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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Berichte aus Paderborn

Am 18. November berichtet der Paderborner Landrat Folgendes über die „Judenaktion“:

Die Berichte der in Frage kommenden Ortspolizeibehörden überreiche ich in doppelter Ausfertigung. In den Amtsbezirken Delbrück und Kirchborchen wohnen keine Juden. Den Bericht über die Aktion in Paderborn wird die Außenstelle der Stapo erstatten.

Von der Bevölkerung wird die Ansicht vertreten, daß den Juden für die Mordtat des Grünspahn [sic] ein Denkzettel gegeben werden müßte. Die Auferlegung der Geldbuße wird daher allgemein als richtig anerkannt. Den am 9. und 10. des Monats durchgeführten judenfeindlichen Aktionen steht ein Teil der Bevölkerung ablehnend gegenüber. Wenn auch diese Ablehnung vielfach damit begründet wird, daß es im Zeichen des Vierjahresplanes nicht angängig sei, Werte zu vernichten, so dürften doch die eigentlichen Gründe der ablehnenden Haltung hier in Paderborn auf kirchliche Bedenken und Einflüsse zurückzuführen sein.

 

Am 23. November 1938 ergänzt die Behörde ihren Bericht:

Die Mordtat des Juden Grünspan [sic] wird nach meinen Beobachtungen von der Bevölkerung allgemein als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen angesehen. Während die aktive Parteigenossenschaft und der kleinere Teil der Bevölkerung die Mordtat als einen Angriff des gesamten Judentums auf das nationalsozialistische Deutschland empfindet, sieht der überwiegende Teil der Bevölkerung dieses Verbrechen als die Tat eines einzelnen Juden an. Demgemäß ist auch die Einstellung der Bevölkerung zu den Vorfällen anläßlich des Todes des Gesandtschaftsrats vom Rath sehr verschieden. Die aktive Parteigenossenschaft empfandt [sic] von vornherein die Notwendigkeit, daß die Mordtat des Juden durch Maßnahmen gegen die in Deutschland lebenden Juden gesühnt werden müßte. Wenn auch in den ersten Tagen nach der Tat m.E. mehr an gesetzliche Maßnahmen gegen die Juden gedacht worden war, so wurde infolge des Eintretens des Todes des Gesandtschaftsrates vom Rath die aktive Aktion gegen die Juden sehr begrüßt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung, der noch unter dem Einfluß zentrümlicher [sic] und kirchlicher Kreise steht, lehnt die Aktion gegen die Juden jedoch ab. Die Kreise, die dem nationalsozialistischen Staat aus ihrer politisch-kirchlichen Bindung heraus grundsätzlich besonders ablehnend gegenüberstehen, zeigen sich besonders ungehalten darüber, daß die ''Gotteshäuser'' der Juden in Brand gesetzt worden sind. Scheinbar wird von diesen Kreisen, die das Judentum noch immer nur als eine Religionsgemeinschaft und nicht als eine fremde Rasse ansehen, das Greuelmärchen verbreitet, daß später auch eine gleiche Aktion gegen die Gotteshäuser der anderen ''Konfessionen'' entfesselt werden könnte. Ich bitte bei meiner nächsten Anwesenheit bei der Regierung in Minden hierüber dem Herrn Regierungspräsidenten noch persönlich berichten zu dürfen.

Die Aktionen gegen die jüdischen Privatleute werden von einem großen Teil der Bevölkerung mit der Begründung abgelehnt, daß es mit Rücksicht auf den Vierjahresplan falsch gewesen sei, jüdische Vermögenswerte zu vernichten, da diese in absehbarer Zeit doch in deutsche Hände übergegangen sein würden. Die eigentlichen Gründe dieser ablehnenden Haltung dürften aber auch hier auf kirchliche Bedenken und Einflüsse zurückzuführen sein.

Mit nachteiligen Wirkungen auf weitere Sicht ist m.E. nicht zu rechnen.

Die Auferlegung der Geldbuße durch Gesetz stößt bei der Bevölkerung auf entschieden mehr Verständnis, zumal die in den letzten Tagen in der Presse einsetzende Aufklärungs-Aktion über das Judenproblem sich m.E. gut auszuwirken beginnt.

 

Am 17. November 1938 erstattet der Bürgermeister von Paderborn seinen Bericht zu den Vorfällen:

Nachstehend aufgeführte jüdische Geschäfte bezw. Wohnungen wurden betroffen:

1. Spiel- und Haushaltswarengeschäft Witwe Frieda Storch, geb. Speyer, 16.1.1878 in Steinheim geboren, hier, [B]erchenerstr. 2 a.

Zertrümmert wurden 4 Schaufensterscheiben, ferner wurden die ausgestellten Waren beschädigt. Gesamtschaden etwa 3.000 RM.

Zwei Angestellte wurden durch die Stillegung des Geschäftes vorübergehend arbeitslos, fanden aber inzwischen Beschäftigung bei Fa. Drewes.

Versicherungsansprüche sind von Frau Storch gestellt bei der Spiegelscheibenversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit. Vertreter Kaufmann Brockmann , Paderborn, Königstr. 9. Höhe der Versicherungsansprüche beträgt 2.436 RM.

2. Pelz- und Hutwarengeschäft Louis Goldschmidt, geb. am 29.12.1878 in Bebelshausen , hier, Schildern 7. Zertrümmert wurden eine Schaufensterscheibe und ein Schaukasten. Einige Pelze und Hüte, die im Schaufenster ausgelegt waren, wurden beschädigt. Gesamtschaden etwa 550 RM.

