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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht der NSDAP-Reichsleitung

Am 15. Januar 1939 gibt das Hauptamt für Kommunalpolitik der NSDAP Reichsleitung folgenden Bericht der Gauämter für Kommunalpolitik Franken, Kurhessen, Mecklenburg und Koblenz-Trier weiter:

Gauamt für Kommunalpolitik Franken

Wohlfahrtswesen. Anschließend an die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden begann in Zusammenarbeit mit Gauleitung, Hausbesitzerverein und Wohlfahrtsamt (Wohnungsfürsorge) eine Aktion zur Erfassung der Judenwohnungen für Volksgenossen mit unzulänglichen Wohnungen, insbesondere für Kinderreiche. Die Hausbesitzer wurden zunächst aufgefordert, allen Juden zu kündigen, dann wurde die Aktion auf die Wohnungen bis zu einem Mietpreis von 115 Reichsmark beschränkt. Gegen Juden, die diese Kündigung nicht annahmen wurde mit Räumungsklage vorgegangen. Das Amtsgericht Nürnberg hat vorerst die Räumung auf Grund des Mieterschutzgesetzes mit längerer Räumungsfrist gewährt, ist dann aber dazu übergegangen, das Mieterschutzgesetz als ein Schutzgesetz für deutsche Volksgenossen für überhaupt unanwendbar zu erklären und auf sofortige fristlose Räumung zu erkennen. Es zeigte sich, daß ein Großteil der Juden teuere Wohnungen innehatte, sich also immer noch in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befand: bis zu einem Mietpreis von 115 Reichsmark sind 409 Judenwohnungen vorhanden, davon wurden bis jetzt etwa fünfzig von der Wohnungsfürsorge vergeben.

Die Fürsorge für Juden wurde jetzt endlich gesetzlich geregelt durch die Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden vom 19. November 1938 RGBl . S. 1049, die am 1. Januar 1938 in Kraft trat. Die Regelung entspricht etwa der in der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg bisher schon geübten Praxis. Die Vorschrift, daß die deutsche öffentliche Fürsorge eingreift, soweit die jüdische, freie Wohlfahrtspflege nicht helfen kann, läßt allerdings zunächst unklar, wann dieser Fall gegeben ist. Da er nicht einfach bei der Erklärung der Juden, nicht helfen zu können, vorliegen kann, wird vorerst davon auszugehen sein, daß die jüdische Wohlfahrtspflege in allen Fällen eingreifen muß. [...]

Gauamt für Kommunalpolitik Koblenz-Trier

Nach der Fürsorgepflichtverordnung muß die öffentliche Fürsorge, ganz gleich um wen es sich handelt eingreifen, sobald die Hilfsbedürftigkeit erkennbar in Erscheinung tritt. Nach einem Erlaß des Reichsministers des Innern vom 22. Dezember 1936 sind die eingetragenen Hypotheken, die für bezogene Wohlfahrtsunterstützung haften, zu streichen, soweit der Unterstützungsbezug vor dem 1. Januar 1935 liegt. Von dieser Streichung wurde die Juden nicht ausgeschlossen. Eine Änderung dahingehend, daß die Juden für die von ihnen bezogene Wohlfahrtsunterstützung oder sonstige Beihilfen mit ihrem Besitz haften, wäre sehr angebracht. [...]

Gauamt für Kommunalpolitik Kurhessen [...]

In einem früheren Bericht erwähnten wir die Bemühungen der Stadt Fulda, den dortigen nicht mehr benutzten alten Judenfriedhof in ihren Besitz zu bekommen, was der Stadt aber trotz Kaufgebotes nicht gelungen war. Im Zuge der Aktion gegen die Juden aus Anlaß des politischen Mordes in Paris ist dieser Judenfriedhof von der erregten Volkswut teilweise demoliert worden. In darauffolgenden Verhandlungen mit der Judenschaft ist die Stadt ohne Zahlung eines Entgeldes in den Besitz des Geländes gelangt. Die Stadt beabsichtigt, die im Zentrum liegende Fläche zu planieren und im Frühjahr zweckentsprechend als Platz bzw. Grünfläche auszugestalten, um damit einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen. [...]

Gauamt für Kommunalpolitik Mecklenburg [...]

Im hiesigen Gau ist man seit längerer Zeit bestrebt, die Judenfriedhöfe einzuebnen, soweit nicht ein dringendes Bedürfnis für ihre Erhaltung nachgewiesen wird. Bei diesem Verfahren kam es zwischen der Stadt Botzenburg und der israelitischen Landesgemeinde Mecklenburg zu einem Prozeß vor dem Mecklenburgischen Landesverwaltungsgericht. Da Gang und Ergebnis dieses Prozesses dortseits von Interesse sein dürften, wird das Urteil in nachfolgendem vollständig wiedergegeben: [...]

Gründe

Am 5. August 1937 widerrief der Beklagte gegenüber dem Rechtsanwalt Dr. Josephy als Beauftragten des Oberrats der israelitischen Landesgemeinde die erteilte Erlaubnis zur Benutzung des jüdischen Friedhofs in Botzenburg. Gleichzeitig teilte er mit, daß die Aufhebung des Friedhofs mit dem 31. Dezember 1937 erfolgen solle, und daß weitere Beerdigungen wegen mangelnden Bedürfnisses untersagt würden.

