Berichte aus Wiedenbrück
Am 18. November berichtet der Landrat des Kreises Wiedenbrück Folgendes über die „Judenaktion“:
Zu den in der dortigen Rundverfügung Nr. 259/38 gestellten Fragen berichte ich folgendes:
1. Im hiesigen Kreise sind 3 Synagogen abgebrannt, und zwar die Synagogen in Gütersloh, Rheda und Neuenkirchen.
In Gütersloh ist die an der Göbenstraße 5 gelegene Synagoge (altes Fachwerkhaus) am 10. November 1938 völlig niedergebrannt. Gerettet wurde nichts. Der Sachschaden kann nicht beziffert werden, da die anwesenden Juden hierüber keine Auskunft erteilen können. Der Verwalter der Synagogengemeinde , Jude Josef Steinberg, befindet sich in Haft. Das Synagogengebäude enthielt auch eine Wohnung, die von der Witwe Auguste Gottsleben bewohnt wurde. Aus dieser Wohnung sind nur wenig Sachen gerettet worden. Frau Gottsleben, die arisch ist, hatte für die Reinhaltung der Synagoge zu sorgen und wohnte dafür frei. Der Schaden der Frau Gottsleben beträgt etwa 2.000,- RM.
Die Synagoge in Rheda, Steinweg 3, befand sich in einem Fachwerkhaus der Synagogengemeinde Rheda, in dem sich auch die Wohnung der Geschwister Cohn befand. Gleichfalls wurde ein angrenzendes, unbewohntes Fachwerkhaus, die frühere Judenschule, durch Feuer vernichtet. Außer einigen Wäschestücken und Gebetbüchern, die von SA -Männern sichergestellt und einigen Silberbestecken, die dem Leiter der Feuerlöschpolizei übergeben wurden, ist nichts weiter gerettet worden. Bei der endgültigen Beseitigung der Trümmerreste besteht die Möglichkeit, daß noch Gegenstände aufgefunden werden. Der durch die Vernichtung der Synagoge und Judenschule entstandene Schaden beläuft sich auf etwa 5.500,- RM (Einheitswert). Der Schaden, der durch die Vernichtung der Wohnungseinrichtung der Geschwister Cohn entstanden ist, konnte nicht festgestellt werden.
In Neuenkirchen ist die Synagoge vollständig abgebrannt. Es stehen nur noch die Umfassungswände. Das Inventar ist vollständig vernichtet. Der insgesamt entstandene Schaden ist auf rund 10.000,- RM geschätzt.
2. Geschäfte oder gewerbliche Räume sind in Gütersloh, Wiedenbrück, Herzebrock, Rietberg und Verl verbrannt, zerstört oder beschädigt worden.
In Gütersloh brannte das Geschäft- und Wohnhaus Kirchstraße 2, in dem sich das Bürobedarfsgeschäft der Firma B. Daltrop befand, völlig nieder. Inhaber der Firma sind die Juden Kaufmann Bernhard Daltrop, Gütersloh, Kirchstraße 2, und Kaufmann Julius Daltrop, Gütersloh, Emilienstraße 4. Der der Firma Daltrop durch den Brand verursachte Schaden beläuft sich auf etwa 45.000,- RM. Aus dem Gebäude konnte nichts gerettet werden. Neue Büroeinrichtungsgegenstände, Schreibmaschinen usw. sowie sämtliche Papiere und angeblich vorhandene Wertsachen sind mit verbrannt. Gleichfalls brannte das Geschäfts- und Wohnhaus der Firma Ernst Löwenbach, Gütersloh, Kirchstraße 3, völlig nieder. In dem Hause befanden sich die Wohn- und Geschäftsräume der Inhaber der Firma, nämlich der Geschwister Ernst und Martha Löwenbach, die beide ledig sind. Gerettet wurden aus einem eisernen Geldschrank eine Anzahl Papiere und Bargeld von insgesamt 441,- RM sowie 30,- RM in Gold. Zu dem niedergebrannten Hause Kirchstraße 3 gehörte ein Nebenhaus, das die Geschäftsräume der arischen Firma Rottwinkel & Co., KG. für Weinimport, sowie im Kellergeschoß die gesamten Lagerräume der Weinhandlung enthielt. Ferner befand sich in diesem Nebenhause die Wohnung