Berichte aus Detmold
Am 18. November 1938 verfasst der Bürgermeister von Detmold folgenden Bericht über die „Aktion gegen Juden am 10.11.38“:
Zu der Rundverfügung der Staatspolizeistelle Bielefeld Nr. 221/38, betr. Aktion gegen Juden wird folgendes berichtet:
Zu 1:in Detmold, Lortzingstr. 3 ist die Synagoge abgebrannt, es stehen nur noch die Bruchstein-Umfassungsmauern.
Der Schaden beläuft sich schätzungsweise auf 50.000 Mk.
Die in der Synagoge eingerichtet gewesene Wohnung u. in letzterer gewesene Mobiliar [sic] des Synagogendieners Louis Flatow, der in einem Raum eine Buchbinderwerkstatt unterhielt ist teils beschädigt worden. Die Höhe dieses Schadens dürfte sich auf etwa 30.000 Mk stellen.
Zu 2:in Detmold sind folgende jüdische Verkaufsgeschäfte durch Zertrümmerung (nicht durch Brandschaden) vollständig zerstört worden:
1.)Das Küchen- und Spielwarengeschäft des Juden Eugen Wolff, Lange-Str. 76, 2-Schaufenstrig [sic].
Entstandener Schaden:
a)des Küchen- u. Spielwarengeräts etwa 3.000 Mk.
b)der Schaufenster- u. anderer Fensterscheiben etwa 1.000 Mk.
zusammen: 4.000 Mk.
2.)das Kristall-Porzellan- u. Geschenkartikelgeschäft des Halbjuden Otto Baer, Bruchstr. 26, 2-Schaufenstrig. Entstandener Schaden:
a)der gesamten Ladeneinrichtung schätzungsweise 10.000 Mk.
b)der Schaufenster- u. anderer Fensterscheiben etwa 1.000 Mk.
zusammen: 11.000 Mk.
3.)das Haus ist nach der Aktion unbewohnt, so daß genauere Zahlen nicht beizubringen sind.
3.)[sic] das Altwaren-Konfektionsgeschäft des Juden Josef Vogelhut, Krummestr. 27, 1-schaufenstrig. Entstandener Schaden:
a)der Konfektionsbekleidung, einschl. neue Anzüge etwa 3.000 Mk.
der Schaufenster- u. anderer Scheiben, ersteres bei der Kölnischen Glasversicherung A.G., Vertreter Hermann Brokmeier, Detmold, Brunnenstr. 22, etwa 500 Mark.
zusammen: 3.500 Mk.
zu 3:keine.
zu 4:die Geschäftsinhaber sind in das KZ -Lager Buchenwald b/Weimar transportiert worden, deren teils in Detmold noch wohnenden Frauen haben sich um eine evtl. Fortführung oder Arisierung der Geschäfte noch nicht gekümmert.
zu 5:jüdische Privathäuser sind nicht abgebrannt, sondern es sind in diesen nur Fensterscheiben zertrümmert worden u. zwar
a)bei der Jüdin, Witwe Rosa Levisohn, Hornschestr. 33, für etwa 80 Mk.
b)bei der Arierin , Frau Therese Kernewelk, die in Görlitz, Holteistr. 1 bei Dr. Neuhaus wohnt, an deren in der Woldemarstr. 10 gelegenen Wohnhause, was [sic] von einer Judenfamilie bewohnt wurde, für etwa 75 Mk.
zu 6:außer der unter zu 1 angeführten Synagogendienerwohnung, dessen Sachschadenhöhe sich auf etwa 3.000 Mk. stellen kann, sind weitere Wohnungen nicht zerstört worden.
zu 7:keine
zu 8:keine
zu 9:keine
zu 10:Archivmaterial u. zwar Akten der Synagogengemeinde wie
1.Verwaltung u. Reparaturenschriften der Synagoge,
2.jüdischer Hilfsverein und
3.Auswanderung sind sichergestellt u. befinden sich z.Zt. bei der Ortsgruppe Süd der NSDAP ., werden aber nach Auswertung dem Landesarchiv Detmold abgegeben werden.
zu 11:bei der Ortspolizeibehörde Detmold ist ein Barbetrag v. 576,26 Mk.
u. ein Betrag, der auf Sparbüchern steht, von 1.817,31 Mk.
Summa: 2.393,57 Mk.
zu 12:die Synagoge Lortzingstr. 3 ist bei der Landesbrandversicherungsanstalt Detmold gegen Brandschaden mit 50.000 Mk.,
die Wohnung und Buchbinderwerkstatt des Synagogendieners Louis Flatow, Lortzingstr. 3 gegen Brandschaden mit 12.000 Mk.
bei dem Allianz u. Stuttgarter-Verein in Berlin, Direktion Hannover, Aegydinstr. Nr. 3, versichert. Von der Jüdin, Frau Flatow, sind bei dem Vers.-Agent Hermann Brokmeier, Detmold, Brunnenstr. 22, Versicherungsansprüche bereits gestellt, jedoch ohne die Höhe der Ansprüche angegeben zu haben. Ob weitere Geschäfte, gewerbliche Räume, Privathäuser u. Wohnungen versichert waren, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, da die Juden nicht anzutreffen waren.
zu 13:Eine Notlage der Jüdin, Frau Flatow lag vor, weil sie obdach- u. mittellos war, aber von der Jüdin, Frau Kauders, Detmold, Lange-Straße 36, aufgenommen worden ist.
zu 14:Bei der Bevölkerung in Detmold sind die Maßnahmen verstanden und werden auch gebilligt [sic]. Die durchgeführte Aktion hat hier wahre Befriedigung hervorgerufen. Anfällige Äußerungen sind nicht bekannt geworden. Nachteilige Äußerungen sind demnach hier nicht zu befürchten.
