Berichte aus Herford
Am 18. November 1938 verfasst der Oberbürgermeister von Herford folgenden Bericht über die „Aktion gegen Juden am 10.11.38“:
Die in obiger Rundverfügung gestellten Fragen werden wie folgt beantwortet:
Zu 1). In der Nacht zum 10.11.1938 ist in der hiesigen Synagoge , Herford, Komturstraße 21, ein Brand ausgebrochen, der mit Rücksicht auf das schnelle Eingreifen der Feuerwehr einen verhältnismäßig geringen Schaden anrichtete. Ein Gebäudeschaden ist kaum entstanden. Dagegen wurde das Innere der Synagoge, insbesondere die Sitzgelegenheiten, Orgel, ein Flügel, der Altar und sonstiges Inventar restlos zerstört. Ebenso wurden sämtliche Fensterscheiben des Gebäudes zertrümmert und die Eingangstür herausgerissen.
Zu gleicher Zeit wurde auch der im angrenzenden Predigerhaus befindliche Versammlungsraum in Mitleidenschaft gezogen. Hier wurden ebenfalls sämtliche Fensterscheiben und Türfüllungen eingeschlagen sowie die im Raum befindlichen Ölgemälde, Porzellansachen, ein Dauerbrenner und andere Einrichtungsgegenstände vernichtet bezw. stark beschädigt.
Höhe des entstandenen Schadens: 18.200,- M
Zu 2). In Geschäften und gewerblichen Räumen sind hier Brände nicht angelegt worden. Dagegen wurden in den nachstehend aufgeführten Geschäften bezw. Geschäftsräumen folgende Schäden verursacht:
a)Putzgeschäft Sternheim, Herford, Alter Markt 6, Inh. Hele Baumgart, Herford, Alter Markt 11. Die Schaufensterscheiben, Oberlichtscheiben und ein Spiegel im Innern des Ladens wurden durch Steinwürfe zertrümmert.
Höhe des Schadens etwa 1500,- M.
b)Lederhandlung Ludwig Weingarten, Herford, Komturstraße 16.
Hier wurden zwei Schaufensterscheiben, mehrere kleine Büro- und Kellerfensterscheiben, eine Schreibmaschine und verschiedene Büroartikel zertrümmert. Außerdem ist ein großer Teil des Warenlagers, wie Nägel, Speilen und sonstige Schuhmacherbedarfsartikel, im Laden umhergeworfen worden.
Höhe des Schadens etwa 1100,- M.
c)Tabakgroßhandlung Artur Spanier, Herford, Horst-Wessel-Platz 2.
Die Büroeinrichtung einschl. sämtlicher Fensterscheiben ist völlig zertrümmert worden.
Höhe des Schadens etwa 700,- M.
d)Bettengeschäft Goldberg, Inh. Frieda Goldberg und Margarethe Neumann, geb. Goldberg, wohnhaft hier, Gehrenberg 12.
In den Ausstellungskästen dieses Geschäftes wurden sämtliche Scheiben zertrümmert.
Höhe des Schadens etwa 100,- M.
Zu 3). Durch die Aktion sind hier keine Arbeiter oder Angestellte arbeitslos geworden.
Zu 4). Die hiesigen jüdischen Geschäftsinhaber haben von sich aus ihre Geschäfte geschlossen. Die unter 3 a u. b aufgeführten Geschäftsinhaber standen bereits vor der Aktion in Verkaufsverhandlungen mit Ariern . Die Arisierung wird hier unter Aufsicht der DAF durchgeführt. Treuhänder oder Beauftragte der Wirtschaft sind hier in keinem Falle eingesetzt worden.
Zu 5). Privathäuser sind hier weder abgebrannt noch zerstört worden. Dagegen wurden nachstehend aufgeführte Häuser beschädigt:
a) Privathaus Artur Spanier, Herford, Fürstenaustr. 12.
Hier wurden mehrere Fensterscheiben eingeworfen sowie die Haus- und Wohnungstüren beschädigt.
Höhe des Schadens etwa 150,- M.
b) Privathaus Adolf Obermeyer, Herford, Lübbertorwall 18.
In diesem wurden fast sämtliche Fensterscheiben des Erdgeschosses und einige der 1. Etage, die von dem Juden Schiff bewohnt wird, durch Steinwürfe bezw. Schüsse zertrümmert.
Höhe des Schadens etwa 240,- M.
c) Privathaus der Witwe Rosa Schiff, Herford, Kreishausstr. 6.
Hier wurden mehrere Fensterscheiben eingeworfen.