des Inhabers, Rottwinkel, sowie der arischen Familie Josef Schleeberger. Auch das Nebenhaus brannte völlig nieder. Das gesamte Weinlager ist vernichtet. Der Gebäudeschaden der Firma Löwenbach wird für beide Häuser mit 27.710,- RM (Versicherungswert), der Mobiliarschaden mit 11.330,- RM angegeben. Der der Firma Rottwinkel entstandene Schaden wird auf 50.000,- RM (einschl. Wohnungseinrichtung) beziffert. Endlich wurde das Wohn- und Geschäftshaus des Juden Leopold Herzberg, Gütersloh, Königstraße 12, außen und innen zum Teil zerstört. In dem Hause befand sich ein Geschäft für Haus- und Küchengeräte. Fensterscheiben und Türen sowie die Inneneinrichtung und ein großer Teil der am Lager vorhandenen Haus- und Küchengeräte wurden vernichtet. Der angerichtete Schaden wird für die im Lager befindlichen Haus- und Küchengeräte auf etwa 1.000,- RM geschätzt. Das Gebäude war bereits käuflich von dem Kaufmann Eugen Frederich, Gütersloh, Schulstraße 3, erworben. Der Gebäudeschaden wird auf etwa 750,- RM beziffert.
In Wiedenbrück wurde das Manufakturwarengeschäft der Witwe Auguste Wallach, geboren am 25. März 1862 zu Bega, wohnhaft in Wiedenbrück, Klingelbrink Nr. 4, beschädigt. 3 Schaufensterscheiben, 3 Innenscheiben und 25 Fensterscheiben wurden eingeschlagen. Der Wert dieser Scheiben beträgt etwa 800,- RM. Die Auslagen in den Schaufenstern wurden durch Glassplitter beschädigt. Der Schaden beträgt etwa 50,- RM.
In Herzebrock wurden das Lebensmittelgeschäft des Juden Artur Weinberg und das Manufakturwarengeschäft des Juden Harry Stern, beide in Herzebrock, Hauptstraße beschädigt. In beiden Fällen ist der Schaden weniger an den vorhandenen Warenbeständen als durch Zertrümmerung der Schaufenster, Spiegel und Ladenregale entstanden. Bei dem Lebensmittelgeschäft Weinberg beträgt der Schaden etwa 200,- RM, bei dem Manufakturwarengeschäft Harry Stern etwa 500,- RM.
In Rietberg wurden am 11. November gegen 0,15 Uhr in der Buchdruckerei des Juden Julius Löwenstein, Müntestraße 157, die Einrichtung und Maschinen zerstört. Gegen 2 Uhr wurde Brand angelegt. Das Druckereigebäude mit Einrichtung und eine Autogarage mit einem fast neuen Kraftwagen sind vollständig abgebrannt. Der Kraftwagen war zunächst aus der Garage geholt, wurde aber nachher wieder in die brennende Garage hineingeschoben. Von dem Gebäude stehen nur noch teilweise die Umfassungswände. Die Maschinen sind völlig zerstört. Der Gesamtschaden beträgt etwa 10.000,- RM.
In Verl ist die Schankwirtschaft und die Gemischtwarenhandlung der Jüdin Witwe Laura Hope, Verl Nr. 9, geboren am 21. Dezember 1866 in Geseke, beschädigt worden. Der Schaden beträgt etwa 700,- RM. Durch die Beschädigung und Vernichtung von Waren (Branntwein, Zigarren, Zigaretten, Tabak, Manufakturwaren und sonstiges) ist ein Schaden von etwa 800,- RM, insgesamt also ein Schaden von etwa 1.500,- RM, entstanden.
3. Durch die Zerstörung der Gewerbebetriebe sind in Gütersloh und Rietberg je 2 Personen, und zwar bei der Firma Daltrop, Gütersloh, eine Verkäuferin und 1 Arbeiter, bei der Firma Julius Löwenstein in Rietberg 2 Arbeiter arbeitslos geworden. Die früher bei der Firma Daltrop beschäftigten Personen haben eine neue Arbeitsstelle noch nicht angetreten; doch besteht ohne weiteres die Möglichkeit hierzu. Von den in Rietberg arbeitslos gewordenen Personen hat ein Arbeiter Arbeit bei einer Möbelfabrik gefunden, der andere ist zur Zeit erkrankt.
