Bericht aus Karlsruhe
Am 13. September 1938 gibt die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ihren „Lagebericht“ für die Monate Juni und Juli 1938 ab:
Was die Rassenschande betrifft, so ist gegenüber dem letzten Lagebericht vom 27. Juli 1938, der die Monate April und Mai 1938 umfaßt, entschieden ein Rückgang festzustellen. Die Oberstaatsanwälte in Konstanz, Waldshut, Freiburg, Offenburg, Heidelberg und Mosbach berichten keine neuen Verfahren wegen Rasseschande. Beim Oberstaatsanwalt beim Landgericht Karlsruhe kam ein Fall von Rasseschande neu zur Anzeige gegenüber zwei in der letzten Berichtszeit. Beim Leiter der Zweigstelle Pforzheim sind zwei Verfahren wegen Verbrechens nach dem Blutschutzgesetz neu eingeleitet worden. Das eine mußte mangels jeglichen Nachweises eingestellt werden. Bei dem anderen, dem Verfahren gegen den Bleistiftmacher [N.N.a] aus Wilferdingen (Aktenzeichen: P 18/38) handelt es sich um die Rasseschande eines Ariers mit einer Halbjüdin, die als Mischling ersten Grades zur Zeit des Erlasses der Nürnberger Gesetze noch der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte und infolgedessen gemäß § 5 Abs. 2a der 1. VO zum Reichsbürgergesetz als Jüdin gilt. Der Beschuldigte hat übrigens mit der als Jüdin im Sinne des Blutschutzgesetzes geltenden [N.N.b] nochmals geschlechtlich verkehrt, nachdem er von der Gendarmerie bereits wegen Verdachts eines Verbrechens nach dem Blutschutzgesetz vernommen worden war. Der Oberstaatsanwalt in Mannheim berichtet dieses Mal von einem neuen Verfahren wegen Rasseschande, nämlich von einem Verfahren gegen den am 2. August 1874 in Potgorce (Polen) geborenen, mit einer Jüdin verheirateten Volljuden [N.N.c] (Aktenzeichen: Ma 199/38), der mit der jetzt 35jährigen deutschblütigen kaufmännischen Angestellten [N.N.d] von September 1935 bis Mai 1938 ein rasseschänderisches Verhältnis unterhalten und mit ihr noch im Mai 1938 geschlechtlich verkehrt hat. [N.N.c] hatte sich bis zur Aufdeckung in diesem Strafverfahren als freireligiöser Deutschamerikaner ausgegeben und war bis dahin allgemein nicht als Jude angesehen worden. Bei seinem Zuzug in Mannheim am 19. März 1902 hatte er in der polizeilichen Anmeldung als Geburtsort New York und als Bekenntnis freireligiös angegeben, obwohl er in Potgorce (Polen) geboren und nicht nur der Rasse, sondern auch der Religion nach Jude war. Unter der Behauptung, er sei als Nachkomme deutscher Einwanderer in New York geboren und habe auch dort geheiratet, hatte er ferner am 2. Februar 1926 Antrag auf Einbürgerung gestellt, dem unter dem 17. August 1926 entsprochen worden ist. Die damalige Polizeidirektion Mannheim hatte sich zum Nachweis seiner Angaben damit begnügt, daß ihr eine Bescheinigung des Gesundheitsdepartments der Stadt New York vorgelegt wurde, nach der ein Eintrag über die Geburt und die Heirat nicht aufzufinden sei. Aufgrund dieser Tarnung hatte [N.N.c] die Frechheit, mittels eines Stimmscheins gelegentlich eines Wochenendausflugs mit der [N.N.d] am 10.4.1938 zum großdeutschen Reichstag zu wählen. (Aktenzeichen: Js 205/38). Inzwischen ist gegen [N.N.c] Anklage wegen Verbrechens nach §§ 2,5 Abs. 2 des Blutschutzgesetzes sowie wegen Verbrechens nach § 1 u. § 2 des Gesetzes über das Reichstagswahlrecht vom 7.3.1936 erhoben worden, die dem Herrn Reichsminister der Justiz bereits vorgelegt worden ist.