Höhe des Schadens etwa 100,- M.
Zu 6). Nachstehend aufgeführte Wohnungen wurden beschädigt:
a) Wohnung Artur Spanier, Herford, Fürstenaustr. 12.
In dieser wurden die Spiegelscheiben eines Bücherschrankes, mehrere Lampen, Wasch- und Frisiertoiletten und ein Radiolautsprecher sowie einige Ölgemälde beschädigt. Sämtliche Schränke wurden durchwühlt und der Inhalt auf den Fußboden geworfen. Außerdem wurden im Vorratskeller Lebensmittel, wie Schmalz, eingelegte Eier, Gurken und sonstige Konserven vernichtet bezw. für den menschlichen Genuß teilweise unbrauchbar gemacht. Ebenso wurden mehrere Flaschen Wein zerschlagen.
Höhe des Schadens etwa 600,- M.
b) Wohnung des Predigers Erich Lewin, Herford, Komturstraße 21.
Hier wurde eine Schranktürfüllung eingeschlagen und verschiedene Schränke durchwühlt.
Höhe des Schadens etwa 35,- M.
Zu 7). Personen sind hier nicht ums Leben gekommen, desgl. wurde niemand verletzt oder mißhandelt.
Zu 8). Vorerst wurden nachstehend aufgeführte Diebstähle festgestellt:
a) In der Wohnung des Kaufmanns Artur Spanier wurde in der Nacht zum 11.11.38 der Schlosser Walter Radmann, wohnhaft hier, Johannisstr. 21, nach der Aktion von einem Polizeibeamten beim Diebstahl auf frischer Tat betroffen [sic] und vorläufig festgenommen. Bei seiner Durchsuchung wurden die in dem beigefügten Vorgang näher bezeichneten Gegenstände bei ihm vorgefunden, die später dem Eigentümer wieder ausgehändigt wurden. Radmann, der hier als Dieb bekannt ist, gab den Diebstahl zu. Von seiner Vorführung wurde mangels Fluchtverdachts und Verdunklungsgefahr Abstand genommen.
Frau Spanier vermißt außerdem noch einen Brillantring [sic], zwei goldene und eine silberne Damenuhr, verschiedene Wäscheteile, eine Reiseschreibmaschine und ein wertvolles Ölgemälde. Da Frau Spanier infolge der durch die Aktion entstandenen Unordnung in ihrer Wohnung nicht mit Sicherheit angeben kann, ob diese Gegenstände gestohlen worden sind, wurde ihr anheimgestellt, gegebenenfalls nach eingehender Prüfung hier Anzeige zu erstatten.
b) Die Frau des Predigers Lewin vermißt einen der jüdischen Gemeinde gehörenden Projektionsapparat, der im Dachgeschoß des Predigerhauses aufbewahrt wurde und aus ihrer Wohnung einen blauen Damenmantel und eine Herrenhausjacke.
Über die zu Punkt 8) unter a) und b) als gestohlen bezw. vermißt gemeldeten Gegenstände sind hier Vorgänge gefertigt. Diese sind beigefügt.
Zu 9). Freiwillig wurden bei der Festnahme bezw. bei der Durchsuchung von Wohnungen bei Juden von den nachstehend aufgeführten Personen folgende Waffen herausgegeben:
a) Prediger Erich Lewin, Herford, Komturstraße 21.
Ein Trommelrevolver ohne Munition.
b) Abraham Neumann, Herford, Gehrenberg 12.
Ein Tesching und mehrere Schuß Munition und ein Trommelrevolver ohne Munition.
Diese Waffen wurden von den aufgeführten Personen nicht geführt, sondern lediglich in der Wohnung aufbewahrt. Waffen und Munition wurden am 14.11.38 der Staatspolizeistelle in Bielefeld - Pützer- gegen Empfangsbescheinigung übergeben.
Zu 10). In der hiesigen Synagoge bezw. im Versammlungsraum wurden eine Anzahl Bücher und eine Thorarolle sichergestellt, die dem SD. in Bielefeld (auf Anordnung der Stapo Bielefeld) zur Sichtung am 14.11.38 gegen Quittung übergeben wurden.
Zu 11). Bargeld und Bankguthaben sind hier nicht sichergestellt worden. Es wurde lediglich aus der Synagoge, der für religiöse Zwecke bestimmte Silberschatz hier sichergestellt und ebenfalls auf Anordnung der Stapo Bielefeld am 14.11.38 dem SD in Bielefeld übergeben.