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5. In Gütersloh, Wiedenbrück, Rheda, Herzebrock, Rietberg und Neuenkirchen sind Privathäuser entweder abgebrannt, zerstört oder beschädigt worden.
In Gütersloh ist das Wohnhaus des Viehhändlers Josef Meinberg, Gütersloh, Hindenburgstraße 25, bis auf den Grund niedergebrannt. Es handelte sich um ein altes Fachwerkhaus. Die hinter dem Wohnhaus gelegenen Stallgebäude blieben erhalten. Aus dem niedergebrannten Gebäude wurde nichts gerettet. Der Gebäudeschaden wird auf 17.000,- RM geschätzt (Versicherungswert), der der Hauseinrichtung auf 5.000,- RM.
In Wiedenbrück sind an dem Hause des ehemaligen Viehhändlers Alex Wallach, Wiedenbrück, Hellwegstraße 28, geboren am 18. August 1866 zu Scheiben und 1 Wiedenbrück, 41 Fenster Zimmertür eingeschlagen. Der Schaden beträgt etwa 110,- RM. In dem jetzt reichseigenen, früher der Firma Thalheimer in Wiedenbrück gehörigen und von dem Juden Simon Schnurmann bewohnten Gebäude Wiedenbrück, Faule Straße 63, ist die Eichentäfelung beschädigt, 3 einfache und 1 doppeltes Waschbecken sind zerschlagen und die Befestigungen aus den Wänden gerissen. Die heute reichseigenen Beleuchtungskörper , wurden abgerissen. Der Schaden beläuft sich auf etwa 1.500,- bis 2.000,- RM.
In Rheda wurde das Haus des Juden David Weinberg, Rheda, Wilhelmstraße 28, erheblich beschädigt. Der Gebäudeschaden beträgt etwa 500,- RM. Das Wohnhaus der Anstreicher Bertold und Max Levi, Rheda, Kleine Straße 10, das Wohnhaus des Juden Louis Stern, Rheda, Bödingsweg 7 und das Wohnhaus des Juden Max Goldschmidt, Rheda, Rosenstraße 6, wurden leicht beschädigt. Der Gebäudeschaden beträgt in den beiden ersten Fällen etwa 50,- RM, im letzten Fall etwa 30,- RM.
In Herzebrock wurde am 11. November das Haus des Juden Jakob Rollmann aus Herzebrock abgebrannt, nachdem in der vorhergehenden Nacht vom 9. zum 10. November 1938 bereits fast die gesamte Wohnungseinrichtung zerstört worden war. Der Gebäudeschaden beträgt etwa 17.500,- RM. An den Wohnhäusern der Juden Witwe Blume, Hugo Brill, Julius Brill, Artur Weinberg und Harry Stern, sämtlich aus Herzebrock, sind Beschädigungen vorgenommen. Der Sachschaden beträgt bei der Witwe Blume etwa 50,- RM, bei Hugo Brill etwa 1.000,- RM, bei Julius Brill etwa 30,- RM, bei Artur Weinberg etwa 110,- RM und bei Harry Stern etwa 50,- RM.
In Neuenkirchen wurde das Wohnhaus der Witwe Emil Kemper, Neuenkirchen Nr. 12 und dasjenige der Witwe Henriette Lilienfeld, Neuenkirchen 184, beschädigt. Die Türen, Fenster und Installationseinrichtungen wurden zerstört. Der Gebäudeschaden beläuft sich bei der Witwe Kemper auf etwa 1.000,- RM bei der Witwe Lilienfeld auf etwa 2 bis 300,- RM.
An dem Landra a. D. Tenge-Rietberg in Rietberg gehörigen und von dem Juden Kaufmann Julius Löwenstein in Rietberg, Müntestraße 156, bewohnten Gebäude wurde ein Sachschaden durch Zerstörung von Türen, Fenstern usw. von etwa 250,- RM verursacht.
