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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Bericht aus Minden

Am 5. Dezember 1938 berichtet der Mindener Regierungspräsident Folgendes über das Pogrom und dessen Folgen:

Manche Schwierigkeiten der heutigen Lebenshaltung, manches allzuviele Reglementieren der allzu zahlreich gewordenen Befehlsstellen von Partei und Staat nimmt die Bevölkerung teils willig, teils mit Reserve, aber auch dann nicht durchweg abweisend auf.

Über die von der Partei befohlene Aktion vom 9. bis 10. November herrscht dagegen - wie auf Verabredung - betretenes Schweigen. Selten äußert sich offene Meinung. Man schämt sich. [...]

Die Partei ist von der befohlenen Judenaktion eingehend unterrichtet gewesen und hat sie geleitet. Die Staatsbehörden wurden durch einen Erlaß des Geheimen Staatspolizeiamts über die Staatspolizeistelle Bielefeld erst im Laufe der Morgenstunden des 10. November unterrichtet, als die Aktion bereits im vollen Gange und kaum noch zu begrenzen war.

In meinem Regierungsbezirk sind sämtliche Synagogen zerstört z.T. erst einen Tag nach der erlaubten Aktion. Die Bevölkerung hätte den staatlich befohlenen Abbruch der Synagogen unter Wiederverwendung des brauchbaren Materials gebilligt, wie sie alle vom Generalfeldmarschall Göring ergriffenen gesetzlichen Maßnahmen als gerechte Sühne des Pariser Mordes begrüßt; sie hätte volles Verständnis auch für [...] staatliche Maßnahmen gehabt. Die Schließung und Enteignung jüdischer Geschäfte wäre verstanden.

Das beinahe selbstmörderische Vernichten einer Unmenge von Waren, die Deutschland dringend für seinen Markt gebraucht, die befohlene sinnlose Zerstörung der Privatwohnungen der Juden mit Ausartungen, die naturgemäß mit solchen Aktionen verbunden zu sein pflegen, die Brandstiftung - sonst schwer bestraft - gibt Kräften Oberwasser, die auf die Verwandtschaft solcher Methoden mit denen anarchistischer Staaten heimlich und vorsichtig hinweisen.

Die Stimmung der Bevölkerung und weiter Parteikreise ist gedrückt. Die Arbeiterschaft lehnt insbesondere die Warenvernichtung ab.

Der ehrliche Jubel über die Großtaten des Führers in dem zu Ende gehenden Jahre, schon gedämpft durch mancherlei Schwierigkeiten der Arbeiterbeschaffung, des Lohnproblems, der Lebensmittel- und Rohstoff-Frage, ist einer gewissen Unruhe gewichen, zumal die zögernde Berichterstattung unserer Zeitungen die Massen auf den Rundfunk und dort auf die Straßburger-, Luxemburger- und Moskauer-Sender verweist, nach denen sie sich, wie seit langem festgestellt werden konnte, ihr politisches Urteil bilden. Das Betonen des ''Spontanen'' der Aktion durch Zeitungen und Rundfunk wird als Irreführung empfunden, die man nicht glaubt, verdient zu haben.

Die innere Haltung der Bevölkerung stimmt - zunehmend - mit ihrer äußeren nicht mehr überein. Die Zivilcourage ist fast verschwunden. Die weitgehende Maskenbildung ist staatspolitisch nicht ungefährlich.

Um die Zukunft besorgte Persönlichkeiten, auch Pgs., die in der Geschichte nicht unbewandert sind, sind der Ansicht, daß das Weltjudentum in allergeschicktester Tarnung selbst Inspirator der Aktion gewesen sei, um Verwirrung der Geister im Innern Todfeindschaft des Auslandes gegen das Reich zu stiften.

Das Ziel scheint erreicht. Aus den - hervorgerufen durch die staatlichen Maßnahmen - auch gefühlsmäßig als Niederlage empfundenen Folgen des Pariser Mordes hat das Weltjudentum einen Sieg gemacht.

Alle Parteigenossen und staatspolitisch denkende deutsche Männer sind bestürzt über die in der Staatsführung zu Tage getretenen Divergenz.

Vordringlich ist, dem Volk weithin zu beweisen, daß weder der Generalfeldmarschall noch der Führer etwas mit der Aktion zu tun haben. Es wartet darauf, weil es daran nicht glauben will. Aber es wartet!

Die Aufklärung kann nicht an der psychologischen Tatsache vorbei, daß die Männer der Partei und der Gliederungen fest davon überzeugt sind und sein mußten, auf allseitig höheren Befehl gehandelt zu haben. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß es endlich einmal wieder wie in der Kampfzeit gewesen sei, als es gegen die Kommunisten ging.

Ihnen die Rechtsgrundlage ihrer Handlungen zu entziehen, möchte staatspolitisch nicht erwünschte Folgerungen haben.

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