Zu 12). Von den Betroffenen waren versichert:
a) Die Synagogengemeinde Herford gegen Feuer bei der ''Allgemeine Feuer-Assekuranz in Hamburg'', Bezirksdirektor Bankhausen, Bielefeld, Brandenburger Str. 13, Policen Nr. B.L. 10161 und B.L. 10162.
Die Höhe der Versicherungssumme konnte nicht angegeben werden, weil sich die Policen in Bielefeld bei Barkhausen befinden.
Gegen Glas, Einbruch, Diebstahl und Beraubung bei der ''Baseler Versicherungs-Gesellschaft'', Bezirksdirektion A. Jüres, Dortmund, Gerichtsstr. 2-4, Policen Nr. 50003, 12178 u. 12179.
Die Höhe der Versicherungssumme ist hier ebenfalls nicht bekannt.
Gegen Aufruhr bei der ''Allgemeine Vers.-Ges. für See-, Fluß- und Landtransport Dresden'', Bez. Direktion A.
Sämtliche Versicherungen wurden von dem entstandenen Schaden in Kenntnis gesetzt. Ansprüche sind bisher nicht festgestellt worden.
b) Das Geschäfts- und Wohnhaus des Kaufm. Artur Spanier. Gegen Feuer, Einbruch und Diebstahl bei der ''Nordstern, Allgemeine Vers. Ges. Berlin-Schöneberg''. Versicherungssumme 40.000,- M. Der Schaden ist der Versicherung mitgeteilt, Ansprüche sind nicht gestellt worden.
c) Putzgeschäft Helene Baumgart gegen Glas bei der ''Katag in Bielefeld.'' Höhe der Versicherungssumme ist nicht bekannt, die Police befindet sich bei der Versicherung in Bielefeld. Der Schaden ist angemeldet, Ansprüche sind bisher nicht gestellt worden.
Die übrigen betroffenen Personen sind nicht versichert.
Zu 13). Familien und sonstige Hinterbliebenen der festgenommenen Juden befinden sich hier in keiner Notlage.
Zu 14). Die Aktion gegen Juden ist in der hiesigen Bevölkerung rein äußerlich betrachtet, ruhig aufgenommen worden. Eine besondere Auswirkung auf die Stimmung der Bevölkerung hat sich nach außen hin nicht gezeigt. Öffentliche abfällige Äußerungen über die Aktion sind nicht bekannt geworden. Vertrauliche Ermittlungen ergeben jedoch den Eindruck, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung der Aktion ablehnend gegenübersteht. Die Vernichtung der Synagoge als Gemeingut der jüdischen Gemeinde begegnet hierbei noch der wenigsten Kritik. Die Beschädigungen an jüdischen Geschäftshäusern und insbesondere in jüdischen Wohnungen werden aber überwiegend mißbilligt, aus dem Gesichtspunkt heraus, daß es sich hierbei um eine Schädigung des Volksvermögens handelte.
Ein spontaner Ausbruch der Erregung der Bevölkerung war hier nicht zu verzeichnen. Den diesbezüglichen Pressestimmen wird keinerlei Glauben beigemessen, sie werden im Gegenteil glossiert.
Bei der Beurteilung der Aktion muß allgemein herausgestellt werden, daß die Bevölkerung bestrebt ist, offen hervortretende Kritiken zu vermeiden. Man würde sich m.Er. aber täuschen, wenn man hieraus auf ihre Zustimmung schließen würde.
Ich habe nicht die Auffassung, daß die Aktion das Vertrauen zur Bewegung gesteigert hat. Eher ist das Gegenteil anzunehmen.
Die Überführung der festgenommenen Juden in ein Arbeitslager und die den Juden gesetzlich auferelegte Buße von einer Milliarde Reichsmark wird von der Bevölkerung in jeder Hinsicht gebilligt.
