Berichte aus Garmisch-Partenkirchen
Am 10. November 1938 erstattet das Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen folgenden Bericht über „Besondere Vorkommnisse; hier Vorgehen gegen die Juden“:
Bei Bekanntwerden des Todes des von Judenhand niedergeschossenen deutschen Gesandtschaftsrates I. Kl. vom Rath hat sich der Bevölkerung eine sehr starke Erbitterung bemächtigt. Allgemein wurde von der Parteigenossenschaft und von der SA nunmehr ein energisches Vorgehen gegen die Juden verlangt, sodaß sich der Hoheitsträger der Partei veranlaßt sah, dieses Verlangen in geordnete Bahnen zu lenken, um mögliche Ausschreitungen irgendwelcher Art von vornherein zu unterbinden. Sämtliche im Kreisgebiet noch vorhandenen Juden (etwa 40) wurden im Laufe des heutigen Vormittag vor den Kreisleiter geladen, wo sie eine Erklärung abgaben, sofort das Kreisgebiet zu verlassen, nie mehr in dieses zurückzukehren und ihren hiesigen Grund- und Hausbesitz durch Verkauf aufzugeben. Im Laufe des Nachmittag sind in Verfolg dieser Erklärung sämtliche Juden aus dem Kreisgebiet abgereist. Da aber für sie auch im übrigen Reichsgebiet keine dauernde Bleibe mehr möglich sein wird, nach den bisher geltenden Bestimmungen aber Auslandspässe an Juden nicht oder nur selten ausgestellt werden durften, wird eine grundsätzliche Neuregelung die der neuen Situation Rechnung trägt, für die Ausstellung von Auslandspässen für diese Juden notwendig. Sonst kann dem berechtigten Verlangen der Partei nach schleunigstem Verschwinden aller Juden nicht zum Erfolg verholfen werden.
Abgesehen von unbedeutenden kleineren Erbitterungsausbrüchen der Bevölkerung gegen die in der Kreisleitung erschienenen Juden, wickelte sich die ganze Aktion völlig reibungslos ab. Der heutige Abend bringt noch Massenkundgebungen der Partei im Kreisgebiet gegen die Juden.
Im Monatsbericht November heißt es hierzu am 29. November ergänzend:
Der feige Meuchelmord des Juden Grünspan in Paris wurde in der Bevölkerung einstimmig scharf verurteilt. Nicht das gleiche geschlossene Verständnis hat man jedoch aufgebracht über die Maßnahmen, die daraufhin gegen die Juden ergriffen wurden2 ; besonders sind weite Bevölkerungskreise nicht mit der Art und Weise einverstanden gewesen, wie gegen die Juden vorgegangen wurde. Das Verschwinden aller Juden aus dem Kreisgebiet wird zwar allgemein begrüßt, aber man glaubt vielfach, daß dieser Erfolg weniger stürmisch durch gesetzliche Maßnahmen hätte auch erreicht werden können. Im übrigen wird den reichsrechtlichen Maßnahmen gegen die Juden volles Verständnis entgegengebracht.
Bereits am 27. November urteilt der Gendarmerieposten Garmisch-Partenkirchen:
Der hies. Dienstbezirk ist frei von Juden. Ein Teil der Bevölkerung ist mit den gegen die Juden ergriffenen Maßnahmen nicht einverstanden, insbesondere wird verurteilt, daß Mißhandlungen vorgekommen und Sachschäden verübt worden seien.
Einen Tag später berichtet die Gendarmerie-Inspektion Garmisch-Partenkirchen:
Die große Erregung über den Meuchelmord des Judenbengels Grünspan an dem Gesandtschaftsrat v. Rath hat auch die Bevölkerung des hiesigen Bezirkes ergriffen und eine Aktion gegen die Juden ausgelöst, die erreichte, daß mit einem Schlage sämtliche Juden aus dem Kreisgebiete verschwanden.
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen hat die Gesamtbevölkerung sowohl die örtliche Aktion gegen die Juden wie auch die Maßnahmen der Regierung, die ihren Niederschlag fanden in der Auflegung einer Kollektivstrafe in Höhe von einer Milliarde Reichsmark u. der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Deutschen Wirtschaftsleben volles Verständnis gefunden.
Die die Ausnahme bildenden einzelnen Menschen, die wohl teils aus Mitleid, Dummheit, Verhetzung durch Abhörung ausländischer Sender, teils vielleicht aus Berechnung und Boshaftigkeit kein Verständnis für die notwendig gewordenen Auswirkungen aufbringen wollen, sind nicht soweit tragend, um das Vertrauen der Gesamtbevölkerung in die Staatsführung und die gefestigte innerpolitische Entwicklung erschüttern zu können.
So kann denn gesagt werden, daß die allgemeine politische Stimmung gut und die Bevölkerung vom Vertrauen zu der Staatsführung durchdrungen ist.