Bereits am 12. November 1938 meldet die NSDAP-Kreisleitung Detmold:
Aus Anlaß der Ermordung des Botschaftsrats vom Rath ist es auch in Lippe zu Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte gekommen.
Gegen 12 1/2 Uhr nachts bewegte sich ein größerer Zug von Partei- und Volksgenossen durch die Straßen der Stadt Detmold, welche Schmährufe auf die Juden ausstießen. Im Anschluß hieran wurden die jüdischen Geschäfte vollkommen demoliert. Es handelt sich um die Geschäfte der Juden Rosenbaum, Vogelhuth und das Geschäft des Halbjuden Baer. Der Letztere ist wohl der gehasteste [sic] Mann in Detmold gewesen, weil sein Auftreten äußerst frech und herausfordernd war. Gegen 1 Uhr nachts brach in der Synagoge in Detmold Feuer aus. Das Gebäude ist bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt. Wegen der bestehenden Einsturzgefahr müssen einige Mauern abgetragen werden; mit der Arbeit ist bereits begonnen.
Auch in Lemgo ist es in der gleichen Nacht zu erheblichen Ausschreitungen gekommen. In Mitleidenschaft gezogen wurde das Geschäft des Juden Katzenstein. Außerdem wurden in den Privatwohnungen der Juden Lenzberg und Frenkel Fensterscheiben zertrümmert. Die Synagoge ist ebenfalls ausgebrannt.
In Alverdissen wurden die Fensterscheiben in der Wohnung der Juden Arensberg zertrümmert und auch die Einrichtung zum Teil demoliert.
In Bösingfeld wurden Fensterscheiben des Juden Frankenstein und die Räumlichkeiten, soweit sie für die Lederhandlung des Juden benutzt wurden, zertrümmert. Außerdem wurde die Einrichtung der Synagoge vollkommen demoliert; ein Brand ist hier nicht ausgebrochen.
In Bad Salzuflen befinden sich keine offenen jüdischen Ladengeschäfte. Die empörte Volksmenge hat dort die Privatwohnungen der Juden Obermeyer, Hamlet und Berghausen erheblich zerstört. Die Einrichtung der Synagoge ist auch hier vollkommen zertrümmert; ein Brand ist nicht ausgebrochen.
In Lage ist das einzige sich noch dort befindliche Geschäft des Felljuden Werthauer zerstört. Die Synagoge in Lage ist vor kurzer Zeit in den Besitz der Stadt übergegangen.
Ebenso sind in den Orten Oerlinghausen, Schwalemberg und Barntrupp, in denen sich je ein Judengeschäft befand, Ausschreitungen vorgekommen und die Einrichtungen der Geschäfte zertrümmert worden. In Schötmar sind die Schaufenster der 3 jüdischen Geschäfte zertrümmert; die Ladeneinrichtungen sind nicht beschädigt. Außerdem wurden Fensterscheiben in 2 Privatwohnungen von Juden demoliert. Die Synagoge ist in Brand geraten und innen vollständig ausgebrannt.
In der Stadt Horn sind 3 jüdische Geschäfte vollkommen demoliert. Die Inneneinrichtung der Synagoge ist ebenfalls zertrümmert. Als das Geschäft des Juden Hirschfeld zerstört wurde, kam die 82jährige Jüdin Hirschfeld die Treppe aus ihrem oberen Schlafzimmer herunter, wahrscheinlich infolge des Lärmes. Auf der Treppe ist sie ausgerutscht, sodaß sie sich erhebliche Verletzungen zugezogen hat. Es wurde sofort ärztliche Hilfe herbeigeholt. Der Arzt ordnete die Überführung in das Landeskrankenhaus an. An den erlittenen Verletzungen ist sie am anderen Tage verstorben. Ich betone ausdrücklich, daß es sich hier um einen Unfall handelt und daß irgendwelche Gewaltmaßnahmen gegenüber der Jüdin nicht angewandt sind.
In Silixen sind in drei jüdischen Geschäften, es handelt sich um Viehhändler namens Katz, die Wohnungen zum Teil zertrümmert.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 und am 10. November vormittags sind alle namhaften Juden und zum Teil auch Jüdinnen in Schutzhaft genommen. Die Letzteren sind zum Teil wieder freigelassen. Inzwischen wurden aus dem Kreisgebiet Lippe 45 Juden einem KZ -Lager überwiesen.