Am 25. November ergänzt er seinen Bericht um folgende Informationen:
Die von dort gewünschte Beurteilung der Aktionen gegen die Juden ist in meinem Bericht an die Geheime Staatspolizei vom 18. November unter Ziffer 14 vorgenommen. Ich füge eine Abschrift bei und erlaube mir, ergänzend hierzu Folgendes zu bemerken:
Die Zerstörung der jüdischen Geschäfte wird hier von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung abgelehnt, erst recht natürlich die dabei vorgekommenen Ausschreitungen, körperlichen Mißhandlungen und Plünderungen. Diebstähle anläßlich der Aktion haben sich hier zwar nur vereinzelt ereignet, körperliche Mißhandlungen sind überhaupt nicht vorgekommen, man erzählt sich aber viel von den Vorgängen in anderen Städten, z.B. in Kassel und Berlin. Man vertritt die Ansicht, man habe diesen anläßlich der Aktion in Erscheinung getretenen üblen Elementen überhaupt keine Gelegenheit geben sollen, die gesetzlichen Verbote zu übertreten. Man befürchtet, dadurch eine neue Lockerung der Achtung vor den Gesetzen des Staats. Die in der Presse vertretene Auffassung, es habe sich um einen spontanen Ausbruch der Stimmung der Bevölkerung gehandelt, findet in der Bevölkerung keinerlei Glauben. Allgemein nimmt man an, daß eine angeordnete und organisierte Aktion vorgelegen hat. Man weist deshalb auch auf die Tatsache hin, daß die Presseberichte über den spontanen Ausbruch der Stimmung der Bevölkerung den Tatsachen nicht entsprechen, also falsch sind und zieht auch nachteilige Schlüsse über die Wahrhaftigkeit der Presseverlautbarungen überhaupt.
Die Auflegung der Buße von 1 Milliarde wird allgemein gebilligt, auch die Überführung der Juden in Arbeitslager, ebenso die Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft zum 1. Januar 1939.
Die Pressepropaganda gegen die heuchlerische Entrüstung der Engländer und Amerikaner wird mit großem Interesse verfolgt, man stimmt ihr nahezu ausnahmslos zu. Man ist zwar der Ansicht, daß man dem Ausland besser durch die formal ungesetzlichen Handlungen keinen Anlaß aus der Handhabung der Lösung der Judenfrage in Deutschland vollständig herauszuhalten habe.
Als auffälligste Erscheinung glaube ich folgende Feststellung mitteilen zu müssen:
Die Bevölkerung hält mit offener Kritik bewußt zurück, zumal, nachdem bekannt geworden ist, daß an anderen Orten Festnahmen dieserhalb erfolgt sind. Dafür wird anscheinend eine umfangreiche Kritik von Mund zu Mund unter Bekannten und Vertrauten getrieben. Die nach außen in Erscheinung tretende Zurückhaltung steht sonach im Widerspruch mit der inneren Einstellung zu den Dingen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich auf diese Weise eine gewisse Unehrlichkeit in unserm öffentlichen Leben Platz macht.
Besondere Rückwirkungen in der Haltung der Bevölkerung zu Staat und Bewegung sind m.E. nicht zu erwarten.
Am 19. November 1938 berichtet der Herforder Landrat in gleicher Angelegenheit:
Zu 1:a) Stadt Bünde
Die Synagoge in Bünde ist am 10. November ds. Js. einschl. Inventar vollständig zerstört worden. Der größte Teil des Mobiliars ist zum Marktplatz gebracht und dort abends in einer großen Volkskundgebung verbrannt.
Redner: Landrat Hartmann
Der Schaden für das Gebäude wird auf etwa 5.000 RM, für das Inventar auf etwa 3.000 RM geschätzt.
b) Amt Vlotho
Die Synagoge sowie die vor der Synagoge gelegene Judenschule sind teilweise zerstört und zwar dergestalt, daß die Fenster, Türen und bei der Synagoge auch das Dach heruntergeschlagen wurden. Schaden etwa 3.000 RM.
Zu 2:a) Stadt Bünde
1. Am Nachmittag des 10. November wurde die Schankwirtschaft und die Manufakturwarenhandlung der Brüder Otto und Willy Spanier in Bünde durch Einschlagen der Fensterscheiben und Haustür, sowie durch Ausräumung der Schaufenster stark beschädigt. In der Nacht zwischen 1 und 2 Uhr ist das gesamte Anwesen dann durch Brand zerstört. Der Schaden beläuft sich nach den festgestellten Versicherungssummen auf 70.000 RM für Mobiliar und Geschäftsvorräte und auf 25.000 RM für das Gebäude. Inhaber des Geschäftes waren die Brüder Otto und Willy Spanier, Bünde, Eschstr. 55, beide sind Volljuden . Otto Spanier ist am 22.1.1893, Willy Spanier am 22.9.1889 in Bünde geboren. Otto Spanier wurde am morgen des 10. November festgenommen und befindet sich im Arbeitslager Buchenwalde bei Weimar, Willy Spanier ist Schwerkriegsbeschädigter und wohnt z.Zt. Bünde, Sedanstr. 8 bei Rosenwald.
