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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Regensburg

Am 8. Dezember 1938 berichtet der Regierungspräsident Niederbayern und Oberpfalz in Regensburg für November 1938:

Allgemeiner Überblick [...]

Die jüdische Mordtat an dem deutschen Gesandtschaftsrat in Paris löste in allen Kreisen der Bevölkerung helle Empörung aus; allgemein wurde ein Einschreiten der Reichsregierung erwartet. Die gegen das Judentum gerichteten gesetzlichen Maßnahmen fanden deshalb vollstes Verständnis. Umso weniger Verständnis brachte der Großteil der Bevölkerung für die Art der Durchführung der spontanen Aktion gegen die Juden auf; sie wurde vielmehr bis weit in Parteikreise hinein verurteilt. In der Zerstörung von Schaufenstern, von Ladeninhalten und Wohnungseinrichtungen sah man eine unnötige Vernichtung von Werten, die letzten Endes dem deutschen Volksvermögen verloren gingen, und die in krassem Gegensatz stehe zu den Zielen des Vierjahresplans, insbesondere auch zu den gerade jetzt durchgeführten Altmaterialsammlungen. Auch die Befürchtung wurde laut, daß bei den Massen auf solche Weise der Trieb zum Zerstören wieder geweckt werden könnte. Außerdem ließen die Vorkommnisse unnötiger Weise in Stadt und Land Mitleid mit den Juden aufkommen. [...]

Juden

Bei der vom 9./10. November nachts durchgeführten Aktion wurden die 5 im Regierungsbezirk vorhandenen Synagogen in Regensburg, Amberg, Straubing und Sulzbürg bei Neumarkt zerstört. Die Regensburger Synagoge wurde in Brand gesteckt; die Archivalien sind gerettet. Der in Geschäften, Läden und Wohnungen angerichtete Sachschaden wird von der Stapo Regensburg für den Regierungsbezirk auf 200.000 RM geschätzt; von Plünderungen wurde nichts bekannt. In Straubing wurde ein Schuhgeschäft ausgeräumt, die Schuhe wurden für das WHW sichergestellt. Die männlichen Juden, teilweise auch weibliche, wurden in der Nacht festgenommen; im ganzen kamen in der Folgezeit 224 Männer aus dem Regierungsbezirk in das Konzentrationslager Dachau. Ein Teil von ihnen ist unterdessen wieder freigelassen worden. In Regensburg wurden alle Männer am Vormittag des 10.11. vor dem Abtransport in geschlossenem Zug durch die Stadt geführt. Sie mußten ein großes Plakat ''Auszug der Juden'' tragen. In den kleineren Orten, in denen nur einzelne Juden oder Judenfamilien ansässig waren, beschränkte sich die Aktion auf Festnahmen; es kam dort zu keinen oder nur geringfügigen Zerstörungen von Vermögenswerten.

In einigen Fällen richteten sich die Demonstrationen vom 9./10.11. auch gegen Nichtjuden. So wurde in Weiden die Wohnung des Rechtsanwalts Justizrat Dr. Pfleger zerstört; der Schaden wird von Pfleger auf 10.000 RM geschätzt. Der Oberbürgermeister berichtet, daß dabei zweifellos auch wertvollstes Archiv- und Kulturgut (Altertümer) vernichtet wurde. Pfleger war früher Abgeordneter der Bayer. Volkspartei, stets ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus und trat auch bis in die letzte Zeit anwaltschaftlich für Juden ein. - In Landshut mußte sich am Nachmittag des 12.11. ein Landgerichtsdirektor auf Grund einer nach Wortlaut und Sinn nicht genau feststehenden abfälligen Äußerung über die Judenaktion, die er im Büro eines Justizangestellten gegenüber gemacht hatte, von Demonstranten im geschlossenen Zug durch die Stadt auf das Rathaus führen lassen; er hatte eine Tafel mit der angeblichen Äußerung zu tragen. Der Oberbürgermeister gab nach Rücksprache mit dem Leiter der Stapo Regensburg den Vorgeführten wieder frei, riet ihm aber sofortige Entfernung aus Landshut. Der Fall liegt noch nicht restlos klar; der Angeprangerte hat ein Gesuch um Ruhestandsversetzung eingereicht. - Der in Hals bei Passau wohnende ehemalige Rechtsanwalt Josef Fessler, der bei 6 Kindern eine Tochter als Klosterschwester im Ausland (Chile) hat und seit langem in Verdacht stand, Fühlung mit der Auslandspresse zu haben, wurde am 11.11. auf Veranlassung nationalgesinnter Männer durch die Gendarmerie aus seiner Wohnung geholt und 10 Tage lang in Haft behalten. Bei seiner im Benehmen mit der Stapo erfolgten Entlassung wurde ihm nahegelegt, sich ein Unterkommen außerhalb Passaus zu suchen. Das Arbeitsamt wurde ersucht Fessler eine auswärtige Arbeitsstelle zu vermitteln.

In Schwandorf und Straubing wurden zwei arische Geschäfte beschädigt (in Straubing ein Bankhaus), die offenbar für jüdische gehalten wurden.

Rein krimineller Natur sind folgende Vorfälle:

In Regensburg kam am Nachmittag des 10.11. ein Mann in SA -Uniform zu einer Jüdin, deren Mann nachts festgenommen worden war, ''um nach Waffen zu suchen''; die Jüdin gab ihm unaufgefordert 1.250 RM mit denen der Mann verschwand unter der Angabe, er werde sie bei seiner Standarte abgeben. Bis heute ist das Geld bei keiner Behörde oder Parteistelle abgeliefert worden; der Täter ist nicht ermittelt. - In Weiden versuchte ein Arbeiter von der Frau eines festgenommenen Juden 150 RM zu erpressen. Die Festnahme dieses Täters konnte rasch erfolgen, das Schnellgericht verurteilte ihn zu 6 Monaten Gefängnis.

In welchem Umfang sich nach den geschilderten Vorkommnissen die Zahl der im Regierungsbezirk noch vorhandenen 752 Juden (davon 53 Ausländer; Stand vom 1.10.) in absehbarer Zeit verringern wird, ist abzuwarten; der Wille zur Auswanderung ist jedenfalls allgemein. Eine tschechische jüdische Familie in Eggenfelden, Besitzer einer kleinen Schuhfabrik, reiste auf eigenen Wunsch nach Verkauf der Fabrik am 11.11. in ihren Heimatstaat ab; der erbetene polizeiliche Schutz bis zur Grenze wurde gewährt.

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