An dem dem Juden Gustav Gumperich, Münster, Würmelingstraße 1, gehörigen Wohnhaus Rietberg, Rüenstraße 84, das von der Jüdin Witwe Friederike Stern bewohnt wurde, ist ein Schaden von etwa 100,- RM durch Zerstörung von Türen und Fenstern entstanden. Die gleichen Beschädigungen wurden an dem der Jüdin Witwe Albert Dreyer, Rietberg, Lange Straße 7, gehörigen Wohnhaus vorgenommen. Der Schaden beläuft sich auch hier auf etwa 100,- RM.
In Verl ist an dem Hause der Jüdin Witwe Laura Hope, Verl Nr. 9, durch Zerstörung der Fensterscheiben und Türen ein Schaden von etwa 200,- RM entstanden.
6. In Gütersloh wurde die Wohnungseinrichtung des Juden Karl Steinberg, Gütersloh, Bismarckstraße 16, zum großen Teil zerstört. Die Höhe des Sachschadens beläuft sich auf etwa 1.000,- RM. Weiter wurde die Wohnungseinrichtung des Juden Josef Steinberg, Gütersloh, Kahlerstraße 24, zum größten Teil zerstört. Der Sachschaden beläuft sich auf etwa 3.000,- RM. Durch den Brand des der Firma Ernst Löwenbach, Gütersloh, Kirchstraße 3, gehörigen Nebenhauses ist die Wohnungseinrichtung der arischen Familien Rottwinkel und Schleeberger zum größten Teil vernichtet worden. Der Wert der Wohnungseinrichtung des Schleeberger konnte nicht ermittelt werden. Der Wert der Wohnungseinrichtung des Kaufmanns Rottwinkel wurde mit dem übrigen gewerblichen Schaden zusammen auf 50.000,- RM geschätzt. Endlich wurde in dem Hause Gütersloh, Königstraße 12, das dem Juden Leopold Herzberg gehört, die Wohnungseinrichtung der Witwe Klara Herzberg zum großen Teil zertrümmert. Der Schaden wird auf etwa 800,- RM beziffert.
In Wiedenbrück wurde in der Wohnung der Witwe Auguste Wallach aus Wiedenbrück, Klingelbrink 4, durch Zerstörung von Einrichtungsgegenständen ein Schaden von etwa 120,- RM angerichtet. Die dem Kaufmann Simon Schnurmann, geboren am 7. Januar 1882 zu Ludwigshafen, wohnhaft in Wiedenbrück, Faule Straße 67, gehörige Wohnungseinrichtung wurde vollständig zerstört. Der Schaden beträgt etwa 6 bis 7.000,- RM.
In Rheda wurde die dem Juden David Weinberg aus Rheda, Wilhelmstraße 28, gehörige Wohnungseinrichtung ebenfalls völlig zertrümmert. Der Sachschaden soll ungefähr 2.000,- RM betragen. Auch bei dem Juden Israel Weinberg in Rheda, Wilhelmstraße 28, wurde die Wohnungseinrichtung fast völlig zertrümmert. Der Sachschaden beträgt in diesem Falle etwa 4.000,- RM. Die Wohnungseinrichtungen der Juden Bertold und Max Levi, beide in Rheda, Kleine Straße 10, Louis Stern, Rheda, Bödingsweg 7, Julius Ettlinger, Rheda, Bödingsweg 7, Egon Hoffmann, Rheda, Herzebrocker Straße, Karl Dannenbau und Witwe Berta Mendels, beide in Rheda, Adolf-Hitler-Straße 29, wurden weniger stark beschädigt. Der Schaden soll bei Bertold und Max Levi etwa 50,- RM, bei Louis Stern gleichfalls etwa 50,- RM, bei Julius Ettlinger etwa 10,- RM, bei Egon Hoffmann etwa 60,- RM, bei Dannenbaum und Witwe Berta Mendels etwa 600,- RM betragen.
