, ist 73 Jahre alt und allein auf sich angewiesen; sie befindet sich in einer hilfsbedürftigen Lage. Die Nachbarn leisten ihr notdürftige Hilfe. Witwe Rosenbaum ist z.Zt. nicht anwesend. Witwe Dietrich wird von ihrem Sohne (Halbjude ) unterhalten.
Zu 14: Nach Mitteilung der beiden im Amtsbezirke stationierten Gend.-Beamten bringt die Bevölkerung für die vorgenommenen inneren Zerstörungen der Wohnungseinrichtungen und des Inventars sehr wenig Verständnis auf. Die Stimmung der Bevölkerung sei deshalb allgemein getrübt und der einzelne Volksgenosse mit seinen Äußerungen sehr zurückhaltend. Bestimmte Personen sind nicht benannt worden. Die Gebefreudigkeit der Bevölkerung würde eine gewisse Einbuße erlitten haben, weil sie (die Bevölkerung) über die andern Orts vorgenommene Vernichtung und Zerstörung von Lebensmitteln [nur] ungehalten sei.