2. In den Morgenstunden des 11. November wurde die Einfriedungsmauer des alten jüdischen Friedhofes von unbekannten Tätern zerstört. Hierbei sind auch einige Grabmäler beschädigt worden. Außerdem wurden sämtliche auf dem Friedhof stehenden Lebensbäume abgehackt. Die Täter sind nicht bekannt. Der Friedhof ist Eigentum der Synagogengemeinde . Er wurde seit etwa 40 Jahren nicht mehr benutzt.
b) Amt Enger
In der Stadt Enger befinden sich 2 jüdische Manufakturwarengeschäfte. An Beschädigungen sind vorgekommen:
a)Geschäft Adolf Spanier, Enger, Breitestr. 76.
3 Schaufensterscheiben zertrümmert. Eigentümer des Gebäudes und Inhaber des Geschäftes: Witwe Amalie Spanier daselbst wohnhaft. Entstandener Schaden etwa 1.000 RM.
b)Geschäft Max Spanier, Enger, Steinstr. Nr. 238
2 Schaufensterscheiben zertrümmert. Eigentümer des Gebäudes und Inhaber des Geschäfts: Max Spanier daselbst wohnhaft. Der Schaden beträgt etwa 600 RM. Weitere Zerstörungen sind nicht eingetreten, auch sind keinerlei Waren beschädigt.
c) Vlotho
Das Manufakturwarengeschäft des Juden Gustav Loeb, Vlotho, Langestr. 104, ist stark beschädigt. Währen die Ware nur auf einem Berg zusammengeworfen wurde, sind Regale, Ladeneinrichtung und Kontorräume zerstört worden. Schaden etwa 2.000 RM.
Zu 3:a) Stadt Bünde
In dem Geschäft von Spanier waren 2 Verkäuferinnen tätig, die dort nicht weiter beschäftigt werden können, die aber bei dem Mangel um Arbeitskräften schon sehr bald anderweitig Arbeit finden werden.
b) Amt Vlotho
Bisher sind keine Gefolgschaftsmitglieder arbeitslos geworden, jedoch haben einige von sich aus ihren Arbeitsplatz gewechselt, da überall großer Mangel an Angestellten besteht.
Zu 4:Amt Vlotho
Das zerstörte Geschäft Loeb war das letzte jüdische Unternehmen, das noch arisiert werden sollte. Die Angelegenheit wird von Gauwirtschaftsfachberater Pg . Franke bearbeitet, wird aber voraussichtlich dahin ausgehen, daß das Geschäft zum Erliegen kommt, ohne in andere Hände überführt zu werden, weil das Konfektionsgewerbe in Vlotho stark übersetzt ist.
Zu 5:Amt Vlotho
Privathäuser sind in Vlotho weder zerstört noch abgebrannt, jedoch ist eine ganze Reihe beschädigt worden und zwar das Haus des Kaufmanns Alwin Juchenheim, Vlotho, Langestr. 17 a, das Wohnhaus der jüdischen Kirchengemeinde, welches als religiöser Schulraum und als Mietwohnung diente, bereits zu 1) erwähnt; Witwe Silberberg, Vlotho, Langestr. 81; Kaufmann Samson Heinemann, Vlotho, Langestr. 83; Kaufmann Gustav Loeb, Vlotho, Langestr. 104; Sally Speyer, Vlotho, Höltkebruchstr. 9; Louis Steinberg, Vlotho, Mühlenstr. 5; Herbert Mosheim, Vlotho, Hochstr. 8 es handelt sich hierbei im wesentlichen um zerschlagene Fensterscheiben, Türen, Treppen, Badeeinrichtungen. Ich schätze den Schaden auf 5.000-6.000 RM.
Zu 6:a) Stadt Bünde
Die Wohnung des früheren Zigarrenfabrikanten Karl Levison in Bünde, Hindenburgstr. 1 ist durch Einschlagen der Fenster beschädigt. In der Wohnung ist das Radio zerstört, Spiegel und Schränke eingeschlagen, Geschirr zertrümmert. Der Schaden wird auf 2- 3.000 RM geschätzt. Levison ist am 16. Mai 1862 in Bünde geboren. Er hält sich z.Zt. in Herford bei seinem Schwiegersohn Albert Schiff, Lübbertor 18 auf.
b) Ennigloh
Zerstörungen von Häusern und Wohnungen sind hier nicht vorgekommen, mit Ausnahme von Beschädigungen an der Wohnungseinrichtung Spanier (Bilder, Lampen, Porzellan usw.). Dieser Sachschaden dürfte nicht erheblich sein.
c) Vlotho
Wohnungen sind sämtlich bei den unter 5) genannten Hausbesitzern zerstört bezw. geschädigt, außerdem noch bei nachstehend genannten jüdischen Personen, welche in Mietwohnungen wohnten:
Gustav Grundmann, Vlotho, Langestr. 42,
Minna Grundmann, Vlotho, Wasserstr. 24,
Adolf Simon, Vlotho, Höltkebruchstr. 9,
Hedwig Levy, Vlotho, Valdorferstr. 26,
Margarethe Bräutigam, Vlotho, Herforderstr. 27.