In Herzebrock wurden die Wohnungseinrichtungen der Juden Witwe Blume, Herzebrock, Gütersloher Straße, Jakob Rollmann, Herzebrock, Gildestraße, Hugo Brill, Herzebrock, Möhler Straße, Artur Weinberg, Herzebrock, Hauptstraße und Harry Stern, Herzebrock, Hauptstraße, zum Teil völlig zerstört, zum Teil mehr oder weniger erheblich beschädigt. Bei der Witwe Blume ist ein Schaden von etwa 100,- RM entstanden. Bei Jakob Rollmann wurde die Wohnungseinrichtung bis auf einige Stücke vollständig zertrümmert und ist dann mit verbrannt. Der Wert der vernichteten Gegenstände beträgt etwa 11.000,- RM. Bei dem Juden Hugo Brill ist fast die gesamte Wohnungseinrichtung vollkommen zerstört worden. Der Schaden soll in diesem Falle etwa 10.000,- RM betragen. Bei den Juden Weinberg und Stern sind die Wohnungseinrichtungen gleichfalls fast völlig zertrümmert. Der Schaden beträgt bei Weinberg etwa 3.000,- RM, bei Harry Stern etwa 800,- RM.
In Neuenkirchen sind die Wohnungseinrichtungen der Witwe Emil Kemper, Neuenkirchen Nr. 12, und der Witwe Henriette Lilienfeld, Neuenkirchen Nr. 184, völlig zerstört. Der Schaden beläuft sich bei der Witwe Kemper auf etwa 15.000,- RM, bei der Witwe Lilienfeld auf etwa 3.000,- RM.
In Rietberg wurden die Wohnungseinrichtungen der Juden Julius Löwenstein, Müntestraße 156, der Witwe Friederike Stern, Rietberg, Rüenstraße 84 und der Witwe Albert Dreyer, Rietberg, Lange Straße 7, mehr oder weniger erheblich beschädigt. Bei dem Juden Löwenstein ist die Wohnungseinrichtung fast völlig zertrümmert. Der Schaden beträgt in diesem Falle etwa 3.000,- RM. Bei den Juden Witwe Stern und Witwe Dreyer sind die Wohnungseinrichtungen nur teilweise beschädigt. Der Schaden beträgt bei der Witwe Stern etwa 800,- RM, bei der Witwe Dreyer etwa 1.500,- RM.
In Verl wurde die Wohnungseinrichtung der Jüdin Witwe Laura Hope, Verl Nr. 9, weniger stark beschädigt. Der Schaden beträgt etwa 750,- RM.
7. Keiner der im hiesigen Kreise wohnhaften Juden ist ums Leben gekommen. Verletzt bzw. mißhandelt wurden Juden in Rheda, Herzebrock und Rietberg.
In Rheda hat der Jude Israel Weinberg, Rheda, Wilhelmstraße 28, eine Verletzung am linken Auge davongetragen. Er will am 10. November 1938 in seiner Wohnung während der Zertrümmerung der Wohnung durch SA -Männer mit einer Holzlatte geschlagen worden sein. Wahrscheinlich ist Weinberg während der Aktion versehentlich durch sein Dazwischentreten getroffen worden. Weinberg befindet sich in ärztlicher Behandlung.
In Herzebrock liegt der Jude Dr. Paul Stern mit Rippenbrüchen im Krankenhause zu Herzebrock. Wie die Verletzung entstanden ist, ist nicht bekannt. Desgleichen ist nicht bekannt, ob sie auf eine Mißhandlung zurückzuführen ist.
In Rietberg will der Jude Julius Löwenstein, Rietberg, Münsterstraße 156, durch Schläge mißhandelt worden sein. Er wurde in Schutzhaft genommen. Bei seiner Inhaftnahme blutete er am Kopf. Das rechte Ohr war etwas eingerissen, auch hatte er Hautwunden im Gesicht. Der Täter ist nicht bekannt.