Gegen dieses am 7. August 1937 zugestellten Bescheid hat die Klägerin frist- und formgerecht Klage erhoben mit dem Antrage, die angefochtene Verfügung aufzuheben. Zur Begründung hat sie angeführt, sie wolle die Auffassung des Beklagten, daß der Grund und Boden des Friedhofs der Stadt Botzenburg gehöre und der jüdischen Gemeinde nur zur Bestattung ihrer Toten überlassen sei, vorläufig nicht bestreiten. Es sei nun aber ein strenges Gebot der jüdischen Religion, daß Gräber und Begräbnisstätten für alle Zeiten erhalten werden müßten und niemals wieder für andere Zwecke benutzt werden dürften. Es sei anzunehmen, daß den Vertretern der jüdischen Gemeinde bei der Überlassung des Geländes auch eine entsprechende Zusicherung gegeben worden sei, wenn dies aber nicht geschehen sei, so bleibe es doch eine Unbilligkeit, die jüdischen Anschauungen durch Legung des weder landwirtschaftlich noch städtebaulichen benötigten Friedhofs zu verletzen. Im übrigen hätten die jetzt in Bayern bzw. Hamburg wohnenden Juden Kaufmann Cohn, Kaufmann Lazarus und die Eheleute Wolff Grabstellen von der jüdischen Gemeinde erworben und wünschten, bei ihren Angehörigen begraben zu werden.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage kostenpflichtig abzuweisen, und ausgeführt, die Stadt Botzenburg sei Eigentümerin des fraglichen Friedhofsgeländes. Ein Grundbuch über den Friedhof bestehe zwar nicht. Ebenso sei er auch nicht im Flurbuch ausgewiesen oder durch Vermessungsplan festgelegt. Aber das Flurbuch der Stadt Botzenburg weise in Band 2 Abteilung IV Nr. 41 unter der Bezeichnung ''Eichenkoppel und Abhang dahinter'' ebenso wie das Stadtbuch das gesamte Gelände, aus welchem das Friedhofsgrundstück herausgetrennt wurde, als buchungsfreies Eigentum der Stadt aus. Die bei der Neuvermessung der Stadt im Jahre 1880 hergestellte Karte von Hertel bezeichne gleichfalls die gesamte fragliche Fläche in einer Karte einheitlich als Eigentum der Stadt. Für ihr Eigentum spreche auch die Tatsache, daß die Stadtverwaltung im Jahre 1882 eine von der jüdischen Gemeinde erbetene Erweiterungsfläche unentgeltlich mit der Verpflichtung überlassen hatte, daß der Platz nach Aufhören seiner Bestimmung wieder an die Stadt zurückfalle. Es müsse angenommen werden, daß auch das ursprüngliche Friedhofsgelände in dieser Form der Grundstücksleihe der jüdischen Gemeinde zur Verfügung gestellt worden sei. Im übrigen seien Gebote der jüdischen Religion für das heutige Deutschland nicht bindend. Die Aufhebung des Friedhofes sei auch keine Unbilligkeit, weil kein Jude mehr in Botzenburg wohne. Der Wunsch auswärtiger Juden, in Botzenburg begraben zu werden, könne nicht als triftiger Grund zur Aufrechterhaltung des Friedhofs anerkannt werden. Schließlich werde auch die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten.

Die Klägerin hat darauf hin noch weiter ausgeführt ihr Recht zur Klageerhebung ergebe sich aus der Tatsache, daß die angefochtene Verfügung ihr und nur ihr zugestellt worden sei. Aus den Akten der jüdischen Gemeinde habe sich nichts über ihr Eigentum am Friedhof ermitteln lassen. Wenn auch die vom Beklagten angeführten Umstände für das Eigentum der Stadt sprächen, so seien sie doch keineswegs voll beweisend, zumal bei buchungsfreien Grundstücken ein dreißigjähriger Besitz als Eigentumsvermutung gelte. Im Gegensatz zu anderen jüdischen Gemeinden sei auch in Botzenburg niemals für die Benutzung des Friedhofes eine Abgabe erhoben worden.

Der Beklagte hat noch darauf hingewiesen, daß polizeiliche Gründe für die Aufhebung des Friedhofes sprächen Die starke Entwicklung der Stadt Botzenburg mache eine weitere Erschließung von Baugelände erforderlich. Hierzu gehöre auch das Gebiet, aus dem früher der Friedhof entnommen worden sei. Wenn die Bebauung dieses Geländes auch noch nicht in den nächsten Jahren zu erwarten sei, so könne sie doch in ungefähr 15 Jahren Wirklichkeit werden. Unter diesen Umständen könne bei Berücksichtigung der üblichen Liegezeit von 30 Jahren die Vornahme weiterer Beerdigungen nicht gestattet werden. Der Beklagte hat ein Gutachten des Stadtbauamtes Botzenburg vom 12. Mai 1938 überreicht, in dem über den gegenwärtigen Zustand des jüdischen Friedhofs und dem zukünftigen Bebauungsplanes nähere Ausführungen gemacht werden. Auf den Inhalt dieses Gutachtens in /10/ wird Bezug genommen.

Die Akten der Stadt Botzenburg betreffs Judenfriedhof und die Akten des Geheimen und Hauptarchivs betreffs der Gemeindeverhältnisse der Juden in Botzenburg waren angeschlossen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Die Klage war abzuweisen.

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