Versicherungsansprüche sind durch die Kreissparkasse, Paderborn, die Besitzerin des Grundstückes ist, gestellt bei der Spiegelscheibenversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit. Vertreter Kaufmann Brockmann, Paderborn, Königstr. 9. Höhe der Versicherungsansprüche beträgt 341,60 RM.

3. Kolonialwarengeschäft Siegfried Kahn, geb. am 24.7.1878 in Paderborn, hier, Grube 13-15.

Zertrümmert wurde eine Schaufensterscheibe im Werte von 488 RM. Versicherungsansprüche sind von Kahn gestellt bei der Spiegelscheibenversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit. Vertreter Kaufmann Brockmann, Paderborn, Königstr. 9. Höhe der Versicherungsansprüche beträgt 488 RM.

4. Manufakturwarengeschäft Albert Kossen , geb. am 6.2.1887 in Quakenbrück Bersenbrück, hier, Bachstr. 9.

Zertrümmert wurden zwei Schaufensterscheiben im Werte von 240 RM.

Besitzerin des Grundstückes ist die Witwe Pape, hier, Bachstr. 14. Die Schaufensterscheiben sind nicht versichert.

5. Produktenhandlung Moritz und Sally Rosenbaum, geb. am 7.7.1874 bezw. 7.3.1877 in Paderborn, hier, Bachstr. 2.

Die gesamten Fensterscheiben des Hauses, etwa 300, wurden zertrümmert. Die 6 räumige Wohnungseinrichtung des Moritz Rosenbaum sowie das Büro wurden erheblich beschädigt. Gesamtschaden etwa 2.500 RM.

Angaben über etwaige Versicherungen konnten die Familienangehörigen nicht machen.

Der noch vorhandene Bestand der Rohproduktenhandlung und ein Teil der beschädigten Möbel sind in den letzten Tagen von dem Obergerichtsvollzieher Brinkmann, Paderborn von amtswegen gepfändet.

6. Kaufmann Dagobert Schönwald, geb. am 12.1.1899 in Büren, hier, Bachstr. 9.

Es wurden 6 Fensterscheiben der Wohnung zertrümmert. Wert 11,70 RM.

7. Kaufmann Hermann Steinberg, geb. am 8.1.1877 in Sendenhorst, hier, Geroldstr. 3.

Es wurden 18 Fensterscheiben der Wohnung in verschiedenen Größen zertrümmert. Ferner wurden die Grundstückseinfriedung, eine Bleiverglasung, eine Ampel und eine Fensterrollade beschädigt. Wert etwa 120 RM.

8. Tierarzt Hermann Blumenfeld, geb. am 11.3.1884 in Salzketten, hier, Gruningerstr. 3.

Es wurden 22 Fensterscheiben zertrümmert. Verschiedene Wohnungseinrichtungsgegenstände wurden beschädigt. Wert etwa 160 RM.

9. Dekorateur Erwin Pollack, geb. am 20.7.1901 in New York, hier, Querweg 27.

Es wurden 3 Fensterscheiben zertrümmert. Wert etwa 15 RM.

10. Viehhändler Ludwig Löwenberg, geb. am 31.1.1887 in Geseke, hier, Bahnhofstr. 38.

Es wurden 20 Fensterscheiben der Wohnung zertrümmert. Ferner wurde etwas Porzellan beschädigt. Gesamtwert etwa 160 RM.

11. Viehhändler Ernst Rosenberg, geb. am 30.6.1900 in Paderborn, hier, Gruningerstr. 4.

Es wurden 12 Fensterscheiben der Wohnung zertrümmert. Wert etwa 40 RM.

12. Kaufmann Louis Sternberg, geb. am 14.12.1890 in Seest, hier, Martinstr. 12.

Es wurden 4 Fensterscheiben der Wohnung zertrümmert. Wert etwa 6 RM.

13. Kaufmann Max Goldstein, geb. am 27.9.1867 in Werther, hier, Ludwigstr. 16.

Es wurden 4 Fensterscheiben der Wohnung zertrümmert. Wert etwa 10 RM.

Bargeld, Bankguthaben, Wertgegenstände pp. wurden hier nicht sichergestellt.

Die Synagoge in Paderborn ist durch Feuer soweit zerstört, daß sie eine abbruchreife Ruine darstellt. Die gesamte Inneneinrichtung wurde ebenfalls zerstört. Das Gebäude geriet in Brand, dabei stürzte das Dach ein und die Ruine brannte vollständig aus. Der Gesamtschaden beträgt etwa 50.000 RM.

Die angrenzende Judenschule wurde ebenfalls zerstört, so daß sie abgebrochen werden muß. Angerichteter Schaden etwa 8.000 RM. Das Schulgebäude ist bei der Westfälischen Feuersozietät, Münster, Geschäftsführer Karl Rohde, hier, Krumme Grube 10, versichert. Der Schaden ist bei der Versicherung angemeldet.

Ob und wie hoch die Synagoge versichert ist, konnte hier nicht festgestellt werden. Archivmaterial ist hier nicht sichergestellt, dieses befindet sich bei der Geheimen Staatspolizei - Außendienststelle Paderborn. Hier sind lediglich einige Bücher u. Gebrauchsgegenstände sichergestellt. Kriminelle Straftaten haben sich bis jetzt nicht feststellen lassen.

Die Aktion wurde von der Paderborner Bevölkerung gutgeheißen. Abfällige Äußerungen wurden nicht wahrgenommen.

Bei der Durchführung der Aktion in der Nacht zum 10. November 1938 waren der Landrat und der Bürgermeister der Stadt Paderborn zugegen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß Plünderungen, Diebstähle usw. nicht vorgekommen sind.

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