8. In Rheda drangen am 10. November 1938 gegen 13 Uhr Schulkinder in das dem Juden David Weinberg gehörige Haus Wilhelmstraße 28, welches von den Bewohnern freiwillig verlassen worden war, ein und versuchten zu plündern. Einzelnen Kindern ist es tatsächlich gelungen, einige Gegenstände mitzunehmen. Den Kindern wurden am andern Tage die Sachen wieder abgenommen und dem Geschädigten gegen Quittung wieder ausgehändigt. Es wurde weiter festgestellt, daß auch Erwachsene, teils aus Neugierde, teils aber auch, um sich zu bereichern, in die zertrümmerte Wohnung des Weinberg eingedrungen sind. Sofort bei Bekanntwerden dieser Ausschreitungen wurden polizeiliche Maßnahmen zur Verhütung getroffen. Von den Gebrüdern Weinberg werden noch einige Wertsachen vermißt. Die Ermittlungen nach den unbekannten Tätern konnten noch nicht mit Erfolg abgeschlossen werden. Sobald die Täter ermittelt sind, werden die Vorgänge sofort der Staatspolizeistelle eingereicht werden.
In Rietberg meldete der Jude Julius Löwenstein, Müntestraße 156, daß ihm eine goldene Uhr mit Kette, der Trauring und eine Brille vom Nachttisch abhanden gekommen seien. Später teilte er mit, daß die Sache in Ordnung wäre, sie möchte nicht weiter untersucht werden.
9. In Herzebrock gab der Jude Hugo Brill, Herzebrock, Möhler Straße, ein 9 mm-Jagdgewehr, welches allerdings unbrauchbar ist, und 25 Patronen des Kal. 6,35 mm bei der Ortspolizeibehörde ab.
In Rietberg wurde der Kaufmann Wilhelm Dreyer, Rietberg, Lange Straße, am 10. November in Schutzhaft genommen und nach Bielefeld abgeführt. Bei der Verhaftung erklärte er, daß noch ein Jagdgewehr (Drilling) seines verstorbenen Vaters vorhanden sei und bat, dieses sicherzustellen. Der Drilling ist mit 10 Jagdpatronen sichergestellt. Die Jüdin Witwe Emil Kemper in Neuenkirchen Nr. 12 lieferte am 12. November 1938 ein Jagdgewehr (Drilling) ihres verstorbenen Ehemannes ab.
In Verl wurden ein Jagdgewehr und ein verrosteter Trommelrevolver, die sich im Besitz der Jüdin Witwe Laura Hope, Verl Nr. 9 befanden, sichergestellt.
10. Das Archivmaterial der Synagogengemeinde Gütersloh wurde in der Synagoge vorgefunden und dem SD Bielefeld ausgehändigt.
Die Durchsuchung der Synagogen nach Archivmaterial ist in Rheda und Neuenkirchen ergebnislos verlaufen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Archivmaterial in den Synagogen verbrannt ist.
11. Die beim Brand des Hauses Gütersloh, Kirchstraße 3 der Firma Ernst Löwenbach sichergestellten Papiere sowie das Bargeld wurden dem Juden Löwenbach ausgehändigt.
In Rheda wurde eine verschlossene Kassette, die dem Juden David Weinberg in Rheda, Wilhelmstraße 28, gehörte, zunächst sichergestellt und später dem Eigentümer wieder ausgehändigt. Gleichfalls wurde ein Geldbetrag von 24,30 RM sichergestellt, später aber dem Juden Weinberg wieder ausgehändigt. Ein Sparkassenbuch über 1.400,- RM, das der Jüdin Ida Madelong gehörte, wurde der Eigentümerin an Ort und Stelle im Beisein eines Polizeibeamten ausgehändigt.
12. In Gütersloh waren sämtliche abgebrannten sowie beschädigten Häuser und Betriebe gegen Feuer versichert. Die Betroffenen haben ihre Ansprüche bei den Versicherungen angemeldet. Genauere Feststellungen über die Höhe der Versicherungssummen und die Anschriften der Versicherungs-Gesellschaften konnten nicht getroffen werden, da die Juden Angaben verweigerten.
In Wiedenbrück hatte lediglich die Witwe Auguste Wallach, Klingelbrink 4, die Schaufensterscheiben bei dem Spiegelscheiben-Versicherungsverband a.G. in Bielefeld, Schillerplatz 15, versichert. Die Höhe der Versicherungssumme konnte die Witwe Wallach nicht angeben. Sie zahlt eine jährliche Prämie von 16,60 RM. Sie stellt keine Forderungen an den Versicherungsverband.