Fast in allen oben aufgeführten Wohnungen ist die Wohnungseinrichtung zerstört und ist der Schaden nur sehr schwer zu schätzen, umsomehr als es sich zum Teil um sehr wertvolle Einrichtungen handelte.
Zu 7:Fehlanzeige.
Zu 8:Stadt Bünde
Der Brand bei Spanier ist auf Brandstiftung zurückzuführen. Ich nehme auf die dort schon vorliegenden Vorgänge Bezug.
Zu 9:a) Stadt Bünde
An Waffen sind vorgefunden :
1 Dolch mit schwarzer Scheide
1 Dolch mit Rehfuß
bei dem Kaufmann Alfred Levison, Bünde, Hindenburgstr. 1
1 Schützdegen bei dem Kaufmann Hugo Oppenheim, Bünde, Auf'm Thie 2,
ein 6 mm Tesching, ein Militärseitengewehr
bei Gebr. Willi und Otto Spanier, Bünde, Eschstr. 55
Die Waffen sind bei der Ortspolizeibehörde Bünde sichergestellt.
b) Amt Spenge
1 kl. Mann-Pistole mit 20 Schuß Munition bei Baer, Spenge, Betriebsleiter der Zigarrenfabrik Südmersen, Spenge.
Diese Waffe usw. ist am 12.11.38 der Geheimen Staatspolizei übersandt.
c) Amt Ennigloh
bei Horwitz
1 ungarische Pistole, 7,65 mm, mit 2 Magazinen, 16 Patronen u. 1 im Lauf,
1 Walterpistole mit 1 Magazin u. Tasche, 2 Patronen
1 Jagdflinte mit 4 Patronen und 13 Hülsen,
1 Flinte- Vorderlader-
1 scharfe Infanterie-Patrone, 3 Infanteriepatronenhülsen, 19 Pistolenhülsen,
1 Militärkochgeschirr
1 Infanterie-Seitengewehr mit 2 Säbeltaschen,
1 alte Handfeuerwaffe
5 Pulverhörner.
Eigentümer: Hugo Horwitz, z.Zt. im Ausland.
bei Spanier:
2 Militärseitengewehre
1 dolchartige Stichwaffe
1 Brieföffner aus kupfernem Granatring,
1 Mensursäbel
1 Militärreitpeitsche
2 Militärmeldetaschen (Leder)
Eigentümer der Sohn des Moritz Spanier, Dr. Wilhelm Spanier.
Die Waffen und Munition sind bei der Ortspolizeibehörde in Ennigloh sichergestellt.
d) Amt Vlotho
Ein 9 mm und ein 6 mm Tesching bei Herbert Mosheim, Vlotho, Hochstr.
Mosheim befindet sich z.Zt. im K.Z. Lager.
Die Waffen sind bei der Ortspolizeibehörde Vlotho sichergestellt.
Zu 10: a) Stadt Bünde
In der Synagoge wurden Akten, Gebetsrollen und Religionsbücher vorgefunden und durch die Ortspolizeibehörde Bünde sichergestellt.
b) Amt Vlotho
Das Archivmaterial aus der zerstörten Synagoge bestehend aus Kirchenaktenbüchern, Bildern, pp. sind bei der Ortspolizeibehörde Vlotho sichergestellt.
Zu 11: a) Stadt Bünde
Das bei den Brüdern Spanier vorhandene Bargeld, die Wertpapiere, die Geschäftsbücher, Versicherungsscheine und dergleichen war bei der Ortspolizeibehörde Bünde sichergestellt. Rückgabe ist inzwischen erfolgt.
b) Amt Vlotho
Geld oder Geldeswert wurde nur in einem Falle beschlagnahmt, hier handelt es sich um altes deutsches Silbergeld. Es ist bei der Ortspolizeibehörde Vlotho sichergestellt.
