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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Lemgo

Am 17. November 1938 berichtet der Bürgermeister aus Lemgo Folgendes über die „Judenaktion“:

Betrifft Bericht über die Judenaktion:

Zu 1:Die hiesige Synagoge ist in der Nacht zum 10.11.38 zerstört, die Tür ist gewaltsam geöffnet und die Inneneinrichtung vollständig zerschlagen, sowie die Fenster. Am 10.11. mittags sind die Trümmer in Brand gesteckt, sie ist vollständig ausgebrannt, es steht nur noch das nackte Mauerwerk ohne Dach. Das Mobilar war mit 7.800 M bei der National Versicherungs AG Stettin, Vertreter Fritz Finne in Lemgo, Mittelstraße 134, versichert. Das Gebäude war mit 14.000 M bei der Landesbrandversicherungsanstalt Detmold versichert, der Schaden am Gebäude wird auf etwa 5.000 M geschätzt.

Zu 2:In der Nacht zum 10.11.38 ist die Inneneinrichtung des photographischen Ateliers des Juden Erich Katzenstein, Mittelstr. 107 vollständig zerschlagen. Es handelte sich um einen einzelnen, gemieteten Raum. Der Schaden wird auf 2 bis 300 M geschätzt.

Zu 3:Arbeiter und Angestellte sind nicht arbeitslos geworden.

Zu 4:Geschäfte sind nicht stillgelegt, da keine vorhanden waren. Das Atelier des Erich Katzenstein liegt still, er selbst ist unverheiratet und hat keinen Anhang und befindet sich im Konzentrationslager .

Zu 5:In der Nacht zum 10.11.38 ist das Atelier des Juden Erich Katzenstein zertrümmert, der Raum war von der arischen Witwe Luise Kuhlmann, Lemgo, Mittelstraße 107, an den Juden vermietet. In dem Raum sind 20 Scheiben in Größe von 40 x 47 cm und 12 Scheiben 30 x 37 cm eingeschlagen und 3 Fensterrahmen beschädigt worden. Der Schaden beträgt etwa 60 M.

In der Nacht vom 10. zum 11.11.38 sind in dem Hause der Jüdin Witwe Mathilde Lenzberg, Bismarckstr. 16, 9 Fensterscheiben in Größe von etwa 60 x 60 cm eingeworfen worden, dabei ist eine Fenstersprosse aus dem Rahmen geflogen. Der Schaden beträgt etwa 30 M. In der Nacht zum 11.11.38 sind in dem Hause der Jüdin Laura Frenkel, hier, Echternstr. 70, 4 Fensterscheiben in der Größe von etwa 100 x 50 cm mit Steinen eingeworfen. Schaden etwa 15 M.

An dem Wohnhaus der Jüdin Witwe Emilie Davidsohn, hier, Schuhstr. 28, ist am Abend des 10.11. eine Stalltür aufgebrochen, dabei ist ein Brett, das Schloß und ein Riegel beschädigt. Der Schaden beträgt etwa 5 M.

Zu 6:Wohnungen sind nicht zerstört worden.

Zu 7:Es wurde niemand getötet, verletzt oder mißhandelt.

Zu 8:Angeblich ist dem Juden Erich Katzenstein 1 Photoapparat im Werte von 180 M gestohlen. Der Täter ist nicht ermittelt. Plünderungen und Erpressungen sind nicht vorgekommen.

Zu 9:Sichergestellt sind 4 Jagdwaffen älteren Systems, Eigentümerin Witwe Mathilde Lenzberg, Bismarckstr. 16,

1 Trommelrevolver der Witwe Paula Hochfeld, Leopoldstr. 43
1 Luftbüchse und 1 Tesching des Walter Frenkel, Echternstr. 70
1 Pistole des Isaak Katz, Paulinenstr. 14
1 Tesching bei Adolf Sternheim, Paulinenstr. 5, welches den Müller August Stock in Matorf gehören soll.

Zu 10: Archivmaterial ist nicht sichergestellt.

Zu 11: Sichergestellt wurden die schweren eisernen Tore des Judenfriedhofs auf Anordnung des Herrn Bürgermeisters am 10.11.38. Auf Grund dieser Verfügung wurde auch 1 eisernes Tor und 10 Eisenträger aus der Betoneinfriedung des alten Judenfriedhofs sichergestellt. Diese Sachen sollen der SA zur Verschrottung übergeben werden. Rückgabe ist bisher nicht erfolgt.

Auf Grund der Verfügung ist der alte Judenfriedhof geschleift worden, es sind 28 Grabsteine, die zum Teil beschädigt sind, auf dem Fillerbruche, einem Platz der Stadt Lemgo, gelagert.

Auf dem neuen Judenfriedhof sind in der Nacht vom 9. und 10.11.38 7 Denkmäler umgeworfen.

Zu 12: Die Synagoge, siehe Ziffer 1. Der Schaden ist von dem Vorsitzenden der Synagogengemeinde bei den Versicherungen angemeldet.

Zu 13: In einer Notlage befinden sich die Familie Walter Frenkel, Echternstraße 70,
die Familie des Ludwig Davidsohn, Schuhstraße 28,
die Familie des Josef Ostwald, Hellestraße 28,
die Familie des Adolf Abrahm, Heiligegeiststraße 10.

Die Frau Josef Ostwald hat einen formalen Unterstützungsantrag beim Wohlfahrtsamt hier gestellt, Unterstützung ist bisher nicht gezahlt. Die Ehefrauen des Adolf Abraham und des Ludwig Davidsohn haben wegen Unterstützung auf dem Wohlfahrtsamt vorgesprochen, ein formeller Unterstützungsantrag ist aber noch nicht aufgenommen. Die 3 Frauen sind deutsch geboren und nur mit einem Juden verheiratet. Die Juden haben bisher Unterstützungsanträge nicht gestellt.

Zu 14: Die Zerstörung der Synagoge ist von einem Teil der Bevölkerung nicht verstanden worden. Bei diesem bestand die Auffassung, daß das Gebäude nützlich hätte verwertet im [sic] oder dergl. Auch wurde die Beschädigung der Judenfriedhöfe mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Besonders hervorgetreten durch abfällige Äußerungen sind hier keine Personen. Nachteilige Auswirkungen sind nicht zu befürchten.

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