In Rheda war die Synagoge bei der Berlinischen Feuerversicherung gegen Feuer versichert. Die Höhe der Versicherungssumme konnte nicht ermittelt werden. Versicherungsansprüche sind bislang noch nicht gestellt worden. Der Jude Max Goldschmidt in Rheda, Rosenstraße 6, hat einen Gebäudeschaden von etwa 30,- RM erlitten. Das Gebäude ist bei der Aachen-Münchener Feuerversicherungsgesellschaft mit 13.000,- RM versichert. Versicherungsansprüche sind nicht gestellt worden.
In Herzebrock war das durch Feuer vernichtete Gebäude des Juden Jakob Rollmann mit 17.400,- RM und das Mobiliar mit 11.550,- RM bei der Westf. Provinzialfeuersozietät in Münster gegen Feuer versichert. Ob in diesem Falle bereits Versicherungsansprüche geltend gemacht worden sind, konnte nicht ermittelt werden. Rollmann wird von dem Rechtsanwalt Dr. Gustav Meier II, Bielefeld, Lützowstraße 10, vertreten. Die übrigen in Herzebrock durch die Aktion geschädigten Juden waren nur gegen Feuer versichert.
Die jüdische Synagoge in Neuenkirchen war nebst Inventar bei der Westf. Provinzialsozietät in Münster gegen Brandschaden versichert, und zwar das Gebäude mit 13.700,- RM und das Mobiliar mit 5.000,- RM. Versicherungsansprüche sind noch nicht gestellt.
Die Besitzungen der Jüdinnen Witwe Kemper und Witwe Lilienfeld in Neuenkirchen sind nur gegen Brandschaden versichert. Die Witwe Kemper hat sich bei der ''Albinga'' Versicherungs-AG. in Hamburg mit 15.000,- RM für das Gebäude und 20.000,- RM für das Mobiliar, die Witwe Lilienfeld bei der Westf. Provinzialfeuersozietät in Münster mit 15.000,- RM für das Gebäude und mit 7.500,- RM für das Inventar versichert. Entschädigungsansprüche sind in beiden Fällen nicht gestellt worden.
In Rietberg war das durch Brand vernichtete Gebäude nebst Inventar des Juden Julius Löwenstein bei der Magdeburger Feuerversicherungs-Gesellschaft in Magdeburg gegen Brandschaden versichert. Die Versicherungssumme betrug für das Druckereigebäude 4.800,- RM, für den Anbau 1.200,- RM, für das Inventar der Druckerei 24.000,- RM und für den Kraftwagen 2.000,- RM. Die Wohnungseinrichtung ist bei derselben Versicherungsgesellschaft mit 17.500,- RM gegen Brandschaden und mit 10.500,- RM gegen Einbruchsdiebstahl versichert. Der Jude Löwenstein hat einen Entschädigungsantrag bei der Magdeburger Feuerversicherungs-Gesellschaft gestellt. Er selbst hat den Ersatzanspruch nicht beziffert, sondern nur um Entsendung eines Sachverständigen, der den Schaden abschätzen soll, gebeten.
Das Wohn- und Geschäftshaus der Jüdin Witwe Laura Hope in Verl Nr. 9 ist bei der Aachen-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft mit 36.000,- RM, das Inventar mit 24.000,- RM gegen Brandschaden und zwei Schaufenster mit 204,- RM gegen Bruchschaden versichert. Versicherungsansprüche sind nicht erhoben.
13. Die Familien des Juden Ettlinger, Weinberg und Goldschmidt in Rheda befinden sich in finanzieller Bedrängnis. Das Wohlfahrtsamt hat hiervon Kenntnis und wird das weitere veranlassen. Vorläufig ist ein Eingreifen nicht erforderlich, weil sich die jüdischen Familien gegenseitig unterstützen. Sie wohnen auch zusammen in 2 jüdischen Häusern.
In Herzebrock befindet sich die Familie des Juden Julius Brill in einer Notlage. Es ist damit zu rechnen, daß in Kürze ein Unterstützungsantrag gestellt wird.