Zu 12: a) Stadt Bünde
1. Die Synagoge in Bünde mit Inhalt war mit 4.500 RM bei der Westfälischen Feuersozietät versichert.
2. Die Brüder Spanier waren für Gebäude und Inventar bei der Oldenburgischen Feuerversicherungsgesellschaft, Bezirksdirektion Münster/W. gegen Feuer versichert. Die Versicherungssumme beträgt 25.000 RM für das Gebäude und 70.000 RM für das Inventar einschl. Geschäftsvorräte. Der Schaden ist als Totalschaden sowohl von Willy Spanier sowie auch von der Sparkasse der Stadt Bünde als Hypothekengläubigerin angemeldet.
b) Amt Enger
Die zerstörten Fensterscheiben waren versichert:
Von der Witwe Spanier bei dem Alianz-Versicherungskonzern, Versicherungssumme 1.000 RM, von Max Spanier bei der Prov. Feuersozietät Münster, Versicherungssumme etwa 1.000 RM (nicht genau bekannt). Die Betroffenen haben bei den Versicherungsgesellschaften ihre Ansprüche in Höhe des Schadens gestellt (vgl. Ziffer 2). Soweit bekannt, erfolgt die Auszahlung nur in der Höhe der Kosten der neuen Scheiben und zwar erst bei Neuanschaffung derselben.
c) Amt Vlotho
Sämtliche gewerbliche Räume, Privathäuser und Wohnungen mit Einrichtungen sowie die Synagoge sind gegen Brandschaden versichert. Da es in Vlotho ohne Brand abging, dürfte keine Versicherung in Anspruch genommen werden. In einem Falle, bei der Firma Gustav Loeb, liegt bezw. hat eine Versicherung gegen Tumultschäden bestanden. Die Ehefrau des Versicherten weiß jedoch nicht, ob eine solche Versicherung zurzeit noch besteht und müßte hierüber ihr, welcher sich z.Zt. im K.Z. Lager befindet, gehört werden.
Zu 13: a) Stadt Bünde
Anträge sind bisher nicht gestellt, g.F. wird das Wohlfahrtsamt eingreifen.
b) Amt Enger
Eine Notlage der Zurückgebliebenen ist durch die Festnahme der Juden nicht eingetreten.
c) Vlotho
Bisher hat sich niemand als in Notlage befindlich gemeldet.
Zu 14: a) Stadt Bünde
Der Brand bei dem Juden Spanier hat zwar in der Nacht vom 10. zum 11. Nov. genau genommen erst am 11. November, sich ereignet. Er muß jedoch im Zusammenhange mit der ganzen Judenaktion gewertet werden. Die Auswirkung auf die Stimmung der Bevölkerung ist im allgemeinen derart, daß kaum jemand bedauert, daß der Judenladen verschwunden ist. Dagegen wendet man sich gegen die Methode, insbesondere deswegen, weil am Abend des 10., also wenige Stunden vorher, der Unterzeichnete in einer kurzen Ansprache auf dem Markt darauf hingewiesen hatte, daß alle weiteren Aktionen damit abgeschlossen seien.
Insbesondere ist man darüber empört, daß 2 Feuerwehrmänner, also Angehörige der Feuerlöschpolizei, entgegen dem Befehl des Ministers etwa 7 Stunden nach beendeter Aktion den Brand bei dem Juden Spanier legten.
Ebenso aber wird nicht verstanden, daß während des Brandes durch die SS . eine Menge bereits geretteter Stoffballen auf Befehl des zuständigen hiesigen SS-Führers wieder in das Feuer geworfen wurden. Man muß sich vorstellen, daß den deutschen Volksgenossen seit Jahren durch Wort und Schrift immer wieder die Rohstoffknappheit und die für uns nicht gerade leichte Devisenlage vor Augen geführt wird. Der Brand hatte bald eine Unmenge von Zuschauern angelockt, so daß dieses Hineinwerfen der zum Teil doch sicher als selten anzusprechenden Stoffe sich in voller Öffentlichkeit vollzog. Die Auswirkung dieser Aktion soll nach Auffassung des Bürgermeisters der Stadt Bünde bereits eingetreten sein und sich dadurch gezeigt haben, daß beispielsweise bei der letzten Eintopfsammlung am Sonntag, den 13. November, fast 10 v.H. weniger zusammen gekommen ist als im Vormonat. Auch bei der in dieser Woche laufenden Pfundsammlung soll ein Rückgang zu bemerken sein, wovon sich der Bürgermeister persönlich durch Einsichtnahme in die Liste einer Blockhelferin der NSV überzeugt hat. Die über diese Dinge gefallenen abfälligen Äußerungen sind nicht aufnotiert. Es kann auch nicht mehr abgegeben werden, von wem diese Äußerungen kommen. Sicher ist aber, daß darüber ein allgemeiner Unwille besteht.
