Bericht des SD aus Cochem
Am 25. November 1938 verfasst die SD-Außenstelle Cochem (II 112) folgenden Bericht:
Referat II 112: Judentum
Die Aktion gegen die Juden am 10.11. stellt dieses Problem auf eine völlig neue Grundlage, die sich auch im hiesigen Bereich weitgehend auswirken. Wenn auch im Verlaufe der Zeit viele Juden abgewandert sind, so daß geschlossene Gruppen kaum noch bestanden oder als solche keine große Bedeutung aufwiesen, so gab es doch besonders im Vieh- und Weinhandel noch eine Anzahl Juden, die noch recht gutgehende Geschäfte hatten.
Der Erfolg der Aktion hat in den Orten, wo sie gründlich durchgeführt wurde, erwiesen, daß den Juden die Möglichkeit genommen ist, ihre Geschäfte weiter zu betreiben. So hat in Cochem ein Weinjude, dem die Einrichtung vollkommen zertrümmert war, sofort nach der Maßnahme sein Geschäft aufgelöst.
Im Verlaufe der Aktion selbst hat sich herausgestellt, daß die meisten Juden sich bereits mit der Absicht trugen, auszuwandern. Entsprechende Schritte waren von diesen auch bereits in die Wege geleitet. Es bestanden Verbindungen zu ausländischen Rassegenossen. Naturgemäß ist nunmehr die Absicht, baldigst auszuwandern noch stärker geworden. Die Geschäfte sind, soweit dies sich bisher hat feststellen lassen, alle in der Auflösung bzw. einer Überführung in arischen Besitz begriffen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu erfahren, daß die Landbevölkerung in der Umgebung von Koblenz bei den Juden große Käufe an Möbeln und Einrichtungsgegenständen tätigt.
Der bei den Juden angerichtete Sachschaden ist unterschiedlich, erstreckt sich aber in allen Fällen auf die Privateinrichtung. In den Fällen, wo die Geschäfte betroffen wurden, blieb die Ware selbst unbeschädigt, so daß dem Volksvermögen in dieser Hinsicht ein Schaden nicht entstanden ist. Es sind hier verschiedene Fälle bekannt, daß die Hausfronten durch die Aktion in Mitleidenschaft gezogen wurden,. In anderen Städten (am Niederrhein) sollen bereits polizeiliche Verfügungen ergangen sein, daß diese Schäden durch die Juden umgehend abzustellen sind. Im Kreise Cochem, wo die Aktion am wirksamsten war, sind Stimmen laut geworden, daß die Juden sich weigern würden, gegebenenfalls eine Ausbesserung vorzunehmen. Bisher ist eine derartige Anordnung jedoch von keiner Stelle aus ergangen. Über die Stellungnahme der Geistlichkeit beider Konfessionen wurde bereits an anderer Stelle berichtet. Aber auch aus der Bevölkerung heraus sind Äußerungen gekommen, die in vielen Fällen ein Mitleid mit den Juden bekunden. Es handelt sich in solchen Fällen aber um Personen, die unter dem Einfluß irgendeines Geistlichen stehen. Dagegen ist die eine Frage, die immer wieder auftauchte, in gewisser Weise zu verstehen, daß man es nämlich nicht für richtig hält, daß so viele Werte vernichtet wurden, die armen Volksgenossen hätten zukommen können. Hier schafft eine richtige Aufklärung in allen Fällen recht bald Klarheit und Einsicht.
Es taucht in diesem Zusammenhang eine weitere wichtige Frage auf, die einer einheitlichen Klärung bedarf. Die Juden in Wohnungen arischer Besitzer haben in den meisten Fällen Mietverträge abgeschlossen, die auf lange Sicht abgestellt sind und den Juden vor der Gefahr schützen, plötzlich auf die Straße gesetzt zu werden. Die Aktion veranlaßt die Hauseigentümer, wenn auch nicht überzeugt, so doch gezwungenermaßen, nach einer Möglichkeit zu suchen, dem gesunden Volksempfinden Rechnung zu tragen und die Juden recht bald auf die Straße zu setzen bzw. zu veranlassen, daß sie sich in eigenen Wohnungen zusammenschließen. Es erhebt sich nun die Frage, ob es einem arischen Hausbesitzer zugemutet werden kann, noch länger Juden unter seinem Dach zu dulden, bzw. ob eine Möglichkeit geschaffen werden kann, daß von irgendeiner Stelle aus positiv in diesem Sinne hingewirkt wird.
In vielen Fällen hat sich gezeigt, daß die Juden eine große Menge von Lebensmitteln, die im Handel nicht beliebig gekauft werden können, sowie Textilwaren (Wäsche und Stoffe) und Fertigwaren wie Schuhe und dergl. in großen Posten sich beschafft hatten. Besonders das Bekanntwerden solcher Tatsachen hat sich in sehr günstigem Sinne auf Stimmung und Haltung der Bevölkerung ausgewirkt.
Referat: II 1131: Römischer Katholizismus [...]
Die gegen die Juden durchgeführten Maßnahmen gaben der Kirche natürlich willkommenen Anlaß zu einer Gegenpropaganda, die in ganz versteckter und äußerlich harmloser Form geführt wurden. In den Gottesdiensten des der Aktion folgenden Sonntages wurde in vielen Predigten von der Nächstenliebe gesprochen, die bedingungslos sei, und als Grundsatz herausgestellt, daß es Pflicht sei, nach dem Wort zu handeln, ''leben und leben lassen''. Diese Hetze wurde allgemein richtig erkannt, obwohl in keinem Worte der Juden gedacht oder diese erwähnt wurden. [...]
Referat II 1133: Protestantismus
Wie in der katholischen, so gab in der evangelischen Kirche die Judenaktion Anlaß zu Stellungnahmen der Geistlichkeit, die in fast der gleichen Weise vor sich gingen. In den Predigten und Andachten wurden immer wieder über die christliche Nächstenliebe gesprochen, die bedingungslos ist und auch den Feinden zuteil werden muß. Ein Pfarrer (Karl Johannes in Pleizenhausen, Kreis Simmern) soll in einer Andacht vor einem kleinen geschlossenen Personenkreis sich sogar ausgelassen haben, daß er ein gemeinsames Gebet für die verfolgten und unterdrückten Juden ansetzte. In Simmern selbst hat der Superintendent, Pfarrer Gillmann, einem Juden, dem bei der Aktion das Porzellan zertrümmert wurde, solches geliehen. Die Folge war, daß man ihm die Fensterscheiben einwarf, wobei er selbst eine leichte Verletzung erhielt. Es war bekannt, daß dieser Pfarrer bis vor kurzer Zeit von diesem Juden Milch bezog. Seine judenfreundliche Haltung hat in weiten Kreisen größte Empörung hervorgerufen.