14. Die Aufnahme dieser Aktion in der Bevölkerung ist anscheinend verschieden. Man enthält sich im allgemeinen jeder Äußerung über die ganze Angelegenheit. Direkt abfällige Äußerungen werden selten laut. Doch läßt völliges Stillschweigen mitunter eher darauf schließen, daß diese Aktion in ihrem ganzen Ausmaße nicht überall gebilligt wird.
Die Empörung über den feigen Meuchelmord ist zwar allgemein. Ebenso besteht auch volles Verständnis dafür, daß das deutsche Volk seiner Empörung über diese Schandtat sichtbaren Ausdruck gegeben hat. Ob dies aber soweit gehen mußte, neben der Zerstörung der Synagogen wertvolle Ladeneinrichtungen, Wohnungseinrichtungen, Lebensmittel, Kraftwagen usw. zu vernichten und sogar neuere Gebäude zu zerstören und zu beschädigen, ist eine Frage, die jedenfalls nicht einheitlich beurteilt wird, so sehr manche Vorkommnisse auch aus der augenblicklichen Erregung zu erklären sein mögen. Daß aber in Herzebrock das Wohnhaus des Juden Rollmann noch am 11. November angezündet wurde, nachdem schon durch den Reichsminister Dr. Goebbels jede weitere Aktion durch den Rundfunk wiederholt untersagt war, wird gerade in Arbeiterkreisen als eine grobe Disziplinlosigkeit verurteilt, zumal in Herzebrock großer Wohnungsmangel herrscht und das abgebrannte, in gutem Zustand befindliche Haus leicht für zwei Familien hätte eingerichtet werden können.
Wie aus Rheda berichtet wird, sind am 10. November sogar Schulkinder in das verlassene Haus des Juden Weinberg eingedrungen und haben dort zu plündern versucht. Die Sachen sind zwar später den Kindern wieder abgenommen und dem geschädigten Juden gegen Quittung ausgehändigt.
Allmählich läßt sich eine ruhigere Beurteilung über den Verlauf der ganzen Aktion auch in den Kreisen feststellen, die zunächst mit ihrem Ausmaß nicht einverstanden waren, so daß größere Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung auf die Dauer kaum zu besorgen sind.
Auf der anderen Seite ist aber nicht zu bezweifeln, daß die Stellen, die ohnehin der Bewegung noch heute ablehnend gegenüberstehen, die stellenweise vorhandene Mißstimmung für ihre Zwecke weidlich ausnutzen werden.
Am 22. November 1938 ergänzte der Landrat Folgendes:
Beiliegende Abschrift meines Berichtes an die Geheime Staatspolizei in Bielefeld gibt das Wesentlichste über die Aktion gegen die Juden im Kreise Wiedenbrück wieder.
Es läßt sich nicht verhehlen, daß bei aller berechtigten Empörung über den feigen Meuchelmord und die jüdische Agitation gegen das deutsche Volk im Ausland das Vorgehen gegen die Juden stellenweise Formen angenommen hat, die von einem großen Teil der Bevölkerung nicht gebilligt sind. Es gilt dies insbesonders für die Zerstörung von Sachwerten, an denen heute in Deutschland ein Mangel besteht.
So ist z.B. in Gütersloh ein Block von drei Häusern, von denen zwei in jüdischem Besitz waren, abgebrannt, wobei zahlreiches Mobiliar und Büroeinrichtungsgegenstände einschließlich Schreibmaschinen usw. vernichtet wurden. Das Feuer ist mit großen Mengen Benzin am 10.11. um 10 Uhr vormittags vor aller Augen angelegt worden.
Besonders schwierig gestaltete sich die Lage für die Polizei und auch für die Feuerwehr. Die Polizeibeamten wußten zunächst vielfach nicht, wie sie sich zu den Vorgängen stellen sollten. Auch bei der Feuerwehr bestanden ähnliche Zweifel.
Bezeichnend für die Stimmung in der Bevölkerung ist vielleicht, daß über die ganzen Vorfälle kaum gesprochen, im allgemeinen vielmehr mit völligem Stillschweigen darauf reagiert wurde.
Die zunächst gedrückte Stimmung macht allmählich einer ruhigeren Beurteilung Platz, nachdem die Bevölkerung durch die Propaganda über die Hintergründe des feigen
Meuchelmordes mehr und mehr aufgeklärt ist.