Ich habe veranlaßt, daß diese beiden Feuerwehrmänner aus der Feuerwehr ausgestoßen werden. Am 23. des Monats wird die Ausschließung der gesamten Wehr der Stadt Bünde in meiner Gegenwart eröffnet. Diese Gelegenheit werde ich benutzen, um noch einmal auf die grobe Pflichtvergessenheit und das unerhörte Gebaren der beiden Feuerwehrmänner hinzuweisen. Da die Brandlegung am 11. November ds. Js. erfolgte, fällt dieser Akt meiner Ansicht nach nicht unter die Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12.11.38 (RGBl . Teil I S. 1581.) Ich halte es für erforderlich, bei zuständiger Stelle zu klären, ob meine Ansicht zutrifft.
b) Vlotho
Die Aktion soll nach dem Bericht des Amtsbürgermeisters des Amtes Vlotho in der Bevölkerung grundverschieden aufgenommen sein. Der überwiegende Teil der Bevölkerung soll eine derartige Maßnahme begrüßt haben. Die sich dagegen ausgesprochen haben, wollen im wesentlichen intellektuelle Kreis und alte SPD -Leute sein. Von den letzten Kreisen ist die Frage aufgeworfen, warum man die Sachen nicht einfach den Juden genommen und an bedürftige Arbeiter verteilt hätte. Vielfach hört man auch die Redewendung: wie sich das mit dem Vierjahresplan vertrage, letzterer fordere die sorgsame Verwaltung jeglicher Werte und bei dieser Aktion wären erhebliche Werte in Massen zerstört worden. Intellektuelle behaupten und erklären, daß sie sich mit derartigen Handlungen und Maßnahmen einfach nicht identifizieren können. Ganz niederträchtige Burschen, deren Feststellung allerdings außerordentlich schwierig ist, sollen die unsinnigsten Gerede in die Welt streuen und zwar dahingehend, daß sie behaupten, gehört zu haben, die SA habe die Aktion benutzt, um sich gewisse Vermögenswerte der Juden anzueignen. Ermittlungen hierüber sind im Gange. Nach den gemachten Beobachtungen handelt es sich bei diesen Personen um jene Kreise, die sich dauern in einer gewissen Kritik gegenüber der heutigen Staatsautorität befinden, zum Teil sollen es sogar Parteigenossen neueren Datums sein. Die Ortsgruppe Vlotho stellt auch hierüber Ermittlungen an. Vielfach soll die Auffassung vertreten sein, daß die Formation weit über ihr Ziel hinausgegangen wäre und einfach wild zerstört hätte.
Am 21. November 1938 ergänzte der Landrat seinen Bericht um Folgendes:
In der Anlage übersende ich eine Abschrift des an die Stapo Bielefeld eingesandten Berichts. Auf die Ziffer 14 a.a.O. nehme ich Bezug.
Nachdem eine gewisse Ruhe eingetreten und der Bevölkerung es möglich ist, sich über das Geschehen ein klares Urteil zu bilden, habe ich den Eindruck gewonnen, daß die sachlich denkenden Volks- und Parteigenossen diese Aktion als eine unbedingte Notwendigkeit empfinden. Das Gebaren der Juden in letzter Zeit war frech und herausfordernd. Es grenzte an Überheblichkeit. Sie glaubten, es könne ihnen nichts geschehen. Aus diesem Grunde begrüßt jeder, der es mit seinem Vaterlande gut meint, es als eine befreiende Tat, daß endlich dieses reinigende Gewitter gekommen ist.
In dem Amt Vlotho waren die Geschäftsleute dahin übereingekommen, den Juden nichts mehr zu verkaufen. Durch eine polizeiliche Verfügung ist diesem Übelstande abgeholfen.
Ich bin mir bewußt, daß es auch in diesem Falle Unbelehrbare gibt. Diese werden es nie lernen, unbedingte Staatsnotwendigkeiten, auch wenn sie scheinbar hart und drakonisch erscheinen, zu begreifen.
Sichtbare Auswirkungen der Vorfälle habe ich nicht beobachtet. Die Vorkommnisse sollen sich, soweit ich bei der NSV festgestellt habe, nicht besonders nachteilig auf Eintopf- und Pfundsammlungen sowie Spenden für die Winterhilfe ausgewirkt haben. Wenn der Monat Oktober bei der Eintopfsammlung etwas günstiger dasteht, so ist dieses wohl hauptsächlich auf die befreiende Tat des Führers im Sudetenland zurückzuführen.
Die Aktion wird m.E. im Landkreise Herford keine weiteren Folgeerscheinungen nach sich ziehen.